DFB-Ethikkommission berät über Tönnies: Der große Boss ist in der Defensive
Am Donnerstag berät die Ethik-Kommission des DFB die Causa Clemens Tönnies – für den Aufsichtsratschef des FC Schalke 04 steht viel auf dem Spiel.
Begeisterung sieht anders aus als an diesem 30. Juni 2019 – und sie hört sich anders an. In der Arena von Gelsenkirchen sind etwa 10.000 Zuhörer zusammengekommen, um den Ausführungen der Bewerber zu lauschen, die für den Posten als Aufsichtsrat bei Schalke 04 kandidieren. Die ersten drei Kandidaten schildern ihre Vorzüge kompliziert und wenig mitreißend. Dann tritt der vierte Kandidat ans Mikrofon und stellt sich allen Ernstes wie folgt vor: „Clemens Tönnies. 63 Jahre. Jeden Tag Fleisch!“
Klare Kante, hemdsärmelig, das mögen sie auf Schalke an Tönnies. Mag die Welt solch Nebensächlichkeiten wie Klimawandel und Fleischkonsum diskutieren – der vom Boulevard „Kotelett-Kaiser“ getaufte Fleisch-Fabrikant aus Rheda-Wiedenbrück wirkt mit seiner ostwestfälischen Beharrlichkeit auch bei seiner Bewerbungsrede ein wenig aus der Zeit gefallen.
Bei den meisten Mitgliedern kommt das gut an – oder besser gesagt: kam das gut an. Seit Tönnies’ rassistischen Ausführungen über Kraftwerke in Afrika und den vermeintlichen Vermehrungsdrang der Bevölkerung bei Nacht hat sich der Wind allerdings gedreht; er weht Tönnies seit einigen Wochen direkt ins Gesicht. Am Donnerstag wird sich auch die Ethik-Kommission des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit dem Fall beschäftigen.
Tönnies sitzt Schalkes Kontrollgremium seit 2001 vor; in dieser Zeit war er so etwas wie der Dauerbrenner in einem chronisch aufgeregten Verein, der nie wirklich zur Ruhe kam. Ausgerechnet Tönnies, stöhnen seine Kritiker, von denen es nicht wenige gibt. Sie machen ihn für besagte Unruhe verantwortlich. Tönnies laufe Entwicklungen oft nur hinterher, argumentieren sie. Eine eigene Strategie? Hat er angeblich nicht.
Mehrheitsfähig war diese Kritik nie, seitdem Tönnies auf Schalke das Sagen hat. Am Aufsichtsrat, vor allem an seinem Vorsitzenden, ist schon so manche Größe der Branche gescheitert. Rudi Assauer und Felix Magath mussten anerkennen, dass die Schalker Kontrolleure am Ende doch über ihnen standen – und Christian Heidel kündigte lieber selbst, bevor er vor die Tür gesetzt wurde. An Tönnies kommt in den höheren Dienst-Etagen niemand im Verein vorbei. Mit seinem Glaubensbekenntnis zum „eingetragenen Verein“, der der Schalker Vereinsfamilie ungeliebte Investoren vom Leib halten soll, weiß Tönnies die Basis hinter sich.
Tönnies wird die Arena wohl vorerst meiden
So souverän agierte Tönnies jahrelang – bis zum Tag des Handwerks in Paderborn. Mit seinen unfassbaren Äußerungen über „die Afrikaner“ entsetzte Tönnies seine Anhänger – und lieferte seinen Kritikern eine Steilvorlage.
Auch das anschließende Krisenmanagement des Schalker Ehrenrats – sofern man das überhaupt so nennen kann – machte die Sache nicht eben besser. Immerhin hat sich Tönnies entschuldigt – zumindest bei den Schalkern, die stolz darauf sind, Vorreiter im Kampf gegen Rassismus zu sein. Zu den Afrikanern dagegen – kein Wort der Reue, der Entschuldigung. Ranghohe Kronzeugen wie Huub Stevens, Heribert Bruchhagen oder Sigmar Gabriel erklärten zwar, Tönnies sei kein Rassist. Allerdings kann der Beschuldigte seine Aussagen nicht einfach so einfangen, wahrscheinlich gelingt ihm das nie mehr.
Beim Pokalspiel gegen Drochtersen/Assel am Wochenende zeigten ihm etwa 2000 Schalke-Fans symbolisch die Rote Karte. Ihre Forderung ist klar: Rücktritt – und zwar sofort. Den Anhängern reicht keine Entschuldigung. Der große Boss ist mächtig in die Defensive geraten. Die Arena wird er bei Heimspielen wohl vorerst meiden.
Allerdings sollte niemand Tönnies’ Kampfgeist unterschätzen. Zu Schalke kam er 1994, weil er seinem Bruder Bernd auf dem Sterbebett versprochen hatte, auf das Geld aufzupassen, das der Ex-Präsident zur Verfügung gestellt hatte. Diesem Versprechen fühlt er sich bis heute verpflichtet. Tönnies hat Schalke selbst mehrmals mit Darlehen ausgeholfen, er gilt als wichtiger Vermittler bei großen Sponsoren. „Ohne Clemens Tönnies“, sagt Schalkes früherer Stürmer Klaas-Jan Huntelaar, „würde es den Verein nicht mehr geben“. Ob es den Verein künftig auch weiter mit Tönnies an der Spitze geben wird, erörtert die DFB-Ethik-Kommission an diesem Donnerstag.
Norbert Neubaum