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Matthias Luttmer in der Energie Arena in Strausberg.
© Thilo Rückeis
Update

Integration im Sport: „Einer wie Tönnies gibt die Steilvorlage“

Der Fußballfunktionär Matthias Luttmer spricht im Interview über rassistisches Denken, die AfD und gelebte Integration in Strausberg.

Matthias Luttmer, 42, ist Zweiter Vorsitzender und Öffentlichkeitsreferent des Fußballclubs Strausberg.

Herr Luttmer, Sie sind Zweiter Vorsitzender des FC Strausberg. Haben Sie Flüchtlinge in Ihrem Verein?

Ja, im Moment 15, über alle Mannschaften verteilt.

Kamen die von sich aus zum FC Strausberg oder wurden sie angeworben?
Beides. In Strausberg gibt es kein Flüchtlingsheim, die Flüchtlinge sind in leerstehende Plattenbau-Wohnungen gezogen. Viele liegen in der Nähe eines Fußballplatzes, quasi bei den Jungs um die Ecke. Die sind dann einfach von selber gekommen. Aber einen Teil der Jugendlichen haben wir auch gezielt angesprochen, nachdem wir gehört haben, dass sie in ihrer Heimat schon Fußball gespielt haben. Wir haben ja immer wieder Jahrgänge, bei denen es nicht genügend Spieler gibt. Da waren wir über personelle Verstärkung natürlich froh.

Wie wurden diese Kinder und Jugendlichen dann aufgenommen?

Sehr ordentlich. Fußball verbindet, das hat sich wieder gezeigt. Allerdings sind diese neuen Spieler mitunter auch speziell.

Speziell?

Nicht im negativen Sinn, aber sie fallen durch ihr Verhalten auf. Wir hatten einen zehnjährigen Syrer, der plötzlich vom Feld rannte und sich versteckte, als ein Feuerwehrauto mit Blaulicht und heulendem Martinshorn vorbeiraste. Der war erst ein paar Monate in Deutschland. Erst etwas später haben wir erfahren, was da los war. Das haben uns einige seiner Mitspieler erzählt, die mit ihm in die gleiche Schulklasse gehen. In der Schule versteckte er sich unter der Bank, wenn er eine Sirene hörte. Er hatte in Syrien gelernt, dass man sich bei so einem Signal verstecken muss. Inzwischen bleibt er ziemlich gelassen, wenn er ein Martinshorn hört.

Gibt es Mannschaften, bei denen Sie Bedenken hätten, wenn zu denen ein Flüchtling stoßen soll?

Überhaupt nicht.

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Haben Sie den Eindruck, dass die Flüchtlinge in Strausberg im Allgemeinen gut integriert sind?

Ja, das sehe ich schon so. Das liegt bestimmt auch daran, dass die Flüchtlinge gleich in Wohnungen untergekommen sind, die in der Stadt verteilt sind. Wir haben hier eine russische community. Die Menschen kamen als Spätaussiedler nach Strausberg und wurden quasi zusammengefasst. Die leben jetzt eng beieinander und bleiben unter sich. Es gibt keine Notwendigkeit für sie, Deutsch zu lernen. Die Flüchtlinge aber haben deutsche Nachbarn, die müssen Deutsch lernen und können, sonst kommen sie nicht klar.

Strausberg ist, auch aufgrund seiner Historie als großer Standort der Nationalen Volksarmee, eine eher linksorientierte Stadt. Spielt das beim Thema Flüchtlinge eine Rolle?

Durchaus. Ich habe in unserem Verein noch nie eine rechtsgerichtete Aktion erlebt. Ich kann natürlich nicht in die Köpfe der Menschen schauen, aber die Tendenz geht eher zur Ignoranz bei strittigen Punkten. Bei uns ist es so, dass die einen lieber links liegen lassen, wenn sie mit einem nicht können. Aber sie ziehen nicht über ihn her. Klar, für ein Team ist das natürlich nicht so prickelnd, wenn einer nicht angespielt wird. Andererseits ist damit auch schnell Schluss. So jemanden holt der Trainer sonst schnell vom Feld.

Gilt dieses liberale Denken für ganz Strausberg, nicht bloß für Ihren Verein?

Grundsätzlich ja. Wir haben zwar eine parteilose Bürgermeisterin, aber die Linke stellen in der Stadtverordnetenversammlung die stärkste Fraktion, die SPD ist auch stark. Strausberg ist eher links, keine Frage. Wir haben hier ein alternatives, öffentlich gefördertes Wohnprojekt, in dem links gerichtete Menschen leben. Darüber wird gar nicht groß diskutiert.

Das betrifft linke Jugendliche. Aber wie stehen die Menschen zu Flüchtlingen?

Da wird tendenziell eher negativ geredet. Da ist viel Skepsis zu spüren, weil auch medial eher die negativen Aspekte der Flüchtlingsthematik beleuchtet werden. Klar, die haben viele Kinder, aber aus Sicht des Vereins ist das nicht schlecht, so bekommen wir personelle Verstärkung. Und alle Handwerker, mit denen ich rede, sagen: Oh Gott, wir finden keine Auszubildenden. Die sind jetzt relativ alt und wollen eigentlich aufhören. Aber sie haben keine geeigneten Nachfolger. Die sehen dann in den Kindern eher noch eine Option, das Problem zu verringern.

Gleichwohl gibt es diese Skepsis der Einwohner. Wie äußert die sich?

Das ist eine gute Frage, die man gar nicht so leicht beantworten kann. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass alles Fremde latent skeptisch betrachtet wird. Ich würde mal sagen, so tickt der typische Ostdeutsche. Ich bin in Sachsen geboren, war aber zur Wende erst zwölf Jahre alt, ich kenne so ein Verhalten vor allem aus Erzählungen. Zu DDR-Zeiten wurde jeder, der anders war, mit Skepsis betrachtet. Der andere konnte ja der Stasi-Mitarbeiter sein, der dich bespitzelt hat. Deshalb war die Familie das Allerwichtigste. Und dieses misstrauische Verhalten hält sich bis heute. Das hat gar nicht so viel erstmal mit Flüchtlingen zu tun.

Das sind jetzt Gefühlsdinge. Aber wie äußert sich diese Skepsis konkret?

Der klassische Strausberger sucht zum Beispiel nicht aktiv den Kontakt zu Flüchtlingen. Man bleibt unter sich. Ich klammere jetzt mal die Menschen aus, die jedem helfen würden, egal, woher er kommt. Im Fußball aber funktioniert dieses Misstrauen nicht. Da muss ich mit jedem in Kontakt gehen, mit dem ich spiele. Trotzdem bleibt natürlich ein gewisses Maß an Skepsis. Wieso macht der jetzt Ramadan? Wieso muss der deshalb nicht trainieren? Da herrscht dann häufig schlicht Unkenntnis vor.

Aber auch im linken Strausberg hat die AfD Zuwächse.

Tja, das ist so. Bei der jüngsten Stadtverordnetenversammlung hat die AfD so viele Stimmen erhalten, dass sie mehr Abgeordnete hätte nominieren können als sie überhaupt Kandidaten hatte. Die AfD hätten vier Plätze besetzen können, hatte aber nur zwei Kandidaten. Das kam für Strausberg einerseits völlig unerwartet. Jedenfalls, wenn man es in Bezug auf die Vergangenheit sieht. Andererseits passt das Ergebnis zu der Zustimmung, welche die AfD im Moment erhält. Das hat aber wohl weniger mit Strausberg, als mit der allgemeinen Lage zu tun.

Ist dieses Wahlergebnis ein Hinweis darauf, dass die Skepsis doch viel größer ist als Sie es vermuten?

Wir hatten eine höhere Wahlbeteiligung als früher, das ist ein Indiz dafür, dass viele gewählt haben, um ihren Protest auszudrücken. Und natürlich ist es auch möglich, dass sich Leute, die nicht so weit denken, sich von Parolen und Sprüchen mitreißen lassen.

Wundert es Sie, dass die AfD derzeit in ganz Brandenburg so stark ist?

In dieser Dimension ja. Ich habe natürlich erwartet, dass es immer eine gewisse Proteststimmung gibt. Aber ich hatte auch erwartet, dass man bemerkt, wie viel Luft hinter den Parolen der AfD ist, wenn man sich etwas intensiver mit dem Thema befasst. Es geht ja tatsächlich in Richtung Rechtsradikalität, und das kann keine Alternative sein. Das Perfide ist ja, dass es bei der AfD Argumentationen und Forderungen gibt, die dem Mainstream entsprechen. Da sagen viele: Das könnte ich unterschreiben. Aber wenn du denen den kleinen Finger gibst, greifen sie gleich die ganze Hand. Mich wundert, dass viele dies nicht erkennen.

Gleichwohl: Die Stadt ist ja doch eher links. Hat Strausberg in Brandenburg eine Art Inselfunktion?

Ich hoffe eher, dass jene Orte, in denen kein liberales Denken herrscht, die negativen Inseln sind. Ich habe schon das Gefühl, dass es in Brandenburg eher die linke Geschichte gibt, also ein Denken wie bei uns. Andererseits kann ich auch verstehen, dass es in Cottbus und Frankfurt/Oder problematische rechtsgerichtete Gruppen und falsche Entwicklungen gibt.

Was sind die Gründe dafür?

Die Überalterung ist ein großes Problem. Dieses Thema kennen wir in Strausberg in dem Ausmaß nicht. In Cottbus dagegen sehe ich in Einkaufszentren viele ältere Menschen. Es gibt natürlich auch junge Menschen, aber viele von denen sind eher in der rechten Richtung unterwegs. Denen wurden keine Grenzen gesetzt, die haben nie oder kaum „Nein“ gehört. Bei denen hat man eher gesagt: Ach, lass die doch machen.

Cottbus hatte aber zuletzt auch enorme Probleme mit kriminellen Flüchtlingen. In Frankfurt/Oder ließ der Bürgermeister von der Linkspartei kriminelle Flüchtlinge wegen ihrer Gewalt sogar aus Deutschland ausweisen. Wie sehr beeinflussen solche Nachrichten die Atmosphäre und die Diskussionen in Strausberg?

Da fühlen sich viele bestätigt in der Einschätzung, dass man unter sich bleiben soll. Die kleinste gemeinsame Einheit ist die Familie, da muss es passen. Es ist schlimm, wenn ich das jetzt sage: Aber die interessiert es auch nicht, was ihr deutscher Nachbar macht. Ob der Probleme hat oder nicht. Aber wenn man diese Denkweise nicht durchbricht, stirbt unser Ehrenamt.

Gab es auch in Strausberg mal Probleme mit kriminellen Flüchtlingen?

Mir ist nichts bekannt.

Sie sind viel in Brandenburg unterwegs. Was hören Sie, wenn über Flüchtlinge diskutiert wird?

Wenn ich am Stammtisch oder in anderen Runden nur stumm zuhöre, bin ich manchmal erschrocken, dass auch Menschen, von denen ich annehme, dass sie gut im Leben stehen, sehr dumpf argumentieren. Einer wie Clemens Tönnies hat doch für solche Debatten eine Steilvorlage gegeben.

Der Aufsichtsratsvorsitzende des Fußballklubs Schalke 04 hat unter anderem Afrikanern vorgeworden, sie würden zu viele Kinder bekommen.

Ja, das fördert dieses dumpfe Denken. Da ist mancher Satz spaßig gemeint, aber wenn man sich den Kern anschaut, dann ist das ein bitterernstes Problem. Der Neger oder andere Worte, diese Ausdrucksweise, die so in Alltag eingeflossen sind. Selbst Akademiker reden so. Aber je tiefer man in die sozialen Schichten kommt, umso größer wird die Tendenz nach rechts. Man kann das Beispiel des alten Handwerkers nehmen, der aufhören möchte und keinen Nachfolger und keinen Auszubildenden findet. Für den ist es doch ein Leichtes zu sagen: Jetzt kommen auch noch die Flüchtlinge, die Politik konzentriert sich jetzt auch noch auf die. Aber ich? Um meine Probleme kümmert sich die Politik nicht. Das stimmt natürlich nicht, aber es ist ja leicht, die Schuld bei Flüchtlingen zu suchen.

Welche Fehler bei der Flüchtlingspolitik wurden aus Ihrer Sicht und nach Ansicht der Menschen, denen Sie zuhören, gemacht?

Ich möchte ungern andere auf ihre Fehler hinweisen. Der Job eines Politikers ist knochenhart, diese Verantwortung zu haben, ist eine enorme Belastung und Herausforderung. Wenn ich daran denke, wie viele Punkte ich allein als Vorstandsmitglied bei meinem Fußballverein berücksichtigen muss, dann wage ich gar nicht daran zu denken, welche Belastungen ein Politiker hat. Natürlich läuft dann auch manchmal etwas suboptimal. Meine Gedanken damals waren: Wir sind so ein reiches Land, warum soll man nicht mal einen Versuch, starten, diese Menschen aufzunehmen? Ich kann nicht erkennen, dass dieser Versuch grundsätzlich gescheitert ist.

Und was lief suboptimal?

Man hat viele Menschen auf engem Raum zusammengefasst, in Heimen, Turnhallen, teilweise in Zelten. Es ist doch klar, dass so etwas nicht gut gehen kann. Aber ich gehe mal davon aus, dass die meisten Flüchtlinge sich integrieren wollen. Sie sind ja freiwillig hier. Aber viele Deutsche sagen natürlich: Warum haben wir die Grenzen nicht geschlossen.

Was erwarten Menschen, die differenziert und nicht plump argumentieren, ihrerseits von Flüchtlingen, damit die sich vernünftig integrieren?

Dass sie die deutsche Sprache lernen und irgendwann beherrschen. Das erwarte auch ich von ihnen. Leider hatte man damals Spätaussiedler nicht dazu angehalten, Deutsch zu lernen. Ich kann mich nur integrieren, wenn ich die deutsche Sprache kann. Alles andere läuft dann automatisch.

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