Kolumne: Liebesgrüße aus Moskau: Der DFB sollte künftig auf Stars à la Özil verzichten
Wenn der Deutsche Fußball-Bund wirklich ernsthaft das "Erdogate" aufarbeiten will, sollte er ein starkes Zeichen setzen, findet unser Kolumnist.
Das sportliche Krisenmanagement rund um die deutsche Nationalmannschaft ist in aller Munde. Selbst nachdem Jogi Löw seine Entscheidung bekannt gegeben hat, dass er als Bundestrainer weitermacht, werden die Diskussionen weitergehen. Doch ein anderes Reizthema, das seit Mitte Mai die Fußballnation beschäftigt, bleibt das Erdogan-Foto von Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Den beiden bescherte es bekanntlich einen Empfang bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, aber außer einem symbolischen Schnappschuss im Schloss Bellevue brachte die Inszenierung nichts Erhellendes, da der Fall durch die dürftigen Statements der beiden Nationalspieler mit deutschem Pass und türkischen Wurzeln nur oberflächlich und nicht konsequent genug aufgearbeitet wurde.
DFB-Präsident Reinhard Grindel hat immerhin noch vor dem WM-Aus in Russland verkündet, die Aufarbeitung nicht vergessen zu wollen und betont, dass sportpolitische Fragen auch für Nationalspieler überragende Bedeutung haben. Hoffentlich erinnert er sich daran. Die Frage ist, welchen Kurs der DFB steuern wird.
Zwar ist selbst ein so unsäglicher und letztlich untragbarer Auftritt wie der des Duos Özil/Gündogan durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Zugleich kann sich das Team, das seit der WM 2006 ganz bewusst als Aushängeschild der Nation positioniert wurde, im Sinne dieses Anspruchs nicht erlauben, dass Spieler aus seinen Reihen unbedarft oder gezielt ihre Popularität dazu nutzen, um Propaganda für Politiker oder andere Personen zu machen, die Werte wie Menschenrechte und Pressefreiheit ignorieren.
Erdogate ernsthaft aufarbeiten
Die naheliegende Konsequenz: Wenn der DFB wirklich ernsthaft Erdogate aufarbeitet, sollte er ein starkes Zeichen setzen, indem er künftig auf Stars à la Özil und Gündogan verzichtet, wenn sie sich öffentlich so drastisch mit politischen und gesellschaftlichen Aktionen vergaloppieren.
Ob der DFB diesen Mut aufbringt oder mit dem Hinweis, sportlicher Erfolg genieße beim Abwägen aller diffizilen Argumente die höchste Priorität, eine Wischi-waschi-Strategie verfolgt? Es wird eine Grundsatz-Entscheidung sein im Blick auf das Selbstverständnis und Image der Nationalmannschaft.
Gerade wenn es nach der Ernüchterung von Russland darum geht, verloren gegangene Sympathien und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Um einen faden Beigeschmack zu vermeiden: Rückwirkende Sanktionen sollten nicht ausgesprochen werden, die neuen Spielregeln vielmehr erst per Beschlussfassung in Kraft treten.
- Harald Stenger war von 2001 bis 2012 Pressesprecher der Nationalmannschaft. Hier schreibt er im Wechsel mit Frank Lüdecke, Nadine Angerer, Jens Hegeler, Sven Goldmann, Roman Neustädter und Philipp Köster.
Harald Stenger