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Mesut Özil und ein Meer aus schwarzrotgoldenen Fahnen.
© REUTERS

Fußball und Gesellschaft: Auch Fußball leidet unter Populismus

Ein Ball, zwei Tore, fertig ist die Weltverständigungssprache - das war einmal. Der globale Charme des Fußball gerät ins Visier von Nationalismus und Populismus. Eine Kolumne.

Ein Zettel, der mit Tesafilm an der Vitrine eines Ladens bei mir um die Ecke befestigt war, verkündete „Mittwoch geschlossen. Chefin guckt Fußball!“ Das war vor der Niederlage der Mannschaft. Die Chefin war noch gut gelaunt. Sie hatte ihre Vitrine mit kleinen schwarz-rot-goldenen Fahnen beflaggt und eine Flasche Sekt kalt gestellt. Ach, dachte ich nostalgisch – und ich traue mich kaum, das hier zu schreiben, so sehr habe ich das Gefühl, ein Tabu zu brechen – ach, lang ist es her, dass Chefinnen und andere Frauen sich an Fußballabenden auf ein Glas Rosé verabredeten, um endlich in aller Ruhe Neuigkeiten auszutauschen. Die Männer saßen für mindestens zwei Stunden dicht gedrängt in der Kneipe und schauten 22 weiteren Männern zu, die auf einem rechteckigen Stück Rasen erbittert um einen Ball kämpften.

Das war noch vor der Frauenemanzipation, noch bevor die große Gendervermischung die Grenzen zwischen den Geschlechtern verwischte. Die Männer hatten ihren Sport. Die Frauen hatten ihren Sport. Rugby, Autorennen, Fußball für ihn, Ballett, Eiskunstlauf und Pferdesport für sie. Heute erhebt sich an den Abenden, an denen die deutsche Nationalelf spielt, ein Chor von Frauenstimmen in meiner Straße. Längst haben Frauen das Männerterritorium erobert. Seit Mittwochabend schweigen sie, genau wie die Männer.

Ich gebe zu, dass ich die Männer oft um ihre Fußballleidenschaft beneidet habe – diese universale Sprache, die es erlaubt, mit irgendwem irgendwo auf der Welt zu kommunizieren und freundschaftliche Bande zu knüpfen. Als Studentin reiste ich im Sommer mit ein paar Freunden in einem alten R4 durch den Südosten Europas. Eines Abends waren wir in einem kleinen, verlorenen griechischen Dorf an der albanischen Grenze gestrandet. Der eiserne Vorhang war noch nicht gefallen. Es war das Ende der Welt. Niemand sprach Englisch.

Jimmy Durmaz bei den Schweden, Mesut Özil in Deutschland

Mit allen Mitteln versuchten wir, uns verständlich zu machen: vergeblich. Bis einer der Griechen plötzlich rief: Michel Platini! Jubel, Lächeln, Händeschütteln, Umarmungen. Das Eis war gebrochen. Die Freundschaft besiegelt. Es gab keine Nationen mehr. Grenzen waren vergessen. Wir alle waren Teil ein und derselben großen Fangemeinde. Und als ich später sah, wie meine Söhne sich, ganz egal wo wir waren, Fußball spielend integrierten, hatte ich erneut das Gefühl, ein kleines interkulturelles Wunder zu beobachten. Ich bezweifle, dass der Name einer Primaballerina der Pariser Oper an der albanischen Grenze einen vergleichbaren Effekt gehabt hätte.

Und heute? Wird der Fußball eine Brücke zwischen den Völkern bleiben? Wenn man Schwede türkischer Herkunft ist, sollte man jedenfalls besser ein Foul vermeiden, das zum spielentscheidenden Freistoß der deutschen Mannschaft führt. Ein regelrechter Shitstorm ist gegen Jimmy Durmaz losgebrochen, sogar Todesdrohungen hat er erhalten. Und die giftspritzende Beatrix von Storch, moralische Instanz der AfD, die Mesut Özil die deutsche Staatsangehörigkeit entziehen will, weil er die Nationalhymne nicht mitsingt und innig mit dem türkischen Präsidenten Erdogan posierte... Nun hat er auch noch gegen Südkorea verloren!

Die zwei Beispiele zeigen, das Rassismus und Nationalismus, die den populistischen Parteien in ganz Europa die Mitglieder in die Arme treiben, keinen Halt mehr machen vor den Stadien.

Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

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