Affäre um WM-Vergabe 2006: Der DFB erhöht den Druck auf Franz Beckenbauer
Franz Beckenbauer hat offenbar versucht, eine Stimme für die WM 2006 zu kaufen, aber schweigt weiter. Eine Strafe droht dem früheren WM-OK-Chef wohl nicht.
Im Mittelalter hätte ein Vollziehungsstrich genügt. Ein Schreiber hätte das Herrscher-Monogramm vorgezeichnet und nur ein kleines Stück freigelassen, damit der Kaiser mit einem letzten Strich der Urkunde ihre Rechtsgültigkeit verleiht. Franz Beckenbauer hingegen soll ein brisantes Dokument vor der Vergabe der WM 2006 höchstselbst unterzeichnet haben, manu propria, also eigenhändig. Sein Gehilfe Fedor Radmann paraphierte den Entwurf lediglich, sprich: er zeichnete ihn mit seinen Initialen ab.
Mit dieser Unterschrift könnte Beckenbauer sich eigens die Hände schmutzig gemacht haben. Wie der Deutsche Fußball-Bund (DFB) am Dienstag bestätigte, hat der deutsche Bewerbungschef im Juli 2000, vier Tage vor der WM-Vergabe, eine Vereinbarung mit Jack Warner unterschrieben. Der Funktionär aus Trinidad und Tobago saß damals im Exekutivkomitee der Fifa, das über den Ausrichter entscheiden sollte. Ihm seien „diverse Leistungen“ versprochen worden. Offenbar geht es um versuchten Stimmenkauf. Die ermittelnde Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer hatte das Schriftstück in den DFB-Akten gefunden. Diese „neuen Erkenntnisse“ waren es, die Wolfgang Niersbach am Montag als deutschen Verbandspräsident zurücktreten ließen.
Zum Reden kann Beckenbauer niemand zwingen, ein Versäumnis des DFB
Damit rückt Beckenbauer immer mehr in den Mittelpunkt der Affäre. Das Fußballidol scheint der Einzige zu sein, der Licht auf die Vorgänge von damals werfen und eine der größten Krisen in 115 Jahren DFB aufklären könnte. Doch Beckenbauer schweigt weiter. In den turbulenten vergangenen drei Wochen hatte der 70-Jährige nur ein dünnes Statement herausgegeben: „Es wurden keine Stimmen gekauft.“ Ansonsten machte Beckenbauer nur Angaben gegenüber Niersbach und den externen Ermittlern. Die sollen jedoch unzufrieden sein mit seinen Ausführungen vor zwei Wochen und wollen ihn erneut befragen. DFB-Interimschef Rainer Koch bat ihn, „sich intensiver einzubringen“. Dagmar Freitag sagte, Beckenbauer müsse Antworten liefern. „Es gibt andere, die viel mehr wissen als Wolfgang Niersbach“, sagte die Sportausschuss-Vorsitzende des Bundestags. „Der Kaiser ist nackt!“, twitterte Özcan Mutlu von der Fraktion Bündnis90/Die Grünen.
Doch Beckenbauer lässt sich bitten, zum Reden zwingen kann ihn niemand. Da machen sich die Versäumnisse des DFB bemerkbar. Da die Deutschen, anders als die Fifa, keine Ethikkommission besitzen, können sie Beckenbauer nicht mit einer Sperre drohen. Der Weltverband hatte ihn 2014 für 90 Tage gesperrt, weil er nicht kooperiert hatte, ein weiteres Verfahren läuft. Eine neue, dritte Untersuchung will die Fifa-Ethikkommission, wie bei Niersbach, „aus taktischen Gründen“ auf Nachfrage nicht bestätigen. Sollten Beckenbauer und sein Vertrauter Radmann der Bestechung oder Untreue schuldig gemacht haben, wären die Straftaten jedenfalls längst verjährt. Von den Ermittlungen der Steuerfahnder sind beide ohnehin nicht betroffen. Aber es brächen zumindest moralisch riesige Zacken aus der Kaiserkrone. Geschweige denn vom Sommermärchen, bei dem es zumindest eine versuchte Bestechung gegeben hat. „Das muss man so werten“, sagte Reinhard Rauball, der zweite Interims-Chef. Nur mit öffentlichem Druck ist Beckenbauer wohl zum Reden bewegen, die neue Verbandsspitze geht ihn bemerkenswert offen an.
Der Deal war wohl nur eine Absicherung, die Stimme wurde nicht gebraucht
Warners nord- und mittelamerikanischem Verband Concacaf seien „keine direkten Geldleistungen“ versprochen worden, sagte Rauballs Kollege Koch. Inhalt seien Vereinbarungen über Spiele, Unterstützung von Concacaf-Trainern und Tickets für WM-Spiele, an Warner selbst. Allerdings durfte Beckenbauer solche Absprachen nicht allein treffen, sie hätten noch der Zustimmung des DFB-Präsidiums bedurft. Offenbar ist das ausgehandelte Abkommen nie in Kraft getreten.
Warner hatte sich schon in der Vergangenheit mit ähnlichen Deals bereichert, aber galt damals als Unterstützer Südafrikas. DFB-Insider vermuten, der Vertrag mit dem unzuverlässigen Warner sei nur eine Rückabsicherung gewesen, die am Ende gar nicht benötigt wurde. Die Abstimmung wurde 12:11 gegen Südafrika gewonnen, weil alle vier asiatischen Vertreter wohl für die Deutschen stimmten. Deren Stimmen seien gekauft worden, deutete der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger an. Von all dem will Niersbach bis zu seinem Rücktritt nichts gewusst haben. Es scheint seltsam, dass der DFB die Dokumente nicht selbst in den eigenen Akten fand. Insider vermuten, der Fund der Kanzlei sei ein willkommener Vorwand für die Verbandsspitze gewesen, um Niersbach einen Rücktritt ohne Schuldeingeständnis schmackhaft zu machen. Ebenso sein Verbleib in den Exekutivkomitees von Uefa und Fifa. Am Dienstag reiste Niersbach zu einem Treffen der Europäer in Nyon. Die Uefa könnte jederzeit einen anderen Vertreter berufen, der auch in den Weltverband aufrücken würde. Dabei bleibt neben der politischen auch Niersbachs persönliche Verantwortung. Wusste er von der Zahlung von 6,7 Millionen Euro an die Fifa und von Steuerhinterziehung? Wenn er Öffentlichkeit und Verbände belogen hätte, wäre Niersbach in keinem Amt mehr zu halten. Die Affäre scheint für ihn ebenso wenig ausgestanden wie für seinen langjährigen Freund Beckenbauer.