Affäre um DFB und WM 2006: Es war einmal das Land der Saubermänner
Alles Lug und Betrug im Land des moralischen Weltmeisters? Mit dem vermutlich gekauften Fußball-Sommermärchen muss ein weiteres Stück deutsches Selbstverständnis neu bewertet werden. Ein Kommentar.
Es hat lange gedauert, aber schließlich hat es auch Wolfgang Niersbach eingesehen. Als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) war er nicht mehr zu halten.
In der Affäre um angeblich gekaufte Stimmen vor der Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 wirkte er bestenfalls unbedarft, mindestens überfordert. Mit seinem desaströsen Krisenmanagement hat er den DFB schwer beschädigt.
Nun ist Niersbach zurückgetreten und hat den größten Einzelsportverband der Welt so zumindest aus seiner schweren Führungskrise entlassen. Er selbst will seine Entscheidung ausdrücklich nicht als persönliches Schuldeingeständnis verstanden wissen. Für ihn persönlich gilt auch weiter die Unschuldsvermutung. Ob er mit seiner Unterschrift unter einer vermeintlich fehlerhaften Steuererklärung seinem Verband und dem Steuerzahler geschadet hat, muss die Staatsanwaltschaft Frankfurt klären.
Doch mit dem Rücktritt des unglücklichen Präsidenten wird nun der Blick ein wenig freier auf die dahinter schwelende Frage. Es geht darum, ob die Fußball-WM 2006, das schwarzrotgoldene Sommermärchen, die Nation auf redlichem Weg erreichte. Oder ob die damals Verantwortlichen, neben Niersbach auch sein Vorgänger Theo Zwanziger und Franz Beckenbauer, sich dafür der Klaviatur aus Einflussnahme und Bestechung bedienten, die man noch vor kurzem dem skandalösen Weltverband Fifa vorgehalten hat.
Niersbachs Abtritt ist wohl ein Indiz dafür, dass sich die bisherige Verteidigungslinie des DFB in der Sommermärchen-Affäre nicht länger aufrechterhalten lässt. Bei der WM-Vergabe sei „alles mit rechten Dingen zugegangen“, hatte Niersbach noch kürzlich behauptet, es habe keine schwarzen Kassen gegeben, die ominösen 6,7 Millionen Euro seien nicht zum Stimmenkauf verwendet worden. Am Montag hörte sich das alles nicht mehr so blütenweiß an. Er sprach von „Ereignissen rund um die WM-Vergabe“, die er nicht zu verantworten habe, für die er aber die politische Verantwortung übernehmen müsse.
Die Personalie Niersbach ist nur ein Stein in einem größeren Domino
Die Ermittlungen haben wohl ein brisantes Schriftstück zutage befördert. Es soll die Vermutung befeuern, dass Stimmen von Mitgliedern des Weltverbands Fifa gekauft wurden. Auch dass der DFB nun drei Wochen nach den ersten Anschuldigungen in diese Richtung keine rechtlichen Auseinandersetzungen mehr mit dem „Spiegel“ führen will, spricht dafür, dass die Personalie Niersbach nur ein Stein in einem größeren Domino ist.
Hier steht ein Stück deutsches Selbstverständnis auf dem Spiel, das sich nicht nur auf den Fußball beschränkt. Dem Land der Saubermänner droht nach dem VW-Skandal eine weitere Blamage. Waren es nicht auch gerade die Deutschen, die den klammen Griechen verschwendete Millionen anlässlich der Olympischen Spiele 2004 vorwarfen? Und nun soll alles Lug und Betrug sein, ausgerechnet im Land des moralischen Weltmeisters?
Auch wir, die damals womöglich auf den Fanmeilen gejubelt haben, müssen nun vieles neu bewerten. Was tun wir, wenn es wahr sein sollte, wenn die WM wirklich gekauft war? Müssen wir unsere Fantrikots verbrennen? Unseren ganz persönlichen Märchensommer rückblickend umschreiben, gar widerrufen?
In dieser Frage ist sich Deutschland nun vermutlich näher als bei der Feierei vor neun Jahren. Das Sommermärchen hatte eine derartige gesellschaftliche Relevanz, dass auch eventuelle Schattenseiten gesamtgesellschaftlich bewältigt werden müssen. Die Fußballrepublik wird dabei im schlechtesten Fall einen Prozess durchlaufen müssen, den bislang vor allem die Ostdeutschen nur zu gut kennen. Es ist der geistige Brückenschlag zwischen der individuellen Erinnerung und einer total veränderten Großwetterlage. Es bringt nichts, diese neue Realität zu verleugnen. Aber es bringt genauso wenig, alles zu verdammen, was mit dem real existierenden Sommermärchen zu tun hat.
Wolfgang Niersbach ist zurückgetreten. Die Aufarbeitung aber hat wohl gerade erst begonnen.
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