Bayern-Aus gegen Liverpool: Der deutsche Fußball muss sich wieder neu erfinden
Himmelherrgottnoamoi! Bayern München scheidet gegen Liverpooler aus, die nie an Grenzen gehen müssen. Kein Bundesligist steht im Viertelfinale. Ein Kommentar.
Uli Hoeneß hatte eine Art Regierungserklärung angekündigt, es sollte dabei mutmaßlich um die Größe seines Klubs gehen und die ihm entgegengebrachte Geringschätzung, vor allem seitens des Bundestrainers. Dann aber kam die Wirklichkeit, und die traf den Präsidenten des FC Bayern ähnlich hart wie sein kickendes Personal. 1:3 im Rückspiel gegen den FC Liverpool, und das nach dem verheißungsvollen 0:0 vor drei Wochen im Hinspiel ... Himmelherrgottnoamoi-Kruzefixhalleluja-Sakrament!
So ein K.o. im Achtelfinale der Champions League verträgt sich mit dem Münchner Anspruchsdenken wie die CSU mit dem Tempolimit. Also fiel die Regierungserklärung aus und Hoeneß sprach am späten Mittwochabend: „Ich sage nur einen Satz: Liverpool hat verdient gewonnen.“
Das war der kleinste gemeinsame Nenner aller mittel- und unmittelbar Beteiligten, vom Torhüter Manuel Neuer bis zum Trainer Niko Kovac, der auch zu später Stunde nicht müde wurde, die Klasse des Gegners zu preisen. Mit jeder Eloge ließ sich die Münchner Enttäuschung ein Stück weiter relativieren, denn wer gegen eine so starke Mannschaft ausscheidet, kann selbst so schwach nicht sein.
Das ist schön gedacht und trifft die Wahrheit doch nur bedingt. Der FC Liverpool spielt in diesem Jahr in eher bescheidener Form auf. Er hatte bis zum Achtelfinale alle Champions-League-Auswärtsspiele dieser Saison verloren und in den vergangenen Wochen in der Premier League einen so großen Vorsprung auf Manchester City verspielt, wie ihn die Bayern im selben Zeitraum gegen Borussia Dortmund aufgeholt haben. In München legten die Engländer nur eine durchschnittliche erste Halbzeit hin und auch in der zweiten, sehr viel besseren, gab es einige Wackler. Es war die individuelle Klasse von Virgil van Dijk, Mohamed Salah und Sadio Manè, die das Spiel entschied.
Da liefen die Bayern nur noch hinterher, es fiel ihnen nichts mehr ein, weder auf dem Platz noch auf der Bank. Wer zehn Minuten vor Schluss zwei Tore braucht und den auf eine liebenswürdige Art unbeholfenen Portugiesen Renato Sanches auf den Platz schickt, der darf sich über Mitleid nicht beschweren. Die Wahrheit ist, dass der FC Liverpool eine stabile Vorstellung zeigte und doch nie an seine Grenzen gehen musste. Dafür war Bayern München einfach nicht gut genug. Zu limitiert im Denken und in der Ausführung, als dass der ansprechenden Defensivleistung im Hinspiel ein offensives Äquivalent hätte folgen können.
Es fügt sich nahtlos ans WM-Desaster an
Das sagt genug über das Niveau des deutschen Klubfußballs, auch und gerade im Vergleich mit der Premier League, über die man sich hierzulande in den vergangenen Jahren gern ein wenig lustig gemacht hat. Von wegen: So viel Geld, und keiner weiß damit umzugehen. Nach den drei einseitigen deutsch-englischen Duellen im Achtelfinale der Champions League lacht niemand mehr. Das fügt sich schön in das Desaster bei der WM im vergangenen Jahr und dem sich anschließenden Misserfolg in der Nations League. Jetzt hat die Bundesliga erstmals seit 2006 keinen Klub in das Viertelfinale des wichtigsten Klubwettbewerbs der Welt durchgebracht.
2006 fand und erfand sich der deutsche Fußball über sein Sommermärchen neu. Und diesmal? Sein Souverän genügt sich darin, die Bundesliga zu beherrschen. Die Bayern feiern Siegesserien über nicht satisfaktionsfähige Mannschaften wie Augsburg, Wolfsburg oder Mönchengladbach, wahrscheinlich wird es im Frühjahr wieder zur Meisterschaft reichen. International aber stehen sie kurz davor, den Anschluss an das Top-Niveau zu verlieren. Zur Trendwende wird mehr nötig sein, als im Sommer das Festgeldkonto bei der Hausbank zu plündern.