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Nicht zu halten. Marshawn Lynch (24) auf dem Weg in die gegnerische Endzone.
© dpa

Die NFL gegen Marshawn Lynch: Der Böse und das Biest

Marshawn Lynch ist einer der spektakulärsten Spieler der NFL – und gleichzeitig ihr größtes Problemkind, weil er partout nicht mit den Medien spricht. Wegen seiner konsequenten Interview-Verweigerung hat die Liga vor dem Super Bowl den Machtkampf ausgerufen.

Es ist genau ein Jahr her, da stand Marshawn Lynch im Rahmen eines Pressetermins kurz vor dem Super Bowl irgendwo am Rande herum, als Ex-NFL-Star Deion Sanders in seiner Funktion als Fernsehreporter auf ihn zuging und ein kleines Interview führte. Der verschüchtert wirkende Lynch, versteckt hinter Kapuze und Sonnenbrille, plauderte ein wenig mit Sanders und beantwortet ein paar Fragen. Nichts Besonderes, nur ein bisschen Smalltalk.

Und doch ist es ein äußerst bemerkenswertes Interview – allein schon deswegen, weil Sanders es überhaupt geschafft hat, ein paar Worte und sogar halbwegs ganze Sätze aus Lynch herauszulocken. Denn Lynch, Running Back der Seattle Seahawks und auch in diesem Jahr wieder im Super Bowl mit dabei, spricht normalerweise nicht viel. Schon gar nicht mit den Medien.

Interviews mit ihm sehen sonst eher so aus, dass er entweder gar nichts sagt oder auf jede Frage mit dem gleichen Satz antwortet. „Marshawn, können Sie ihren Touchdown-Lauf von vorhin beschreiben?“ „Danke fürs Fragen.“ „Und was war mit ihren Magenproblemen?“ „Danke fürs  Fragen.“ Und so weiter. Nach einem spektakulären Sieg seiner Mannschaft über die Arizona Cardinals in dieser Saison antwortete er auf jede Frage einfach nur: „Ja“, minutenlang.

„Bei mir geht’s um Taten“, erklärte der eigenwillige 28-Jährige in dem Gespräch mit Deion Sanders. „Ich habe noch nie gesehen, dass durch Reden irgendwas gewonnen wurde“. Eine bemerkenswerte und vielleicht auch ehrenhafte Einstellung – die nur etwas problematisch wird, wenn man als Megastar und Hauptprotagonist beim größten Medien-Sport-Ereignis der Welt im Rampenlicht steht.

Marshawn Lynch ist ein Phänomen. Mit seinem einzigartigen Laufstil und seiner unbändigen Kraft hat er sich den Spitznamen „Beastmode“ erspielt und als einer der besten Running Backs der vergangenen Jahre großen Anteil am Erfolg seiner Seahawks. Sein unglaublicher Touchdown-Lauf im Wildcard-Match 2011 gegen die New Orleans Saints ist als „Beastquake“ jetzt schon legendär. Auch im diesjährigen Super Bowl in der Nacht zu Sonntag werden sich Football-Fans von seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten überzeugen können.

Lynch nimmt sogar Geldstrafen der NFL in Kauf - er redet einfach nicht gern

Eigentlich könnte sich die NFL also glücklich schätzen, diesen Spieler als Aushängeschild zu haben. Doch dazu gehört heutzutage nun mal auch, dass man den Medienzirkus mitmacht oder zumindest ein Mindestmaß an Kooperation zeigt. Und das verweigert Lynch seit jeher mit ausdauernder Sturheit. Immer wieder nimmt er Geldstrafen in Kauf, die die NFL mit ebenso ausdauernder Sturheit gegen ihn ausspricht – denn Interviews geben, gehört nach Auffassung der Liga-Bosse zum Job der Spieler.

So hat sich das Ganze zu einem grotesken Kreislauf entwickelt: Das „Biest“ wird nicht reden und jeder weiß es – doch niemand lässt locker. Somit dreht sich das Hamsterrad weiter: Lynch wird zu Presseterminen gezwungen, erscheint entweder gar nicht oder sagt nichts, die NFL drückt ihm eine Geldstrafe auf und die Medien werfen sich jedes Mal erneut auf den eigenwilligen Superstar, obwohl sie genau wissen, dass es so laufen wird wie immer.

In den vergangenen Wochen ist das Vorgehen der NFL-Bosse dabei immer härter geworden, es wirkt, als hätten sie den Machtkampf ausgerufen um an dem eigenwilligen Rebell ein Exempel zu statuieren. Vor dem „Media-Day“ in der vergangenen Woche, dem traditionellen Schaulaufen der Super-Bowl-Teilnehmer vor der versammelten Weltpresse, soll Lynch sogar ein Bußgeld von 500.000 Dollar angedroht worden sein, falls er den Termin schwänzen sollte. Das Resultat: Lynch erschien, antwortete aber auf jede Frage mit dem gleichen Satz: „Ich bin nur hier, damit ich nicht bestraft werde“.

Das Basecap, dass Lynch dabei trug: nicht von der NFL lizenziert. Auch dafür soll er jetzt zur Kasse gebeten werden. Und wegen seines Touchdown-Jubel, bei dem er sich oftmals mit einer Hand in den Genitalbereich fasst, hat die Liga vorm Super-Bowl kurzerhand das Regelwerk erweitert: Zeigt Lynch den anzüglichen Jubel, gibt es nicht nur die übliche Geldstrafe, sondern auch einen Penalty von 15 Yards Raumverlust – eine deutlich empfindlichere weil unmittelbar auf den Spielverlauf Einfluss nehmende Strafe.

Wegen seines anzüglichen Touchdown-Jubels hat die NFL sogar die Regeln erweitert

Die Geschichte hat auch etwas von David gegen Goliath. Auf der einen Seite Lynch, der introvertierte Einzelkämpfer aus schwierigen sozialen Verhältnisse, der nicht gerne im Rampenlicht steht und am liebsten jeglichen Medienrummel vermeiden würde  – gleichzeitig aber als einer der besten und spektakulärsten Spieler der NFL ein riesiges öffentliches Interesse auf sich zieht. Auf der anderen Seite die Liga mit ihrem Boss Roger Goodell, dem ungeliebten Anzugträger, der nicht müde wird darauf zu pochen, dass Kooperation mit den Medien einfach zum Beruf eines Football-Profis dazugehört, ob es einem passt oder nicht.

Nach allem was bisher vorgefallen ist muss man davon ausgehen, dass keiner der beiden Streithähne klein beigeben wird. Lynch wird früher oder später seine Karriere beenden, gerüchtehalber vielleicht sogar schon nach diesem Super Bowl, und danach endlich so zurückgezogen leben können, so wie er es am liebsten jetzt schon hätte. NFL-Boss Goodell wird weiterhin jeden Verstoß gegen die Liga-Auflagen ahnden und dabei die harte Linie aus dem Fall Lynch als Maßstab für zukünftige Problemfälle nutzen können. Und die vielen Journalisten werden sich weiterhin viele schlaue Fragen an Marshawn Lynch überlegen und sie ihm an den Kopf werfen, obwohl sie genau wissen, dass keine Antwort zurückkommen wird. 

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