Big Four – die US-Sport-Kolumne: Dennis Schröder blüht in Oklahoma City auf
Viele Experten sahen den Wechsel des Nationalspielers aus Atlanta als Rückschritt. Doch die Zusammenarbeit mit Russell Westbrook macht Schröder noch besser.
Ein Friseurbesuch hat ab und an etwas Symbolisches. Mit etwas Altem abschließen, mit etwas Neuem beginnen – das musste auch Dennis Schröder in diesem Herbst. Nach fünf Jahren bei den Atlanta Hawks wurde der gebürtige Braunschweiger per Spielertausch zu den Oklahoma City Thunder geschickt. Nicht wenige Experten sahen in der Station eine Sackgasse für den 25-Jährigen. Denn mit Russell Westbrook hat das Team bereits einen der besten Aufbauspieler der Welt in den eigenen Reihen. Und einen Spieler, der genau wie Schröder davon lebt, den Ball enorm oft und viel in den eigenen Händen zu halten. Der wertvollste Spieler der NBA-Saison 2016/17 gilt in der nordamerikanischen Basketballliga als Alphatier, als besessener Arbeiter und eben auch als unantastbar. Schröder, das war schnell klar, müsste sich nach zwei Jahren als fester Bestandteil der ersten Fünf der Hawks vorerst mit einem Platz auf der Bank abfinden.
Zurück zum Friseurbesuch: In Schröders Haupthaar war über Jahre ein kleiner Teil oberhalb der linken Schläfe golden gefärbt. Das Haarbüschel wurde zu seinem Markenzeichen, er stach aus der breiten Masse heraus. Die Frisur spiegelte unweigerlich auch Schröder als Basketballer wieder. Mutig, stilsicher, aber eben auch sehr selbstbewusst, manchmal vielleicht zu sehr. Schröder stellte an sich selbst den Anspruch, ein NBA-Team als Star anführen zu können. Die Aufgabe löste er in Atlanta aber nur teilweise gut.
Angepasst – und angekommen
Zu Saisonbeginn lief Schröder mit einer noch extravaganteren Frisur auf. Über seinen Schädel zog sich eine golden-blaue Welle. Die ist aber schon wieder Geschichte, der Kopf mittlerweile gleichmäßig rasiert und die Frisur für Schröders Verhältnisse fast schon angepasst und bieder. Es besteht mit großer Wahrscheinlichkeit kein direkter Zusammenhang zwischen der Haarpracht und der sportlichen Leistung, aber auch hier lassen sich Verbindungen bezüglich der Entwicklung des 25-Jährigen ziehen. Denn Schröder hat in Oklahoma den Team-Basketball für sich entdeckt. In etwas weniger Spielzeit als in der Vorsaison liefert er bei stabilen Wurfquoten weiterhin verlässlich rund 17 Punkte und fünf Assists pro Spiel ab. Auch, weil aus dem vermeintlichen Karriere-Hindernis ein -Sprungbrett wurde: „Ich brauchte jemanden wie Russell Westbrook der mir zeigt, wie es läuft. Deswegen wollte ich unbedingt mit ihm zusammenspielen. Jeder weiß, dass ich ein Fan davon bin, mit wie viel Intensität er in jedes einzelne Spiel geht“, sagte Schröder vor Saisonbeginn. Und der Schritt zurück tut ihm gut.
Schröders Spiel hat sich trotz der neuen Rolle nämlich nicht verändert. Es besticht weiterhin durch enormes Tempo, den unwiderstehlichen Zug zum Korb und die sehr selbstbewusste Wurfauswahl. Diese Qualitäten kommen nun aber noch besser zum Tragen, da Schröder von der Bank kommend regelmäßig gegen die zweite Garde des Gegners spielt. Und niemand in Oklahoma will, dass Schröder sich verändert. Im Gegenteil: Westbrook selbst habe laut Schröder im Sommer mehrfach angerufen, um den Wechsel zu realisieren.
Richtung Spitze
Als ebenjener Westbrook kurzzeitig verletzt ausfiel, führte Schröder das Team als Taktgeber und Punktesammler zu fünf Siegen aus sechs Spielen. Als Westbrook zurückkam, musste Schröder wieder auf die Bank. Das erkannte er als Teil des Plans an und agiert seitdem weiter als enorm wichtiges Puzzlestück eines harmonischen Kollektivs, das um die Spitze der Western Conference mitspielt und eine der besten Verteidigungen der NBA stellt. „Ob ich von der Bank komme oder nicht, ist mir gleich. Denn wir haben eine spezielle Truppe zusammen, die viele Teams überraschen kann“, sagt Schröder über seine neue Rolle. Dass er nicht mehr, wie noch in Atlanta, quasi alleinverantwortlich für den Erfolg seines Teams ist, entlastet und beflügelt ihn. Zumal er zeitgleich von einem Spieler wie Westbrook lernen kann, der schon das Kaliber eines Superstars hat, das Schröder eines Tages selbst haben will. Sollte er diesem Ziel in Oklahoma Schritt für Schritt näherkommen, wäre das auffällig genug. Auch ohne spektakuläre Frisur.
Louis Richter