Vegas Golden Knights: Das Wunder aus der Wüste
Eisbären-Legende Stefan Ustorf hat in Washington und in Las Vegas gespielt. Vor dem NHL-Finale blickt er voraus auf eine nicht nur für ihn besondere Serie.
Stefan Ustorf steht vor einem Rätsel. „Ich versuche immer noch herauszufinden, was da passiert“, sagt der Chef der Spielerentwicklung bei den Eisbären Berlin. Die Vegas Golden Knights haben es ins Finale der National Hockey League (NHL) geschafft. Nicht nur Ustorf glaubt: „Eine derartige Geschichte hat es im Mannschaftssport noch nie gegeben.“
Wer vor der Saison auf den Titelgewinn des Teams gewettet hat, dem winkt jetzt großer Reichtum. Die Quote auf die Golden Knights stand im Oktober 2017 bei 500:1 – jetzt fehlen ihnen nur noch vier Siege gegen die Washington Capitals, um eines der größten Wunder der Sportgeschichte perfekt zu machen. In der Nacht auf Dienstag steigt das erste Finale um den Stanley Cup – es wird eines der meistgesehenen in der jüngeren Vergangenheit der NHL. Denn die Geschichte der Golden Knights ist einfach zu besonders.
Las Vegas ist als sogenanntes Expansion Team im Herbst des Vorjahres in die erste Saison in der NHL gestartet. Die Liga wurde durch die Golden Knights um einen Klub größer, dafür mussten alle anderen Mannschaften Spieler an den Neuling abtreten. Allerdings durfte sich Las Vegas nicht wahllos bedienen, absolute Topstars wurden nicht für einen Wechsel freigegeben.
Aus zweit- und drittklassigen Profis entstand eine Einheit
So blieben nur vermeintlich zweit- und drittklassige Profis. Ein William Karlsson zum Beispiel war im Angebot, er hatte in der Saison 2016/17 gerade mal sechs Tore für die Columbus Blue Jackets geschossen. Vegas griff zu – und an neuer Wirkungsstätte explodierte Karlsson und erzielte 43 Treffer. Der Schwede ist kein Einzelfall: „Viele Spieler haben eine Saison gespielt, wie sie vorher noch nie hatten“, sagt Stefan Ustorf. Die Mannschaft sei sehr ausgeglichen besetzt, „sie haben praktisch vier zweite Reihen.“
Normalerweise ist ein neu zusammengestelltes Team in einer Liga wie der NHL mehr oder weniger chancenlos und so hatten den Golden Knights dann auch nur wenige Experten überhaupt den Einzug in die Play-offs zugetraut. Ein tragisches Ereignis wird oft als ein möglicher Grund für den bemerkenswerten Lauf des Teams herangeführt. Am 1. Oktober erschoss ein Mann in Las Vegas aus einem Hotelzimmer heraus 58 Menschen und verletzte viele weitere. Die Stadt stand danach unter Schock, versammelte sich aber anschließend auch hinter ihrem Eishockey-Team. Acht der ersten neun Spiele gewannen die Golden Knights, die Begeisterung und das Zusammengehörigkeitsgefühl wuchsen von Sieg zu Sieg.
Stefan Ustorf hat selbst einmal in Las Vegas gespielt, in der Saison 1998/99 in der International Hockey League bei den Thunder. „Uns hat es sehr gut gefallen in der Stadt, auch wenn wir sportlich mit der Truppe damals viel durchmachen mussten.“ Vor seiner Zeit in Nevada war Ustorf auch vier Jahre in der Organisation der Washington Capitals, 59 Mal spielte er für den Klub in der NHL. Auch deshalb hängt sein Herz heute immer noch an den Caps. „Ich würde mich schon sehr freuen für Washington, weil ich dort noch viele Leute kenne“, sagt Ustorf und ergänzt: „Die Capitals haben seit Jahren ein Team mit großen Möglichkeiten. Aber sie haben oft einfach stärkere Gegner gehabt.“ Mit den Vegas Golden Knights treffen sie diesmal auf einen Kontrahenten, der vielleicht nicht unbedingt besser ist, dafür aber umso unberechenbarer.