Zu der Mitgliederversammlung: "Das Olympiastadion ist Herthas größtes Pfund"
Soll Hertha eine neue Fußballarena bauen? In Brandenburg? Steffen Toll, Vorsitzender des Förderkreises Ostkurve, hat sich schon entschieden.
Herr Toll, mit welchen Gefühlen verfolgen Sie als Vorsitzender vom Förderkreis Ostkurve“ Herthas Stadiondebatte?
Viel Neues und Konkretes gibt es eigentlich nicht, aber durch die jüngsten Aussagen der Vereinsführung ist wieder Fahrt in dieses Thema gekommen.
Herthas Vereinspräsident Werner Gegenbauer möchte Anfang des neuen Jahres mögliche Standorte einer Fußballarena vorstellen. Vieles deutet auf einen Standort in Brandenburg hin.
Es geht doch nicht darum, wo in Brandenburg gebaut wird, sondern aus unserer Sicht geht es erst einmal um die Grundsatzfrage: Olympiastadion ja, oder nein. Bei einigen von uns kommt das Gefühl auf, dass die Entscheidung schon gefallen ist, dass die Weichen schon in Richtung Neubau gestellt sind.
Das würde bedeuteten, dass die Vereinsführung sich bereits gegen das Olympiastadion entscheiden hat?
Ich hoffe nicht. Ich höre immer mehr Stimmen, die nein sagen zu Brandenburg. Es heißt, dann wollen wir lieber bleiben, wo wir sind.
Was spricht aus Ihrer Sicht gegen das Olympiastadion?
Offiziell heißt es ja vom Berliner Senat, dass wir ein Fünf-Sterne-Luxusstadion haben. 2006 hat das WM-Finale und 2015 das Finale der Champions League stattgefunden. Das stimmt. Ich weiß allerdings nicht, wie die Bewertung in zehn oder zwanzig Jahren ausfällt. In einem Neubau kann man bestimmte Dinge natürlich besser berücksichtigen, dem Olympiastadion setzt der Denkmalschutz Grenzen.
Sie begleiten Hertha auf vielen Auswärtsfahrten. Was macht moderne Fußballarenen attraktiv?
Das ist eigentlich nur ein Punkt: Diese Stadien haben keine Laufbahn. Deshalb ist das Publikum näher am Spiel. Die Atmosphäre ist enger und lauter. Wenn in Dortmund 20000 auf der Südtribüne singen, ist es lauter, als wenn bei uns 15000 in der Ostkurve singen und der Schall irgendwo in der Weite landet. Aber alle Stadien, die zuletzt gebaut wurden, werden sich immer ähnlicher. Gerade die auf der grünen Wiese. Wenn Sie mir von diesen Stadien Fotos ohne Namen oder Vereinsemblem zeigen, dann würde es mir schwer fallen, sie zuzuordnen.
Sie schämen sich also nicht, wenn Sie als Fan ins Olympiastadion gehen?
Im Gegenteil. Wir treffen uns bei Heimspielen immer auf dem Parkplatz vor der Ostkurve, man sieht die Olympischen Ringe. Bei einem Abendspiel leuchten sie wie das Stadion – einfach sensationell! Das Olympiastadion ist einzigartig. Der Verein sucht nach Identität und versucht, mit neuen Kampagnen sich in der Stadt zu positionieren, aber das größte Pfund lässt er liegen.
Wie könnte Hertha eine bessere Auslastung des Stadions erreichen?
Das Problem haben wir seit vielen Jahren. Letztlich ist es eine Kombination aus vielen Faktoren. Viele, die in den letzten Jahren nach Berlin gezogen sind, suchen sich nicht hier einen Verein aus, sondern sie bringen einen aus ihrer Heimat mit. Hertha müsste an deren Kinder ran und sie für sich gewinnen. Der Verein hat aber wohl keine Zeit, alles muss schnell gehen. Die Mitgliederzahl des Verein ist stetig gewachsen, der harte Kern in der Kurve wächst auch. Ich halte es für falsch, durch eine Verknappung der Zuschauerkapazität eine bessere Auslastung hinzubekommen.
Das Problem bilden doch nicht die Zuzügler allein.
Stimmt. Ich bin 44, in meiner Altersklasse klafft eine große Lücke. Wir reden uns in den letzten Jahren ja auch schlecht. Über das Stadion wird gejammert, es sei zugig und ungemütlich. Mag ja sein, dass es mal ein bisschen frischer ist, aber wenn guter Fußball gespielt wird wie jetzt, dann darf das auf Dauer kein Problem sein.
Die Fans haben so lange gemeckert bis der Klub reagiert. Kriegen die Fans jetzt etwa kalte Füße?
Gemeckert wird in Berlin immer. Wenn das Olympiastadion gegen die Bayern oder Dortmund ausverkauft ist, wird auch gemeckert, weil man mal zehn Minuten irgendwo anstehen und warten muss. In anderen Städten bricht schon bei 50 000 Zuschauern ein Chaos aus. Und wissen Sie, was ich auch noch mag am Olympiastadion: Es trägt keinen komischen Sponsoren-Namen.
Was würde es bedeuten, wenn Hertha hinter die Stadtgrenze zöge?
Das ist wohl eher eine psychologische Grenze. Ob es nun drei Meter hinter Spandau liegt oder drei Meter davor, macht räumlich keinen großen Unterschied, aber wenn es in Brandenburg, einem anderen Bundesland liegt, dann wird es schwierig. Sehen Sie, es gibt auch Argumente für einen Stadionneubau, aber fast alle in meinem Umkreis sind sich einig, dass die Arena in Berlin stehen muss.
Was, wenn das neue Stadion keine Ostkurve hätte?
Über diese Brücke gehe ich noch lange nicht. Wenn es zu einem Umzug käme, würde der Verein die Tradition sicher mitnehmen wollen. Ich glaube, dass es nicht verkehrt ist, eine Machbarkeitstudie in Auftrag zu geben. Meine Hoffnung ist, dass es einfach keinen besseren Standort gibt als den, den wir jetzt haben. Es gibt keinen Ort, auch nicht in Berlin, mit einer besseren Verkehrsanbindung. Außerdem finde ich, dass wir schon jetzt eine gute Stimmung haben. Für die sorgen wir ja, auch wenn wir auf der anderen Stadionseite nicht so gut zu hören sind. Aber wir kriegen viele Komplimente von den Fans anderer Vereine. Es gibt in Deutschland kaum eine Kurve mit Unter- und Oberrang, wo so viele Menschen sich einhaken und hüpfen.