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Er habe wegen seiner Prothese einen Vorteil im Wettbewerb und darf deswegen nicht antreten. Leichtathlet Markus Rehm.
© dpa

Markus Rehm über die Analyse seiner Prothese: „Das ist einfach eine Unterstellung“

Die Entscheidung über seine Teilnahme an der EM sei nicht gerechtfertigt: Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht Markus Rehm über die Analyse seiner Prothese, über Chancengleichheit im Wettbewerb und die Leistung von paralympischen Athleten.

Herr Rehm, der Deutsche Leichtathletik-Verband hat Sie nicht für die EM nominiert. Wie haben Sie die Entscheidung des DLV aufgenommen?

Natürlich bin ich enttäuscht. Es wäre für mich eine Riesenehre gewesen, da zu starten. Für jeden Athleten ist es eines der größten Dinge, für sein Land anzutreten.

Können Sie die Begründung des DLV nachvollziehen?
Den einen oder anderen Faktor schon, andere Faktoren nicht. Ich habe zwar kein Sprunggelenk, aber dafür eine Schnittstelle zwischen Körper und Prothese. Das ist bei mir eine riesige Schwachstelle. Aber das wird gar nicht gesehen, solche Faktoren sind in die Untersuchung überhaupt nicht eingeflossen. Das wird völlig ausgeblendet. Natürlich ist mein Sprung effizient, aber nach meinen Nachteilen wird überhaupt nicht geschaut. Das finde ich schade und nicht korrekt.

Sie haben bereits frühzeitig gesagt, Sie stünden für alle Untersuchungen zur Verfügung. Bis zum vergangenen Wochenende ist aber nichts passiert.
Genau das ist das Problem. Die Entscheidung wurde über’s Knie gebrochen. Man hatte seit Februar Zeit, das wurde vielleicht ein bisschen verschlafen. Ich sehe ein, dass man kurz vor der deutschen Meisterschaft keine Analyse mehr machen konnte. Jetzt hat man sich aber nur zwei Tage genommen und genau das gemacht, was aus meiner Sicht keinen Sinn macht.

Nämlich?
Es wurde nur der Absprung vermessen. Selbst Professor Brüggemann von der Sporthochschule Köln, der uns Prothesenträgern immer sehr kritisch gegenüber steht, hat gesagt, mit den in Ulm generierten Daten könne man keine zuverlässige Auswertung machen. Das sei nicht seriös. Aber genau das ist geschehen.

Sie hatten angekündigt, gegen eine eventuelle Nichtnominierung keine Rechtsmittel einlegen zu wollen. Bleibt es dabei?
Ich habe immer gesagt: Ich will mich nicht einklagen, das ist nicht meine Art, ich vertraue auf kluge Entscheidungen vom Leichtathletik-Verband. Ich habe mir aber immer vorbehalten, rechtliche Schritte zu überlegen, wenn ich nicht fair behandelt werde. Ich finde die Aussagen der Analyse nicht nachvollziehbar. Ich werde jetzt noch einmal das Gespräch suchen und mich mit meinem Team besprechen. Ich will aber keinen Rechtsstreit anzetteln.

Die Entscheidung auf sich beruhen lassen wollen Sie aber auch nicht.
Mir ist wichtig, dass es nicht falsch rüberkommt. Wenn der DLV uns Prothesenträger und den ganzen paralympischen Sport so darstellt, dass wir alle nur Vorteile haben durch die Prothesen, dann ist das einfach eine Falschaussage. Da geht es nicht mehr um mich, sondern um alle anderen Athleten. Das ist einfach eine Unterstellung. Da steckt viel Leistung, Athletik und Fleiß dahinter – und nicht nur Prothesen. Wenn das aber die Aussage der Analyse ist, werde ich das sicher anfechten und nicht akzeptieren. Ich fordere, dass die Untersuchung ganzheitlich geführt wird. Für mich ist die Untersuchung noch nicht zu Ende.

Sie fühlen sich also unfair behandelt?
Ja. Das Problem ist, dass selbst renommierte Biomechaniker von Anfang an gesagt haben, dass der Anlauf miteinberechnet werden muss. Der Vorteil, den ich auf der einen Seite vielleicht habe, wird an einer anderen Stelle eventuell komplett entkräftet. Aber das scheint keinen wirklich zu interessieren.

War der DLV ihrer Meinung nach mit der Dimension der Debatte überfordert?
Ich glaube schon. Da haben viele Leute nicht geglaubt, dass ich zu dieser Leistung imstande bin. Und gehofft, dass dieser Fall nicht eintreten wird. Natürlich war die ganze Diskussion eine große Belastung. Aber ich bin ehrlich: Gewisse Verhaltensweisen anderer Leute haben mich eher noch motiviert, eine gute Leistung zu bringen. Beim DLV muss man sich an die eigene Nase packen. Wenn man mit dieser Situation überfordert war, hätte man es sicher auch anders haben können.

Wie geht es für Sie jetzt weiter?
Ich bin jetzt erst einmal im Trainingslager, die paralympische Leichtathletik-EM in Swansea wird für mich der nächste große Wettkampf. Ich freue mich auch sehr auf das Istaf in Berlin. Da werde ich mit Christian Reif zusammenspringen. Wir hatten in Ulm wirklich Spaß, das war ein sehr, sehr spannender Wettkampf. Darauf hoffe ich beim Istaf auch.

Wenn Sie auf die vergangenen Tage zurückblicken – fühlen Sie sich als Sieger oder als Verlierer?
Ich glaube nicht, dass wir viel verloren haben. Viele Menschen haben die Sache als Sieg für den paralympischen Sport gewertet. Weil wieder mal gezeigt wurde, zu welchen Leistungen paralympische Athleten imstande sind. Und nicht nur dank Prothesen, sondern trotz Prothese und trotz Handicap.

Das Gespräch führte Lars Spannagel.

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