Joachim Löw nach 2:1 gegen Saudi-Arabien: "Das hat mich schon geschmerzt"
Nach dem letzten Testspiel vor der WM in Russland: Bundestrainer Joachim Löw im Interview über Manuel Neuers Einsatz und die Pfiffe gegen Gündogan.
Mit dem letzte Test vor WM-Beginn konnte Bundestrainer Joachim Löw nicht wirklich zufrieden sein. Immerhin gewann die DFB-Auswahl das Spiel gegen Saudi-Arabien 2:1 (hier unser Spielbericht). Besonders schmerzen Joachim Löw die Pfiffe gegen Gündogan - aber einen Gewinner gab es trotzdem.
Herr Löw, wie ordnen Sie den letzten Test vor der Weltmeisterschaft ein?
Wenn man es auf den Punkt bringen will: Wir haben zu viele Chancen ausgelassen und zu viele Chancen des Gegners zugelassen. Die erste Halbzeit war gut. Unser Spiel nach vorne war sehr agil, sehr beweglich und gekrönt von einigen sehr gut herausgespielten Chancen. In der zweiten Halbzeit haben wir nachgelassen. Da hatte der Gegner zu viel Raum, um selber zu Torchancen zu kommen.
Wie sehr haben Sie die Pfiffe gegen Ilkay Gündogan geschmerzt?
Das hat mich schon geschmerzt, weil eine Mannschaft auch davon lebt, dass jeder Spieler unterstützt wird. Wenn ein Nationalspieler ausgepfiffen wird von der Einwechslung über alle Aktionen bis zum Ende, dann gefällt mir das natürlich nicht. Ich kann es auch schwer nachvollziehen. Ilkay hat sich jetzt mehrfach den Medien, der Öffentlichkeit gestellt und gesprochen. Er hat gesagt, dass er sich absolut mit den Werten von Deutschland und den Werten, wie wir hier leben, identifiziert, dass er keine politische Botschaft senden wollte. Ich denke, wenn ein Spieler das mehrfach sagt, dann ist irgendwann auch mal Schluss.
Was kann man denn tun, dass man diesen Ballast nicht mit nach Russland nimmt, wo auch 10.000 deutsche Zuschauer bei den Spielen im Stadion sein werden?
Ich weiß nicht, welche Reaktionen es in Russland gibt. Natürlich hat es die Spieler die letzten Wochen beschäftigt, gerade beim Ilkay hat man das gemerkt. Ich denke, er ist heute hier irgendwie da durchgegangen. Er hat sich dem gestellt bei dem Spiel. Ich habe ihn in der Kabine gesehen, er ist auch geknickt, wenn er ständig ausgepfiffen wird. Okay, da muss er jetzt einfach durch. Ich hoffe, dass er das kann. Wir werden ihn unterstützen.
Was hat Ihnen das Spiel über den Fitnesszustand von Jérôme Boateng nach dessen Oberschenkelverletzung gesagt?
Er hat im Training einen sehr guten Eindruck gemacht. Der Plan war von Anfang an ein Einsatz über 45 Minuten. Wir wollten nichts riskieren. Es ist fraglich, ob er die Kraft für 90 Minuten gehabt hätte. Wir haben noch eine Woche bis zum ersten WM-Spiel und können auch noch im Turnier arbeiten mit ihm.
Herr Löw, Marco Reus ist zunächst mal gesund durch die Vorbereitung gekommen und hatte in diesem Spiel gute Aktionen. Wir haben Sie ihn gesehen?
Gut. In der ersten Halbzeit hat er wahnsinnig gute Laufwege gemacht, war sehr agil, sehr beweglich. Dadurch haben wir einige Möglichkeiten herausgespielt, weil er vom Mittelfeld immer wieder in die Tiefe gegangen ist, so wie beim ersten Tor. Das bereitet er super vor. Marco hat in der ersten Halbzeit wirklich gute Aktionen gehabt, da war ich sehr zufrieden mit ihm.
Hat er einen Platz in der Startelf gefunden?
Ich bin erstmal froh, dass er diesmal beim Turnier dabei ist. Und ich bin überzeugt, dass er wichtige Akzente setzen kann und einen wesentlichen Beitrag leisten wird, dass wir in diesem Turnier hoffentlich sehr weit kommen. Wie die Mannschaft gegen Mexiko aussieht, weiß ich noch nicht. Eines steht auf jeden Fall fest: Die Mannschaft, die im ersten Spiel spielt, spielt nicht das ganze Turnier durch. Wichtig ist, dass wir Leute haben, die von der Bank für Entscheidungen sorgen können und Impulse geben.
Warum hat Manuel Neuer nur eine Halbzeit gespielt?
Grund war Spielpraxis für Marc ter Stegen. Es war vor dem Spiel abgesprochen, 45 Minuten für Manuel und 45 Minuten für Marc. Auch der zweite Torhüter braucht Spielpraxis. Aber Manu ist absolut okay.
Wie erklären Sie sich, dass die Mannschaft das Niveau nicht halten konnte in der zweiten Hälfte? Bei wieviel Prozent sehen Sie sie?
Wir müssen sicherlich noch drauflegen, klar. So viele Räume dem Gegner zuzugestehen, geht nicht immer gut. Wir haben zwei Wochen relativ viel und manchmal sehr intensiv trainiert. Darum war klar, dass die Mannschaft jetzt noch nicht diese Frische und Dynamik hat.
Klaus Bergmann, dpa