Skispringen: Das Geheimnis des Fliegens
Die Vierschanzentournee soll mit neuen technischen Hilfsmitteln interessanter werden. Davon könnten alle profitieren - bis auf die DSV-Springer.
In den vergangenen Jahren hat sich Skispringen zu einer echten Hightech-Sportart entwickelt. Längst entscheiden nicht mehr nur die Weite und die Haltungspunkte über den Sieger. Windpunkte werden vergeben, um Vor- oder Nachteile für Springer durch die Verhältnisse in der Luft auszugleichen. Wenn der Anlauf und somit die für die Weite mitentscheidende Geschwindigkeit der Springer verändert wird, fließen Gatepunkte in die komplizierte mathematische Berechnung der Punkte für jeden Sprung ein.
So wird Skispringen vielleicht ein Stück gerechter – vor allem aber dient das der besseren Vermarktung des Sports und den Interessen der TV-Stationen. Schließlich können so auch Springen bei komplizierten Wetterverhältnissen in einem begrenzten Zeitrahmen durchgezogen werden. Früher musste bei einer Veränderung der Anlauflänge der ganze Durchgang neu gestartet werden. Attraktiver ist das Fliegen für den TV-Zuschauer auch durch die Einblendung einer Linie geworden, die anzeigt, wie weit der jeweilige Springer fliegen muss.
250 Bilder pro Sekunde
Bei dieser 66. Vierschanzentournee bekommt der Fan am Bildschirm nun durch eine neue Technologie eine ganz neue Information geliefert. Bei einigen Springern wird angezeigt, um wie viele Zentimeter der optimale Absprungpunkt verpasst wurde. Möglich machen das acht um den Schanzentisch in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen montierte Highspeed-Kameras, die jeweils 250 Bilder pro Sekunde liefern. Dazu gibt es ein zweites neues System in der Szene – ein kleiner Chip, der in einer kleinen Dose hinter der Bindung montiert wird. Und genau bei dem geht es diesmal um viel mehr als die Interessen der Fernsehsender. Es geht um ein Erfolgsgeheimnis der deutschen Flieger.
Der von der Firma Swiss Timing entwickelte und dem Internationalen Skiverband Fis allen zur Verfügung gestellte Chip misst nämlich Daten wie die Anstellwinkel der Ski im Flug, Flughöhe oder die vertikale und horizontale Absprunggeschwindigkeit. Diese Daten sind für den TV-Zuschauer nicht so spannend, für die Trainer sind diese Informationen dagegen Gold wert. Bislang konnte nur das deutsche Team die Vorteile eines solchen Hightech-Sensors nutzen. Das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) hatte das Wunderding exklusiv für Richard Freitag, Andreas Wellinger und Co. entwickelt. "Wir haben Erfahrungen mit einem Sensor als Trainingstool", gibt Bundestrainer Werner Schuster zu.
Der deutsche Bundestrainer bleibt gelassen
Dass jetzt auch Erzrivalen wie Österreich, Norwegen oder Polen das Tool nutzen dürfen, könnte einen Wettbewerbsvorteil der Deutschen zunichtemachen. Polens Cheftrainer Stefan Horngacher, der das System aus seiner Zeit als Co-Bundestrainer in Deutschland kennt, sagte der "Tiroler Tageszeitung": "Für uns Randnationen ist es extrem super, dass wir jetzt die gleichen Daten bekommen." Österreichs Cheftrainer Heinz Kuttin fügt hinzu: "Was da alles für Werte rauskommen: Das ist mega. Für uns selbst wäre eine solche Auswertung unfinanzierbar."
Welche Daten am Ende für die TV- Übertragungen zur Verfügung gestellt werden, kann nach derzeitigem Stand jede Nation selbst entscheiden. Natürlich dürften zumindest die Topnationen diese geheim halten wollen. Aber es könnte vielleicht schon bei den Olympischen Spielen von Pyeongchang zur Pflicht werden, die Daten zur öffentlichen Auswertung bereitzustellen. Damit der Fernsehzuschauer diese faszinierende Sportart ein kleines bisschen besser versteht – und eine Nation wie Deutschland keine dominante Position aufbauen kann.
Werner Schuster, dessen Flieger Richard Freitag und Andreas Wellinger die Skisprung-Welt vor der Tournee mit vier Siegen in sieben Einzelspringen dominiert haben, bleibt zumindest äußerlich gelassen: "Ich fürchte mich nicht. Wissen ist das eine, die Umsetzung das andere." Er nannte das Beispiel, das es auch im Golf unglaubliche viele Informationen gebe, deshalb aber trotzdem nicht jeder Spieler den Ball 300 Meter weit schlagen kann. Der Bundestrainer weiß, dass er mit seinen Springern und der Technik einen jahrelangen Erfahrungsvorsprung hat. Und dass der Wunderchip längst nicht das einzige Geheimnis für das perfekte Fliegen ist.
Lars Becker