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Alles im Griff. Die Arbeit ist hart. „Aber solange ich noch einen Euro mehr habe, als es kostet, den Betrieb aufrechtzuerhalten, gebe ich nicht auf“, sagt Dzubasz.
© Georg Moritz

Preis der Deutschen Einheit: Das gallische Dorf des Galopprennsports

Trainer Roland Dzubasz verfolgt mit seinem Stall in Hoppegarten eine ganz besondere Philosophie. Am Einheitstag kann er sich wieder beweisen.

Gonora genießt ihre Morgendusche. Die braune Stute streckt ihren Kopf dem Wasserstrahl entgegen, tänzelt spielerisch ein paar Schritte zur Seite. Trainer Roland Dzubasz, klein, drahtig, reicht ihr kaum bis zum Widerrist. Routiniert führt er den Schlauch an Gonoras Seite entlang, die Wassertropfen glitzern in der dunstigen Herbstsonne und bringen ihr Fell zum Glänzen. Dzubasz zieht das Fell mit einem Gummischieber ab wie eine Windschutzscheibe. Gonora kümmert das alles nicht. Sie weiß, dass ihr Vormittagstraining vorbei ist und sie jetzt ausruhen darf.

Die Vierjährige ist die Letzte aus der Gruppe der Stuten und Wallache an diesem Morgen gewesen. Nach der Morgenfütterung um 6.30 Uhr entspannte Gonora ein paar Stunden auf der Koppel, während die Hengste trainierten und Dzubasz danach mit seinen Mitarbeitern frühstückte. Danach wärmte sich Gonora in der Freilaufführanlage auf, immer im Kreis zwischen gleichmäßig in der Runde rotierenden Gittern, immer das Hinterteil des Vorderpferds im Blick. Dann kam Dzubasz, legte ihr die Trense an und den Sattel auf den Rücken. Ein kurze Runde Eintraben, dann verschwanden Pferd und Reiter zwischen den Bäumen hinaus auf die Trainingsbahn, ein paar Runden im lockeren Kantergalopp.

Einen Kilometer Luftlinie weiter, auf der Rennbahn Hoppegarten, hatte ihr dieser Galopp in seiner Rennversion im April schon einen Sieg über 2000 Meter eingebracht, 2009 siegte Dzubasz’ Pferd Antara mit acht längen Vorsprung und brachte dem aufstrebenden Trainer den Durchbruch in der Szene ein. Am Dienstag (Beginn 14 Uhr) stehen dort wieder die Rennpferde in den Startboxen, zum Preis der Deutschen Einheit, dem Höhepunkt der Berliner Rennsaison.

Im idyllischen Hoppegarten, zwischen Villen und Wald, liegt eines der traditionsreichsten Pferderennsportzentren Deutschlands: 1868 erbaut, trafen sich hier zu Zeiten des Kaiserreichs internationale Jockeys, Züchter und die Berliner Gesellschaft und Politik. Die beiden Weltkriege und das DDR-Regime drängten die Rennbahn und die umliegenden Ställe in die Bedeutungslosigkeit, da half auch die Etablierung des „Internationalen Meetings der Vollblutpferde sozialistischer Länder“nichts. Doch seit der Wiedervereinigung regt sich wieder etwas in Hoppegarten: Der Preis der Einheit lockt seit 1990 wieder Berliner Familien und Pferdesportfreunde an, seit 2008 bringt Besitzer Gerhard Schöningh die Bahn wieder voran.

Das Trainingsgelände scheint aus einer anderen Zeit zu kommen, als der Rennsport noch das Geld und die Massen anlockte: Auf 207 Hektar toben die Pferde sich hier aus, die Trainingsbahn mit ihren kleinen Hügeln ist großzügige 3000 Meter lang, die Grasbahn und das Sandgeläuf werden von einer Sprenkleranlage bewässert. Dzubasz steht mittlerweile an der Startbox auf der Grastrainingsbahn, denn sein Rennpferd Gondano soll sich vor dem Renntag noch einmal an die Startbox gewöhnen. Eine schwere Decke schützt seine empfindlichen Flanken vor Kontakt mit den Seitenwänden, die ihn sonst in Panik versetzen und auskeilen lassen würden. Kurz vor dem Start, wenn die Pferde dicht gedrängt in den Boxen stehen, kann das schon mal den ganzen Pulk in helle Aufregung versetzen. Da braucht es geduldige Vorarbeit, damit am Renntag mit der fremden Umgebung, den vielen Menschen und den fremden Pferden alles glatt läuft.

Das Trainingsgelände scheint aus einer anderen Zeit zu kommen

Gondano macht seine Arbeit gut: Entspannt geht der Zweijährige in die vorne noch geöffnete Box, schaut sich um. Beim zweiten Mal geht er in die vorne geschlossene Box, lässt gelassen zu, dass hinter ihm die Klappe geschlossen wird und startet nach einem kurzen Countdown geordnet aus der geöffneten Vorderklappe – hinaus in die Natur. Zur Linken leuchten die Baumkronen in Herbstfarben, zur Rechten der ockerfarbene Sand der Trainingsbahn. Die Bahn wurde auf Dzubasz’ Drängen hin erneuert, als er den Stall 2009 übernahm. „Da waren nur Steine und Dreck“, erinnert er sich.

Dzubasz ist in der Nähe in Friedrichshagen aufgewachsen, mit zwölf Jahren drehte sich bei ihm noch alles um Fußball. Dann schleifte ihn ein Cousin auf die Trabrennbahn Karlshorst und Dzubasz fing Feuer, lernte Reiten. Nur war der dürre Junge zu leicht für die Sulkys der Traber, dagegen war seine Statur perfekt für die Arbeit als Jockey. So landete er zuerst im Stall des Hoppegartener Trainers Heinz Schäfke und arbeitete später bei dessen Nachfolger Thomas Dunkel. Dzubasz radelte die zehn Kilometer zum Stall und schwänzte manchmal die Schule, denn er verbrachte seine Zeit lieber im Stall.

Erst 1996 machte Dzubasz seinen Trainerschein und kaufte seinen ersten eigenen kleinen Stall, bevor er 2009 den aktuellen Rennstall mit angegliederten Koppeln kaufte. Dzubasz lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern auf dem Hof, der Rennstall ist ein echter Familienbetrieb. Doch der anstrengende Lebensstil, die harte körperliche Arbeit und die Gebundenheit an den Hof bereiten dem Trainer Nachwuchsprobleme. „Wenn du keine Beziehung zu den Tieren hast, wirst du hier nicht alt“, sagt er. Eine Woche bis zehn Tage Urlaub im Jahr gönnt sich Dzubasz. „Aber solange ich noch einen Euro mehr in der Tasche habe, als es kostet, den Betrieb hier aufrechtzuerhalten, gebe ich nicht auf.“

Immer in Bewegung. Roland Dzubasz dreht seine Runden auf der Trainingsbahn.
Immer in Bewegung. Roland Dzubasz dreht seine Runden auf der Trainingsbahn.
© Georg Moritz

Diesen Euro zu verdienen ist im deutschen Pferdesport gar nicht so einfach: „Stellen Sie sich vor, die deutsche Nationalmannschaft gewinnt regelmäßig Weltmeistertitel und es wird kein Fußball im Fernsehen übertragen“, sagt er. In diesem Jahr fanden elf Renntage in Hoppegarten statt, es sollten weit mehr sein, findet Dzubasz. Während im Ausland Pferderennen in jeder Kneipe laufen, Renntage in Großbritannien Gesellschaftsereignisse sind und der Sport in Frankreich über Wetteinnahmen subventioniert wird, gehe der Pferderennsport hierzulande medial und finanziell vollkommen unter, sagt Dzubasz, hat er sich erst einmal warmgeredet.

Weiterer Knackpunkt aus seiner Sicht: Die Pferdebesitzer, die ihre teuren Investitionen auf die Bahn schicken. „Früher gab es noch den wohlhabenden Bäcker- oder Fleischermeister, der ein paar Rennpferde hatte“, sagt Dzubasz. Heute sind es vornehmlich Gestüte, wie das Gestüt Auenquelle, die Pferde bei ihm trainieren lassen. Sie lassen ihre Jungpferde ein paar Jahre lang ihre genetische Überlegenheit auf der Rennbahn beweisen, bis sie zur Zucht auf das Gestüt zurückkehren. Dazu kommen Trainerbesitzer, die ihre Tiere meist aus Liebhaberei halten, denn langfristig gesehen sei der Rennsport bei den geringen Preisgeldern in Deutschland zwangsläufig ein Verlustgeschäft. Dabei produziert der deutsche Pferderennsport durchaus Stars, trotz der prekären Lage: „Wir verkaufen seit Jahren gute Pferde ins Ausland“, sagt Dzubasz. „Damit schaufeln wir dem Rennsport sein eigenes Grab.“

Gonora und Gondano sind gute Beispiele für die Trainingsphilosophie, die Dzubasz in seinem Rennstall vertritt. Anstatt die Pferde, die ihm Gestüts- und Privatbesitzer meist als Jährlinge anvertrauen, als Zweijährige sofort auf die hochdotierten Rennen zu schicken, versucht der 49-Jährige, seine Pferde auf eine längere Laufbahn im Galoppsport vorzubereiten.

Statt mit mehr als 100 Pferden arbeitet Dzubasz in seinem Stall mit rund 50 Pferden in der Hochsaison. Sein Stall ist das gallische Dorf des Pferderennsports in Ostdeutschland: Die großen Spieler in der Szene sind im Westen Deutschlands angesiedelt, vor allem in Nordrhein-Westfalen. Damit sind sie auch näher an der französischen Rennszene. Dzubasz dagegen muss die wertvollen Tiere über lange Wege nach Frankreich transportieren und zugleich gegen die billigere Konkurrenz aus Polen kämpfen, die um die 500 Euro Trainingsgeld pro Pferd und Monat nehmen statt der 1000 Euro, die der Trainer verlangt.

Trotzdem gewann Dzubasz 2012 den Preis als erfolgreichster Trainer, trotz eines schweren Unfalls beim Morgentraining Anfang 2012, der ihm einen Trümmerbruch im Fußgelenk einbrachte. Davon merkt man heute nichts mehr: Dzubasz ist immer in Bewegung, reitet, radelt über holpriges Terrain, weist seine Angestellten an. „Lässig? Ich?“, scherzt er mit dem Fotografen, der ihn bittet, sich entspannt an die Startbox zu lehnen.

Was ihn fit hält? Neben der Arbeit mit den Pferden auch seine drei kleinen Kinder – und die Jagd nach einer erfolgreichen Saison wie 2012. Den Energieüberschuss, der ihn sieben Tage die Woche früh aufstehen und „immer noch bissig“ sein lässt, braucht er auch: Erst in zwei Jahren wird sein Hof abbezahlt sein, der Kauf war ein Wagnis, das für ihn nach 13 Jahren in anderen Ställe einfach notwendig wurde. Denn als abgesicherter Angestellter sieht er sich nicht: „Ich bin einfach nicht so der ängstliche Typ“, sagt er – und lacht.

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