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Evoluzzer. Trainer Luis Enrique hat Barças Stil verändert.
© Reuters/Gea

FC Barcelona unter Luis Enrique: Das Ende der Schönheit

Alles geht jetzt schneller: Trainer Luis Enrique hat das Spiel des FC Barcelona weiterentwickelt und physischer gemacht, als es unter Pep Guardiola war.

Immer wenn es wichtig wird für den FC Barcelona, bleibt das Gehirn außen vor. Xavi Hernandez, über den sie in Spanien sagen, sein Hirn wäre vor langer Zeit vom Kopf runter in die Füße gewandert, ist mittlerweile nur noch als Ersatzmann Teil jener Mannschaft, dessen Spiel er viele Jahre lenkte. Gegen den FC Bayern wird ihm wohl höchstens eine halbe Stunde vergönnt sein.

Die Bank ist im fortgeschrittenen Fußballeralter von 35 Jahren zu Xavis Stammplatz geworden. Was er von dort aus sieht, gleicht nur noch in Grundzügen seinem Spiel von einst. Barcelona hat sich emanzipiert von ihm, von seinem Hirn. Alles geht jetzt schneller. Vor allem die Zeit, während der der Ball im Mittelfeld gehalten wird, ist unter Trainer Luis Enrique weniger geworden. Ziel ist es jetzt, vertikaler zu spielen um die Angreifer Lionel Messi, Luis Suarez und Neymar ohne großes Zeitverlieren ins Geschehen einzubinden. Das Trio kommt in dieser Saison wettbewerbsübergreifend auf 108 Pflichtspieltreffer. Barcelonas Schaltzentrale hat sich verlagert, nicht mehr das Mittelfeld entscheidet über Erfolg und Misserfolg, sondern die drei ganz vorn.

Luis Enrique musste um die Zuneigung des Publikums im Camp Nou härter buhlen

Xavi musste sich auf dem Höhepunkt seines Schaffens keine Gedanken über Ballhaltezeiten machen. Mit seinen Pässen war er in der Lage, jede Abwehrreihe auf der Welt so fein zu durchtrennen, als wäre er ein Chirurg in Fußballschuhen. Egal, mit wie vielen Spielern sich der Gegner auch in der eigenen Hälfte verbarrikadierte. Xavi und sein Partner Andres Iniesta fanden immer einen Weg durch die gefühlt hundert Verteidigerbeine. Geduldig trieben sie die Real Madrids, Manchester Uniteds oder Bayern Münchens dieser Welt vor sich her, bis sich die eine Lücke ergab, in die Lionel Messi, David Villa oder früher Samuel Eto’o liefen. Manchmal erreichte Barcelonas Ballbesitzquote 80 Prozent, als Pep Guardiola noch Trainer war. Mit diesem Stil gewann der Klub 14 von 17 möglichen Titeln, aber irgendwann war der Barça-Code dechiffriert. Spätestens nach jenem denkwürdigen Halbfinale vor zwei Jahren, das der FC Bayern in Hin- und Rückspiel 7:0 gewann, war klar, dass Barcelonas Ära vorbei ist. Trotzdem dauerte es bis zu Enriques Ankunft vergangenen Sommer, ehe sich die Spielweise veränderte.

„Die Mannschaft spielt nun so, wie es Enrique einst tat“, sagt Ramon Besa, Sportchef von „El Pais“ und Barcelona-Kenner. „Sie ist aggressiv, läuft viel mehr, es geht hoch und runter.“ Enrique war einst Barças Aggressive-Leader, als sich Mark van Bommel noch als Nachwuchskraft in Sittard verdingte. Von 1996 bis 2004 rannte, grätschte und kämpfte er sich durch Barcelonas Mittelfeld. Sein Hirn trug er nicht in den Beinen, dort war nur Platz für pure Leidenschaft. Enrique musste um die Zuneigung des Publikums im Camp Nou härter buhlen als andere, weil er zuvor fünf Jahre beim Erzrivalen Real Madrid gespielt hatte.

„Luis war immer ein harter Arbeiter, einer, der sich quälen und andere mitreißen konnte“, sagt Ronald de Boer, der Ende der Neunziger mit Enrique zusammenspielte. „Das versucht er jetzt auf seine Spieler zu übertragen.“ Das scheint zu funktionieren, obwohl das Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer nicht das beste ist. Die Kommunikation beschränke sich nur noch aufs Nötigste, heißt es.

Der FC Barcelona ist plötzlich in der Liga, Spiele aufgrund der Physis zu gewinnen

Enrique schert sich darum wenig. Die Trainingseinheiten haben unter seiner Führung deutlich an Intensität gewonnen, die Mannschaft ist mindestens so fit wie damals unter Guardiola. Xavi erzählte vor einiger Zeit, dass er so wenig wiege wie seit zehn Jahren nicht mehr. Im vergangenen Jahr, als Barcelona keinen Titel gewann, hatte unter Trainer Gerardo Martino die Arbeitsmoral gelitten, Spieler sollen am Ende sogar gegen das lasche Training des Argentiniers aufbegehrt haben.

Nun ist die Mannschaft völlig Barça-untypisch in der Lage, Spiele aufgrund der besseren Physis zu gewinnen. So etwa vor wenigen Wochen beim 2:1 gegen Real Madrid, als den Madrilenen nach rund einer Stunde die Luft ausging aufgrund des kraftintensiven Pressings. „Barça hat nie Spiele wegen der Physis gewonnen, nun ist alles sehr dynamisch und temporeich“, sagt Ramon Besa. Dafür hat der Klub seiner Meinung nach einen hohen Preis gezahlt: „Das ganz schöne Spiel ist verloren gegangen. Außergewöhnlich ist nur noch Messi.“

Obwohl viele Spieler aus der Guardiola-Ära weiter dabei sind, hat Enrique die Mannschaft nach seinem Gusto verändert. Schöngeist Xavi wurde durch den kraftvolleren Ivan Rakitic ersetzt, filigrane Spieler wie Rafinha und Sergi Roberto bekommen vom Trainer wenig Einsatzzeit. Im Sommer 2016 soll dann Paul Pogba aus Turin nach Barcelona wechseln. Ein Kraftfußballer nach Enriques Geschmack.

Sebastian Stier

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