Unter Pal Dardai wird Hertha BSC immer selbstbewusster: Das alte Hertha-Gefühl ist zurück
Nach Jahren der Bescheidenheit kehrt bei Hertha wieder hauptstädtischer Anspruch ein – dank Pal Dardai. Die Berliner mussten unter ihrem neuen Trainer gewissermaßen erst wieder den aufrechten Gang lernen.
Auf seinem Profilfoto bei Twitter trägt Thomas Herrich Anzug und Krawatte, er firmiert als „Member of the Management Board“ bei Hertha BSC, gibt also eine recht staatstragende Figur ab. Als Mitglied der Geschäftsleitung hat Herrich allerdings zuletzt ein wenig staatsmännische Zurückhaltung vermissen lassen. „Herrlicher Sieg gegen die Knödelputzer“, twitterte Herrich vor einer Woche nach Herthas Sieg gegen Schalke 04. Am nächsten Tag legte er dann noch einmal nach: „Königsblaue Haubentaucher.“
Es ist eher unüblich, dass ein leitender Funktionär eines Bundesliga-Klubs einen anderen Bundesligisten mal eben pauschal beleidigt. Aber Herrichs Tweets bedienen natürlich perfekt das gängige Klischee, dass der Berliner gerne mal in die ganz dicke Tuba bläst. Zurückhaltung? Kenn ick nich!
Für diese Haltung stand lange Zeit auch Hertha BSC, ehe der Klub durch zwei Abstiege und viele Jahre im grauen Mittelmaß auf Miniaturformat zurechtgestutzt wurde. Im Moment deutet einiges darauf hin, dass der Verein seine Bescheidenheit langsam wieder ablegt. Das ist zum einen Tabellenplatz drei geschuldet, aber auch auf jemanden zurückzuführen, der die gute alte Zeit noch aus eigener Anschauung kennt. Cheftrainer Pal Dardai belebt gerade das alte Hertha-Gefühl wieder: Wir sind Hertha, uns kann keiner was.
Hertha musste unter Dardai den aufrechten Gang lernen
Als Spieler hat der Ungar um die Jahrtausendwende Herthas Wiederaufstieg zu einer nationalen Größe miterlebt. Im Januar 1997 kam er zum damaligen Zweitligisten, anderthalb Jahre später spielte der Klub in der Champions League. Hertha war ein Faktor in der Bundesliga, regelmäßig im Europapokal vertreten und galt mittelfristig sogar als potenzieller Rivale der Bayern. Gerade diese Zeit hat Dardai geprägt. „Wir sind ein Hauptstadtverein, ein Eliteverein mit Elitespielern“, sagt er. „Das soll nicht arrogant klingen, aber das ist was Besonderes. Das sollen die Gegner auch zu spüren bekommen.“
In den ersten Monaten seiner Cheftrainertätigkeit hat man gemerkt, wie sehr es Dardai verdrossen hat, dass nach Jahren voller Misserfolge wenig von dem alten Selbstverständnis geblieben war, dass der Verein in geduckter Haltung durchs Leben lief. Hertha musste gewissermaßen erst wieder den aufrechten Gang lernen.
„Früher sind wir auf den Platz gegangen, haben ein frühes Tor gemacht, und dann war die Sache ganz schnell erledigt“, erinnert sich Dardai. „Aber das war eine andere Zeit. So weit sind wir noch nicht.“ Damals habe Hertha viele gute Spieler, viele Typen gehabt, „heute haben wir eine gute Mannschaft, ein fleißiges Team mit einem guten Teamgeist“.
Hertha hat 61,5 Prozent der Heimspiele gewonnen
Trotzdem ist Hertha auf einem guten Weg, das Olympiastadion wieder zu einem Ort des Schreckens zu machen. Die Heimspiele sind Dardai besonders wichtig: Seine Mannschaft soll bestimmen, was gespielt wird, soll mutig und offensiv sein. Heimspiele sind zum Gewinnen da, auch weil die Interaktion mit dem Publikum den gewünschten Effekt noch verstärkt. Wenn Hertha erfolgreich spielt, gehen die Zuschauer stärker mit – was das Vertrauen der Mannschaft in ihre Fähigkeiten noch weiter befeuert. „Die Statistik ist nicht schlecht“, sagt Dardai. „Wir haben viele Tore geschossen und viele Siege erzielt.“
Die Statistik ist sogar hervorragend – vor allem wenn man bedenkt, dass Hertha vor gar nicht langer Zeit von einer regelrechten Heimspielphobie geplagt wurde. In der Abstiegssaison 2009/10 gewann Hertha nur das erste Heimspiel und danach kein einziges mehr. Pal Dardai hat seit seinem Amtsantritt vor 13 Monaten mit seinem Team exakt jede zweite Begegnung im Olympiastadion gewonnen, im Schnitt kommt er auf 1,85 Punkte. Damit bewegt er sich bereits annähernd auf dem Niveau der erfolgreichsten Hertha-Trainer seit dem Aufstieg 1997. Hans Meyer (2,0 Punkte pro Spiel) und Falko Götz (1,96) haben eine Siegquote von jeweils 55,5 Prozent, bei Lucien Favre (1,95) und Jürgen Röber (2,01) liegt sie bei 59,5 Prozent. Nimmt man nur die aktuelle Saison, übertrifft Dardai diese Werte sogar. Die Mannschaft hat 61,5 Prozent ihrer Heimspiele gewonnen und kommt dabei auf 2,15 Punkte im Schnitt.
Die Aussichten stehen nicht schlecht, dass die Bilanz noch besser wird. Der FC Ingolstadt gastiert heute im Olympiastadion (15.30 Uhr/live bei Sky). Der Aufsteiger gilt zwar als unangenehmer Gegner, der die Räume eng macht, gut umschaltet und gefährlich bei Standards ist. Trotzdem sagt Pal Dardai: „Wenn unsere Tagesform stimmt, mach ich mir null Komma null Sorgen.“ Vor nicht allzu langer Zeit hätte man eine solche Aussage noch für ziemlich großspurig gehalten. Inzwischen spricht aus ihr einfach nur gesunder Realitätssinn.
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