Heidenheims Trainer Frank Schmidt: "Da muss ich die Blutgrätsche ansetzen"
Der Coach des Fußball-Zweitligisten über das Provinz-Image, sein zwölftes Jahr auf der Ostalb - und die Duelle mit dem 1. FC Union und Bayern München.
Herr Schmidt, Ihre Frau nennt Sie angeblich Teilchenbeschleuniger. Stimmt das?
Sie hat mich tatsächlich schon so genannt– mit einem Augenzwinkern natürlich.
Wie kommt sie darauf?
Sie meint dann damit, dass ich einfach nicht zur Ruhe kommen kann.
Hat sie Recht?
Ich bin ich keiner, der stundenlang mit einem Buch auf dem Sofa sitzen kann. Irgendwo muss und will ich immer in Bewegung sein – aber als Teilchenbeschleuniger sehe ich mich natürlich nicht.
Am Spielfeldrand schon eher?
Bei einem Spiel meiner Mannschaft stehe ich jedenfalls nicht mit verschränkten Armen an der Seitenlinie und schaue genüsslich zu. Ich war schon immer jemand, der das Ganze lebt. Emotionalität spielt für mich halt eine große Rolle.
Christian Streich oder Jürgen Klopp, die auch aus dem Südwesten kommen, ticken ähnlich emotional. Sind das Vorbilder für Sie?
Es gibt Kollegen, denen man sich etwas verbundener fühlt – ohne jetzt Namen nennen zu wollen –, aber ich kopiere niemanden. So wie der 1. FC Heidenheim eine Nische gefunden hat, gilt das auch für mich als Trainer. Bis zum heutigen Tag habe ich noch keine einzige Stunde bei irgendjemandem hospitiert, weil ich eben nie die Zeit dazu hatte.
Vermissen Sie deshalb etwas?
Einerseits ja, weil man so nicht mitbekommt, was an anderen Standorten so passiert. Andererseits bin ich dadurch nicht beeinflussbar. Ich gerate nicht in die Gefahr, irgendetwas zu machen, von dem ich vielleicht gar nicht zu 100 Prozent überzeugt bin. Ich bin so wie ich bin.
Wie sind Sie denn?
Alles was ich tue, muss ein Stück weit pragmatisch und zielführend sein. Das schließt aber nicht aus, dass ich auch kurzfristige taktische Änderungen oder Trends aufgreifen kann. Ich wäre ja blind, wenn ich nichtschauen würde, was im Spitzenfußball passiert. Aber ich muss jetzt nicht sofort irgendwelchen modernen Dingen hinterherrennen, das definitiv nicht.
Klingt nach einem gesunden Strukturkonservatismus.
Identität ist mir unheimlich wichtig. Für was steht man? Diese Frage sollte man aus seinem Inneren heraus beantworten und dann auch leben. Bisher sind wir, der FCH und ich, damit gut gefahren.
Sie sind nun schon im zwölften Jahr Trainer in Heidenheim, fußballerisch erklärt sich ihre Identität also. Gibt es Dinge –schicke Autos zum Beispiel – mit denen Sie sich außerhalb des Fußballs total identifizieren können?
Ein Auto ist für mich ein reines Fortbewegungsmittel, einfach Mittel zum Zweck. Sonst gilt für mich, dass man für viele Sachen einfach offen sein muss. Insofern: Nein, ich bin keiner, der sich zu sehr auf eine Richtung beschränkt.
Frank Wormuth, der Sie zum Trainer ausgebildet hat, nannte Sie wissbegierig, „aber kein Streber“. Trifft es das?
Das hat er gesagt?
Sind Sie doch ein Streber?
Nein! Ein „Streber“ bin ich überhaupt nicht, das ist mir nicht wichtig. Ich finde, alles muss Sinnhaftigkeit haben. Ein Streber ist für mich jemand, der alles macht und alles wissen will – bloß um zu zeigen, dass er alles kann. Mir ist lieber, zu wissen, wo man Stärken und Schwächen hat. Und daraus muss man eine Strategie entwickeln, eine Identität. Dazu zählen Werte, die mir wichtig sind, die ich auch von meinen Spielern einfordere.
Zum Beispiel?
Fußballtaktik, Fußballlehre, Trainingswissenschaft, all das ist wichtig, aber viel wichtiger ist der Umgang mit Menschen. Wie formt man eine Einheit? Wie arbeitet man jeden Tag zusammen? Wie schafft man es, die berühmte Mentalität, für die wir auch stehen, jede Woche auf den Platz zu bekommen? Wenn darauf keine Antworten gefunden werden, brauche ich mich über Fußballtaktik gar nicht erst zu unterhalten.
Auf die Basics kommt es also an.
Moment mal, das sagen Sie so einfach: Basics …
… also Basics im Sinne von Basics, die man auch außerhalb des Fußballs braucht.
Auf dem Fußballplatz ist es aber am schwierigsten, das umzusetzen. Ich glaube, dass es da von Klub zu Klub große Unterschiede gibt.
In Heidenheim stimmen die Basics vermutlich.
Ich würde sagen, dass wir eine Nische gefunden haben: Nämlich ein sehr familiärer Verein zu sein und professionelle Ansprüche zu haben.Aber diese Basics kann man eben nicht im Supermarkt kaufen, da steckt man viel Arbeit und Energie rein, man muss es jeden Tag vorleben.
Im 2011er Trainerlehrgang unter Wormuth waren neben Ihnen auch Namen wie Markus Gisdol, Roger Schmidt, Tayfun Korkut oder Markus Weinzierl vertreten, die vermutlich auch Wert auf gewisse Werte legen und trotzdem den Arbeitgeber wechseln. Ihr Vertrag in Heidenheim läuft bis 2023 – was kommt dann?
Man kann weder einen Verbleib noch einen Wechselausschließen, das Fußballgeschäft ist schnelllebig. Aber ich habe gerade von Werten erzählt. Klar ist deshalb: Wenn ich eine Zusage treffe, halte ich mich auch daran. Der Job hier erfüllt mich immer noch.
Heidenheim hat sich für einen relativ kleinen Verein gut entwickelt, etwa wie Sandhausen…
… oh, oh, oh!
Nun kommen Sie schon. Von Berlin aus sind Heidenheim und Sandhausen Synonyme für den klassischen Dorfverein.
Da muss ich komplett die Blutgrätsche ansetzen. Wir sind eine Mittelstadt mit knapp 50.000 Einwohnern und auch dank des schwäbischen Mittelstands eine der wirtschaftlich stärksten Regionen Europas. Ich werde oft auf das Thema Sandhausen/Heidenheim angesprochen. Aber ich glaube, wir machen etwas komplett anderes, sind breit aufgestellt, haben mehr Zuschauerresonanz – auch auswärts. Deshalb vergleichen wir uns mit Sandhausen überhaupt nicht.
Heidenheim ist also eine Klasse besser als Sandhausen?
Nein, nein, ich vergleiche uns ja nicht mit Sandhausen. Ich sage nur, was wir sind: eine Mittelstadt mit einem tollen Stadion. Wir sind in der Zweiten Liga voll konkurrenzfähig und dabei, uns zu etablieren, ganz unabhängig von Sandhausen. Gegen das Provinz-Gerede können wir uns nicht wehren, aber die Akzeptanz – wenn die großen Vereine mal bei uns gespielt haben – ist dann schon gegeben.
Was fehlt vielleicht noch für den ganz großen Traum Bundesliga?
Diese Frage stellt sich nicht, es gibt nur einen Weg für uns: geradeaus und ehrlich. Wir sind kein Verein, der – wie Union Berlin oder andere Klubs – die Möglichkeit hat, Spieler zu verpflichten, die richtig Ablöse kosten. In Heidenheim ist viel in die Infrastruktur investiert worden, wir kämpfen um jeden Euro. Dieses Jahr haben wir einen Spieler aus der Dritten Liga und drei aus der Vierten Liga geholt, dazu drei aus dem Nachwuchs. Es gibt deshalb keine Zielsetzung Bundesliga.
Acht Punkte fehlen Ihrem Team derzeit auf den 1. FC Union. Schielt man zumindest noch ein bisschen auf Platz drei?
Zunächst einmal wollen wir grundsätzliches jedes Spiel versuchen zu gewinnen. Und auch wenn es abgedroschen klingt: Wir wollen einfach so weitermachen wie bisher und haben nicht das Ziel, Union Berlin einzuholen.
Sondern?
Wir haben unsere Spielphilosophie angepasst, weil wir defensiv viel besser stehen als im Vorjahr und weil wir keine reine Umschaltmannschaft mehr sind. Jetzt können wir auch gegen gut organisierte Gegner phasenweise über Ballbesitzfußball bestehen, wenngleich wir noch keine Ballbesitzmannschaft sind. Mit der Entwicklung bin ich dieses Jahr zufrieden. Jetzt geht’s auf die Zielgerade einer Saison, von der wir am Ende hoffentlich sagen können, dass es eine richtig gute war.
In Berlin wundern sich manche Beobachter, wie der 1. FC Union mit spielerisch häufig durchschnittlichen Leistungen schon 47 Punkte holen konnte. Fragen Sie sich das auch manchmal?
Wenn man am 25. Spieltag auf Platz drei steht, hat das schon seine Berechtigung – dafür gibt es Gründe. Union steht für defensive Stabilität, für Effektivität, und natürlich haben sie in gewissen Phasen das nötige Spielglück. Und das, was sie auszeichnet, füllen sie zu 100 Prozent mit Leben. Es geht auch um Konstanz: Wenn eine Viererkette – wie bei Union – harmoniert, dann gibt das unheimlich viel Kraft und Stärke.
Wobei die Offensive ja ebenfalls gut besetzt zu sein scheint.
Dass man nicht nur Hurra-Fußball spielen kann, wie es vielleicht Paderborn macht oder Köln, ist auch klar. Am Ende muss man ergebnisorientiert spielen. Das macht Union mit einem erfahrenen Trainer, der das auch vorgibt, sehr gut. Deshalb ist Union auch voll im Aufstiegsrennen mit dabei. Und ich glaube, dass es da nicht nur um Platz drei geht.
Am 3. April reist Heidenheim im DFB-Pokal-Viertelfinale zum FC Bayern. Welche Botschaft werden Sie Ihren Spielern mitgeben? Geht raus und genießt das Spiel! Oder eher: Hauptsache nicht 0:5!
Ich muss Sie enttäuschen: Zu Bayern München sage ich momentan gar nichts, weil es einfach nicht wichtig für uns ist.
Ganz ehrlich?
Ich rede von einem Schubladen-Spiel, weil Bayern München bei mir in der Schublade liegt. Nur so viel: Wenn das Spiel ansteht, freuen wir uns irrsinnig drauf. Als Spieler durfte ich die Bayern mal mit Vestenbergsgreuth im Pokal schlagen, deswegen gibt es immer eine Chance. Aber nochmal: Momentan ist das für uns kein Thema.
Sie sagten mal, dass Sie nicht als Fußballtrainer in Rente gehen würden. Sondern als… ?
Das weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass ich auch nicht in meinen erlernten Beruf – Bankkaufmann – zurückkehren werde.
Was spricht gegen das Traineramt?
Natürlich ist der mediale Druck in Heidenheim nicht so groß wie in Berlin oder anderen Großstädten, ganz klar. Trotzdem bin ich nun schon im zwölften Jahr ohne Unterbrechung Trainer. Und jeder, der den Blick darauf hat, weiß, was das bedeutet. Auch wenn Fußball meine Leidenschaft ist, ist es immer auch eine Belastung. Man ist Kind der Öffentlichkeit, auch in Heidenheim. In gewissen Bereichen ist die Lebensqualität nicht immer hoch. Ich ziehe alle Hüte vor der Leistung von Jupp Heynckes, aber ich möchte nochmal was ganz anderes machen.
Mit Mitte, Ende 50 wird der Teilchenbeschleuniger dann etwas heruntergefahren werden?
Da bin ich mal gespannt, ob das funktioniert. Wenn Sie das meine Frau fragen würden, würde sie sagen: „Was redet der für einen Quatsch?“ Jedenfalls will ich dem Stress des Trainerjobs nicht bis ins Rentenalter ausgesetzt sein.