Leichtathletik-EM: Christina Schwanitz – Kugelstoß-Favoritin und Powermama
Die Kugelstoßerin Christina Schwanitz ist junge Mutter und Bundespolizistin. Und nebenbei auch die große Favoritin auf Gold bei der EM in Berlin.
Sie sagt Krümel zu ihren beiden Kindern und sie liebt sie über alles. Aber wenn Christina Schwanitz arbeitet, hat sie keine Zeit für ihre Liebsten. „Dann bin ich eine schlechte Mutter.“ Am Dienstag war es wieder soweit. Schwanitz arbeitete, aber immerhin durften die beiden Krümel dabei zusehen. Es war ein kurzes Vergnügen für die Kleinen. Nach ein paar Sekunden war alles vorbei. Mami stieß in einem riesigen Stadion eine schwere Kugel auf eine Wiese. Danach klatschten viele Menschen.
Christina Schwanitz geht neben ihrem Job als Bundespolizistin der Arbeit als Kugelstoßerin nach. Sie tut das sehr erfolgreich. Bei der Leichtathletik-EM in Berlin ist sie die große Favoritin, und das untermauerte sie in der Qualifikation am Dienstag eindrucksvoll. Die erforderliche Weite für das Finale von 17,20 Metern übertraf sie mit 18,83 Metern in ihrem ersten Versuch deutlich. Schwanitz geht als Qualifikationsbeste in das Finale am Mittwoch (20.10 Uhr).
„Am Anfang war ich schon ein bisschen aufgeregt“, sagte sie. „Aber dann war ich im Stadion und fand es einfach nur cool.“ Sollte Schwanitz auch am Mittwoch cool bleiben und die Kugel am weitesten stoßen, dann wäre sie zum dritten Mal in Folge Europameisterin.
Es gibt nur wenige Beispiele im Sport von Müttern
Am Dienstag jedenfalls sprach wenig gegen diese Serie. Zum einen, weil Schwanitz in der Jahresbestenliste unter den Europäerinnen die mit Abstand Beste ist. Zum anderen, weil die 32 Jahre alte Frau einen bewundernswert gefestigten Eindruck macht.
Dabei hatten sich in ihrem Leben in jüngster Vergangenheit schöne und weniger schöne Dinge ereignet, die sich nur sehr schwer mit den Anforderungen an den Spitzensport vereinbaren lassen.
Zu den schönen Seiten des Lebens zählte die Geburt ihrer Zwillinge im vergangenen Jahr. Für Schwanitz war klar, dass das nicht das Ende ihrer sportlichen Karriere sein würde. Es gibt einige Beispiele im Sport von Müttern, die es zurück geschafft haben. Vor wenigen Wochen etwa spielte die junge Mutter Serena Williams im Tennis-Finale von Wimbledon. Es gibt aber nicht viele solcher Beispiele – weil ein Comeback enorm schwer ist.
Schwanitz, die so viel und so einnehmend lacht, muss brutal zu sich selbst sein können. Ein halbes Jahr nach der Geburt ihrer Kinder nahm sie das Training wieder auf, schuftete ohne Ende auf dem Trainingsplatz und nahm dabei 23 Kilogramm ab. „Nebenbei Mama zu sein, das ist nicht einfach“, sagt Schwanitz. „Es ist bei Zwillingen ja nicht so, dass einer schläft und die andere das auch tut.“ Schwanitz also hat schon mal mehr Schlaf und Ruhe bekommen als in den vergangenen Monaten. Umso bemerkenswerter ist es, in welcher Form sie sich befindet. Bei den deutschen Meisterschaften in Nürnberg warf sie 20,06 Meter, eine Weite, die sie bei der Veranstaltung noch nie zuvor erreicht hat. Sie sei schon immer gut strukturiert gewesen. „Ich bin ein Planmensch“, sagt sie.
Doch manchmal schlägt das Leben gemeine Schnippchen. So machte sich Schwanitz nach ihrem Erfolg bei den nationalen Titelkämpfen Ende Juli mit dem Auto auf dem Weg ins ZDF-Sportstudio und fabrizierte einen heftigen Auffahrunfall. Sie zog sich ein Schleudertrauma sowie – in ihrem Fall wesentlich schlimmer – einen Kapselriss in ihrer rechten Wurfhand zu. „Wäre ja langweilig gewesen, wenn es die linke Hand erwischt hätte“, sagt Schwanitz.
Das Ganze passierte eineinhalb Wochen vor den Europameisterschaften in Berlin. Als sie wenige Tage später ihren ersten Wurfversuch unternahm, lag sie auf dem Hosenboden. „Das Gleichgewichtsorgan war völlig gestört“, erzählt sie. Aber Schwanitz wäre nicht Schwanitz, stünde sie am Mittwoch nicht im Finale. „Die Jammerei bringt ja nichts. Ich muss jetzt auf die Zähne beißen.“ Es ist dies die Leitlinie ihres Lebens. Sie befolgt sie eisenhart.