Handball-Nationalmannschaft: Christian Prokop wird angezählt
Nach der enttäuschenden EM geht die Aufarbeitung bei den deutschen Handballern weiter. Ein ehemaliger Bundestrainer verteidigt den aktuellen.
Den 17. und letzten Turniertag der Handball-Europameisterschaft haben nur noch wenige Deutsche vor Ort miterlebt. Die versprengten Fangruppen in Schwarz-Rot-Gold, die sich ganz optimistisch bereits im Vorfeld mit Tickets versorgt hatten, sahen am Sonntagabend einen verdienten 29:23 (12:14)-Finalsieg der Spanier über Schweden. Platz drei hatte sich zuvor Frankreich im Spiel gegen Dänemark gesichert. Das deutsche Team war da schon längst abgereist. Allein Mark Schober weilte am Samstag noch in Zagreb. Der Vorstandschef des Deutschen Handball-Bundes (DHB) hatte die Delegierten der anderen Verbände mit einer Präsentation daran erinnern wollen, wo die nächste Großveranstaltung stattfindet, die WM 2019 – in Deutschland und Dänemark nämlich. So weit der Blick nach vorn.
Für den DHB dagegen wird es in den nächsten Tagen und Wochen vor allem um den Blick zurück gehen. Um eine Aufarbeitung des Debakels, das in einer peinlichen Niederlage gegen Spanien und dem frühen Ausscheiden in der Hauptrunde kulminierte. Bereits am Donnerstagvormittag hatte sich die deutsche Delegation auf den Heimweg gemacht, deutlich früher als gemeinhin erwartet. Viele unbeantwortete Fragen blieben zurück. Es ging dabei gar nicht explizit um die Tatsache, dass der Titelverteidiger sein selbst gestecktes Minimalziel Halbfinale verpasst hatte – sondern vielmehr um die Art und Weise, wie das passiert war. Es ging also um das große Ganze, um den Gesamteindruck, den die öffentlich-rechtlichen Sender mit ihren Übertragungen zur besten Sendezeit auch in die heimischen Wohnzimmer von Flensburg bis Balingen transportierten. Fast sieben Millionen Zuschauer verfolgten den Untergang gegen Spanien im Fernsehen.
Melsungens Michael Roth: "Hat nicht richtig gepasst"
„Wir haben innerhalb von zwölf Monaten die Weltmeisterschaft mit Dagur Sigurdsson und die Europameisterschaft mit Christian Prokop versemmelt“, räumte DHB-Vizepräsident Bob Hanning am Samstag im ZDF-Sportstudio ein. Sinngemäß hatte Hanning bereits unmittelbar nach dem Ausscheiden gesagt, dass nun alles und jeder auf den Prüfstand gehöre, vom Trainer über die Mannschaft bis hin zum Präsidium. In fünf, sechs Wochen, wenn sich die Beteiligten beraten und ausgetauscht haben, soll mit Blick auf die Heim-WM in einem Jahr Klarheit darüber herrschen, wie und vor allem in welcher personellen Konstellation es weitergeht.
Im Zentrum der Diskussionen steht weiter Bundestrainer Christian Prokop. Die Debatte, ob der 39-Jährige der richtige Mann für die nächsten Aufgaben ist, läuft auf Hochtouren – und spaltet die Handball-Nation. Prominenten Beistand erhielt Prokop etwa von Heiner Brand. Man müsse ihm, der gerade sein erstes großes Turnier erlebt hat, Zeit einräumen und Fehler zugestehen, sagte die Trainer-Legende. Andere gingen härter mit Prokop ins Gericht. „Man muss kein Fachmann sein, um zu sehen, dass es zwischen Trainer und Mannschaft nicht richtig gepasst hat“, sagte Michael Roth, Trainer des Bundesligisten MT Melsungen.
Dass gerade er sich zu Wort meldete, war garantiert kein Zufall: Roth hat in Julius Kühn, Tobias Reichmann und Finn Lemke drei Nationalspieler in seinem Kader, die bei der EM vor zwei Jahren noch herausragend spielten – und nun entweder enttäuschten oder zunächst gar nicht im Kader standen. Besonders mit der vorläufigen Nichtberücksichtigung des Abwehrchefs Lemke machte sich Prokop angreifbar. Selbst als Lemke doch noch nachnominiert wurde, bestand der Bundestrainer darauf, richtig gehandelt zu haben.
Prokops Spielidee: Flexibel und offensiv
Das Beispiel zeigt: Prokop will die Deutungshoheit über seine Entscheidungen wahren; er will an seiner Idee festhalten, ein flexibles, offensives und auf Tempogegenstöße ausgerichtetes Spiel zu präsentieren. Als beispielhaft dafür nannte er das norwegische Team, das sich mit dieser Herangehensweise in die Weltspitze zurückgespielt hat. In Kroatien unterlag Prokop allerdings einem kapitalen Irrtum: Der 39-Jährige versuchte mit allen Mitteln, sein System und seine Idee auf die Mannschaft zu übertragen. Normalerweise funktioniert es genau andersherum: Trainer sezieren potenzielle Kandidaten nach ihren Stärken und Schwächen und richten das System am Personal aus. Irgendwann waren die Nationalspieler einfach nur genervt und überfordert von der taktischen Detailversessenheit ihres Trainers.
Prokop ist also angezählt, obwohl er weiterhin Rückendeckung aus der DHB- Spitze erfährt. „Wir wollen gerne mit Christian weitermachen“, sagte Hanning im ZDF-Sportstudio und ergänzte: „Ich hoffe, dass wir nicht zu einer anderen Einschätzung der Situation kommen.“ In den Tagen zuvor hatte sich das noch ganz anders angehört.