Handball-Nationalmannschaft: Christian Prokop: „Ich werde keine Kopie von Dagur sein"
Die Verpflichtung von Christian Prokop war umstritten, doch der Handball-Bundestrainer passt zum Team. Das will er auch in seinem ersten Pflichtspiel am Mittwoch zeigen.
Über Leipzig lacht die Sonne, Vögel zwitschern von den Dächern, auf den Straßen ist allerhand studentisches Publikum unterwegs. Christian Prokop kommt, ganz passend zu diesem warmen Frühjahrstag im April, mit dem Fahrrad zu einem Lokal am Marktplatz. „Ich bin nicht sehr oft in Cafés oder Bars unterwegs“, sagt er zur Begrüßung, es klingt beinahe wie eine Entschuldigung. Dann mischt sich der 38-Jährige unter die Gäste, bestellt Wasser und Kaffee und redet eineinhalb Stunden leidenschaftlich über Handball. Wer Prokop bei seinen Ausführungen zuhört, merkt schnell: Nach Jahren der Wanderschaft als junger Trainer hat er, hat die Familie ihren Lebensmittelpunkt in Leipzig gefunden. „Wir haben unsere Ruhe, ich bin hier kein Popstar“, sagt der gebürtige Köthener. „Ich kann ganz normal ins Café gehen, das gefällt mir.“
"Ich freue mich, dass es losgeht"
Mit der Ruhe könnte es allerdings bald vorbei sein. Wenn sein sportlicher Mikrokosmos nicht mehr an den Stadtgrenzen Leipzigs oder in den Arenen der Handball-Bundesliga endet, sondern in den ganz großen Hallen, bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie Olympischen Spielen. Am Mittwoch, im EM-Qualifikationsspiel gegen Slowenien in Ljubljana (20 Uhr, live bei Sport1), verantwortet Prokop die deutsche Handball-Nationalmannschaft zum ersten Mal in einem Pflichtspiel. Ende März hat der neue Bundestrainer zwar schon in zwei Testspielen gegen Schweden an der Seitenlinie gestanden, aber der Wert seines ersten Lehrgangs war von eher überschaubarer Natur: Viele Spieler fehlten verletzt oder waren vor dem deutschen Champions-League- Achtelfinale zwischen Kiel und den Rhein- Neckar Löwen freigestellt. Gegen den WM-Dritten Slowenien, den stärksten Gegner der Qualifikationsgruppe 5, kann der Coach nun fast ausnahmslos auf seinen Premium-Kader bauen. „Das wird der erste richtige Gradmesser“, sagt Prokop, „ich freue mich, dass es losgeht.“
Monate des Streits
Man könnte auch sagen: endlich losgeht. Die Personalie Christian Prokop war nämlich ein Politikum. Bei seinem Bundesliga-Verein in Leipzig, dem SC DHfK, fühlten sie sich überrumpelt, als der Deutsche Handball-Bund (DHB) und im speziellen Vizepräsident Bob Hanning plötzlich öffentlich Interesse am Trainer bekundete, dessen Vertrag gerade bis 2020 verlängert worden war. Es folgten Monate des Streits, die Leipziger warfen dem DHB schlechten Stil vor. Am Ende einigten sich die Parteien dann aber doch, wenngleich der DHB dafür tief in die Tasche greifen musste. Die Rede ist von einer halben Million Euro Ablöse sowie weiteren Zugeständnissen. „Ich kann mich nur dafür bedanken, dass sich mein Verein nicht quergestellt hat und dass wir eine vernünftige Lösung für alle gefunden haben“, sagt Prokop.
Die Lösung ist vor allem für den DHB zielführend, weil Prokop, soweit man das im Vorfeld beurteilen kann, hervorragend zu der Mannschaft passt, die er perspektivisch auf die Olympischen Spiele 2020 vorbereiten soll. Mit seinen 38 Jahren ist Prokop der jüngste Bundestrainer in der Geschichte des DHB, nun übernimmt er eines der jüngsten Teams im Welthandball mit Ausnahmetalenten wie Paul Drux, Fabian Wiede, Julius Kühn oder Jannik Kohlbacher. Und damit nicht noch einmal so etwas passiert wie bei Vorgänger und Erfolgstrainer Dagur Sigurdsson, der den EM-Titel und Olympia- Bronze holte und dann zum allgemeinen Erstaunen ins Handball-Entwicklungsland Japan wechselte, haben sie Prokop beim DHB mit einem Fünf-Jahres-Vertrag ausgestattet. Ohne Ausstiegsklausel, versteht sich. Möge er beim DHB so erfolgreich wirken wie im Verein.
Verbissenheit und Ehrgeiz
Prokops Leipziger Mannschaft eilt der Ruf voraus, weit mehr zu sein als die Summe ihrer Einzelspieler. Ein eingeschworener Haufen, der über Jahre miteinander gewachsen ist und dauerhaft über Level spielte. „Christians Vorbereitung und Videoanalyse ist extrem akribisch“, sagt Ex-Nationalspieler Stefan Kretzschmar, der im Aufsichtsrat des SC DHfK Leipzig sitzt. Dieser Anspruch könne bisweilen in Besessenheit ausarten. Diese Mischung aus Verbissenheit und Ehrgeiz hat auch schon den Sportler Christian Prokop ausgezeichnet.
Prokop ist Anfang 20, als die Knie zum ersten Mal Beschwerden machen, klassisches Handballer-Problem. Es folgen drei Operationen, die Profi-Karriere ist in ernsthafter Gefahr. Also setzt Prokop „alles auf eine Karte“, wie er selbst sagt. Er lässt sich die Oberschenkel brechen, dadurch verändert sich die Beinachse um neun Grad, aus einem X-Bein wird ein leichtes O-Bein, das soll die Knie entlasten. „Normalerweise kommt diese OP- Methode bei Menschen ab 50, 60 Jahren zum Einsatz, um die Knie zu entlasten und im Alltag wieder schmerzfrei zu sein“, sagt Prokop. „Ich habe die OP machen lassen, um in den Leistungssport zurückkehren zu können.“ Das hatte es bis dahin nicht gegeben. Die Ärzte verdrehen zwar die Augen, aber Prokop setzt seinen Willen durch. „Für mich war es die letzte Chance.“ Später versucht er ein ähnlich gewagtes Unterfangen: Prokop wechselt den Wurfarm, von rechts auf links, um das angeschlagene Knie weiter zu entlasten. Das ist ungefähr so, als ob ein Profi-Fußballer mit Mitte 20 plötzlich nur noch mit seinem schwachen Fuß schießt.
„Ich werde keine Kopie von Dagur sein"
Der Plan geht nicht auf. Bei der GWD Minden reicht es zwar für ein paar Einsätze in der höchsten deutschen Spielklasse, aber dauerhaft kann das mit den Verletzungen nicht gutgehen. Prokop muss seine Karriere beenden. „Das war ein schwerer Schlag für mich und hat mich kurz aus der Bahn geworfen“, sagt er. Doch er gibt nicht auf. Während des Lehramt-Studiums in Hildesheim übernimmt er sein erstes Team, eine Jugendmannschaft. Später macht er sich einen Namen als junger, aufstrebender Trainer. Über die Stationen Braunschweig, Hannover, Magdeburg, Schwerin und Essen landet er schließlich in Leipzig und führt den Klub in die Bundesliga und dort zwei Mal souverän zum Klassenerhalt.
Für den 38-Jährigen wird es besonders darauf ankommen, sich von seinem Vorgänger Dagur Sigurdsson zu emanzipieren, dem statistisch erfolgreichsten Bundestrainer der DHB-Geschichte. „Ein paar Sachen werde ich fortführen, aber ich habe natürlich auch meine eigene Vorstellung“, sagt Prokop, denn eine Sache sei klar: „Ich werde keine Kopie von Dagur sein, denn Kopien sind immer schlechter als das Original.“