Handball-Nationalmannschaft: Casting mit dem neuen Bundestrainer
Christian Prokop debütiert an diesem Wochenende als Handball-Bundestrainer. Viele seiner Topspieler fehlen allerdings in den Spielen gegen Schweden.
Mit dem Deutschen Handball-Bund (DHB) verhält es sich wie mit anderen großen Sportverbänden: Er ist zu Überparteilichkeit verpflichtet, kein Mitglied sollte bevorzugt werden, und der DHB ist diesbezüglich auch nicht negativ aufgefallen in jüngster Vergangenheit. Trotzdem ist schwer davon auszugehen, dass die Herren Funktionäre und Entscheidungsträger einem Bundesligisten zuletzt zumindest hinter vorgehaltener Hand die Daumen gedrückt haben: dem SC DHfK Leipzig.
Die Leipziger haben in Christian Prokop bekanntlich den neuen Bundestrainer hervorgebracht, nur wollten sie ihm nicht mitten in der erfolgreichsten Saison ihrer Vereinsgeschichte eine Doppelfunktion zugestehen. Prokop sagte alle Interview- und Terminanfragen mit dem Vermerk ab, man möge gern in ein paar Wochen nachhaken – wenn die Leipziger ihre ersten Rückrundenspiele gewonnen haben und ihnen der Bundesliga-Verbleib auch rechnerisch nicht mehr zu nehmen ist.
Nun haben sich die Verantwortlichen beim SC DHfK – nach sieben Punkten aus den letzten vier Spielen – dazu durchgerungen, Prokop doch früher als nach offiziellem Vertragsende am 1. Juli freizugeben. Nach einem ersten Testspiel am Samstag in Göteborg, das die Deutschen 25:27 (9:16) verloren, wird der Nachfolger von Erfolgscoach Dagur Sigurdsson am Sonntag sein Heimdebüt als Bundestrainer geben. Beim sogenannten „Tag des Handballs“ in Hamburg trifft die Nationalmannschaft erneut auf die schwedische Auswahl (17.15 Uhr, live bei Sky). Damit hat das monatelange Hickhack um den gebürtigen Köthener, der von Beginn an als Wunschkandidat des DHB galt, auch ganz formal ein Ende.
Der neue Bundestrainer will dort ansetzen, wo Dagur Sigurdsson aufgehört hat
„Endlich ist es so weit, dass ich die Mannschaft kennenlernen darf“, sagte Prokop unter der Woche bei seiner offiziellen Vorstellung in Hamburg. Fünf Tage hatte der 38-Jährige seinen Kader nun beisammen, eine der ersten Amtshandlungen sah einen gemeinsamen Bowling-Abend vor, ehe es um handballerische Elemente ging.
In Prokops ersten beiden Länderspielen wird die deutsche Auswahl personell aber nur sehr bedingt mit der vergleichbar sein, die man von den letzten Turnieren kennt. Aus Rücksicht auf die Wünsche der deutschen und internationalen Top-Klubs hat Prokop nämlich darauf verzichtet, die ganz großen Namen zu nominieren. So sind zum Beispiel Kapitän Uwe Gensheimer (Paris St. Germain) und Torhüter Andreas Wolff (THW Kiel) bei ihren Vereinen geblieben, der erste Lehrgang gerät gewissermaßen zu einer Art Casting. „Die Spieler, die dabei sind, sollen ihre Chance nutzen“, sagt Prokop, dann werde man sehen, „wie die Kaderzusammenstellung für die Zukunft ist“.
In jedem Fall will der neue Bundestrainer dort ansetzen, wo Sigurdsson aufgehört hat. „Ich wünsche mir, dass wir attraktiven und emotionalen Handball spielen“, sagt Prokop. Darunter versteht er „eine aggressive Verteidigung, die ständig Druck auf den Gegner ausübt, und Disziplin im Angriff“ – zwei der zentralen Punkte, die unerlässlich für die Kreation des alten Leitmotivs („Bad Boys“) waren. Ebenso wichtig wird es für ihn aber sein, sich zu emanzipieren von seinem Vorgänger, dem rein statistisch erfolgreichsten Bundestrainer der DHB-Geschichte. Vizepräsident Bob Hanning, der Prokops größter Fürsprecher war, hat da keine Sorgen. Hanning sagt: „Ich habe das Gefühl, dass wir eine sehr gute Entscheidung getroffen haben.“