Handball-EM in Polen: Showdown für den Michael "Beagle" Biegler
Der deutsche Handballtrainer Michael Biegler soll Polens Team beim Heimturnier zum EM-Titel führen. Der Mann muss liefern. Denn nach der aktuellen Generation sieht es mau aus bei den Polen.
Der Titel ist ihnen nicht mehr zu nehmen, völlig egal, was noch kommen mag oder eben auch nicht. Allerdings haben sie ihn nicht auf dem Spielfeld errungen, jedenfalls noch nicht, sondern auf edlerem Untergrund. Als die Sportzeitung „Przeglad Sportowy“ kürzlich Polens Sportler des Jahres auszeichnete, war die Überraschung unter den geladenen Gästen groß – weil in der Mannschaftswertung ein Team gewann, das in der Beliebtheitsskala für gewöhnlich weit hinter den Fuß- und Volleyballern des Landes liegt. „Eine große Ehre“, sagt Michael Biegler, der deutsche Trainer der polnischen Handball-Auswahl, „darauf können wir alle sehr stolz sein.“
Die Verleihung ist einerseits Bestätigung für das, was Biegler und sein Team im zurückliegenden Jahr erreicht haben, unter anderem Rang drei bei der Weltmeisterschaft in Katar. Andererseits ist sie durchaus als Ausdruck der gesteigerten Erwartung an die Handballer zu deuten. Vor großen Turnieren im eigenen Land, wie der heute beginnenden Europameisterschaft in Polen, können sich die Prioritäten in der Wahrnehmung erfahrungsgemäß schnell mal verschieben. Trotz der starken Konkurrenz aus Dänemark, Spanien und vor allem Frankreich erwarten die polnischen Fans vor dem Auftaktspiel ihres Teams gegen Serbien (20.30 Uhr, Livestream bei sportdeutschland.tv) den EM-Titel – oder zumindest ein Team, das lange und ernsthaft darum mitspielen kann.
Zur Verwirklichung dieses Ziels hat der polnische Verband im Oktober 2012 einen Fachmann aus dem Nachbarland verpflichtet: Michael Biegler, 54, geboren im rheinischen Leichlingen, Spitzname: Beagle. Neben der Erfahrung von zwölf Bundesliga-Stationen in 30 Jahren brachte der diplomierte Sportlehrer das Versprechen mit, sich voll und ganz dem Großprojekt Europameisterschaft zu widmen und eine Strukturreform im polnischen Handball anzuschieben. Die EM 2016 – sie ist auch Bieglers Turnier.
Knapp dreieinhalb Jahre hat er auf den Turnierstart hingearbeitet und auf dem Weg dorthin fast alle Zielvorgaben erfüllt, in jedem Fall die ganz großen: EM-Teilnahme, WM-Teilnahme, das Ticket für das olympische Qualifikationsturnier. „Es heißt ja immer, ich hätte lange Zeit zur Vorbereitung gehabt und ohne Druck arbeiten können, aber das ist natürlich Quatsch“, betont Biegler, „wenn uns auf dem Weg zur EM ein Unfall passiert wäre, brauchte ich heute nicht mehr groß über das Turnier nachzudenken.“
Es gehört zur Geschichte des Michael Biegler, dass er sich bisweilen falsch in der Öffentlichkeit dargestellt fühlt. Angesichts seiner zahlreichen Trainerstationen in Deutschland eilte dem 54-Jährigen lange Zeit der Ruf des Feuerwehrmanns voraus, der einen Brand löscht und mit heulenden Sirenen direkt weiterfährt zum nächsten Großeinsatz. Faktisch hat Biegler dagegen sehr wohl nachgewiesen, unaufgeregt und beständig arbeiten zu können. Der HSV Handball etwa, den Biegler zusätzlich zur polnischen Auswahl betreut, spielte unter seiner Verantwortung ein überragendes Halbjahr und war – neben Aufsteiger SC DHfK Leipzig – die positive Überraschung der Bundesliga-Hinrunde. Dummerweise gab es Ende Dezember eine böse Überraschung für Biegler und seinen Verein: Der HSV reichte einen Insolvenzantrag ein, wie es mit dem Verein weitergeht, ist im Moment völlig offen. Gut möglich also, dass Biegler nach der EM ohne feste Beschäftigung bei einem Klub dasteht, wobei er dieses Szenario nicht eingehender thematisieren will: „Ich beschäftige mich nicht mit Problemen, auf die ich keinen Einfluss habe.“ Immerhin hat Biegler die Gewissheit, mindestens bis zu den Olympischen Spielen mit dem polnischen Team arbeiten zu dürfen; sein Vertrag läuft nach den Spielen in Rio de Janeiro aus.
Bis dahin gilt die volle Konzentration zunächst der EM im eigenen Land. Biegler hat für das Turnier, mehr oder weniger freiwillig, einen sehr erfahrenen Kader nominieren müssen, man könnte auch sagen: einen ziemlich alten. Im Nachwuchsbereich tun sich Polens Handballer nämlich seit Jahren schwer, außerdem gibt es im Land nur 20 000 aktive Spieler – ein vergleichsweise niedriger Wert. Im Kader des Gastgebers stehen viele Spieler, die bereits 2007 dabei waren, im WM-Finale gegen Deutschland. Es ist keine gewagte Prognose, dass die EM für die Polen den vorerst letzten Anlauf auf einen großen Titel darstellt.