Die Champions League als gut bezahlte Fortbildung: Borussia Mönchengladbach und die magischen Niederlagen
Wieder reicht es nicht für einen Sieg gegen einen ganz Großen in Europa, trotzdem ist man bei Borussia Mönchengladbach mit dem Auftreten gegen den FC Barcelona einverstanden.
Rainer Bonhof ging mit derselben Kompromisslosigkeit zu Werke, die ihn schon als Spieler ausgezeichnet hatte. Er bahnte sich mit einer Bestimmtheit seinen Weg, dass, buchstäblich, die Wände wackelten. Bonhof, Vizepräsident von Borussia Mönchengladbach, drängelte sich an einer Absperrung vorbei, um in den Kabinentrakt zu kommen. Es donnerte und schepperte ein bisschen, dann hatte Bonhof das Hindernis hinter sich gelassen.
Früher auf dem Fußballplatz war es ähnlich. Was dem Spieler Bonhof an Talent verwehrt geblieben war, machte er mit Eifer wett, und mit seinen Freistößen brachte er nicht nur Wände zum Wackeln, sondern Mauern zum Einsturz. Bonhof war Teil jener erfolgreichen Fohlenelf, die in den Siebzigern zur Spitze des europäischen Fußballs zählte und die für die Gladbacher noch immer feste Bezugsgröße ist. Aktuell ist der Klub dabei, eine neue Geschichte zu schreiben. Dass es bis zur Spitze Europas allerdings noch ein weiter Weg ist, das hat nicht zuletzt die 1:2 -Niederlage gegen den FC Barcelona gezeigt. Wieder einmal.
Zum zweiten Mal dürfen die Borussen in dieser Saison an der Champions League teilnehmen, acht Spiele haben sie nun hinter sich – und die nackten Zahlen zeugen bisher nicht unbedingt von ihrer Wettbewerbstauglichkeit. Nur ein Sieg ist ihnen gelungen, fünf der acht Spiele gingen verloren. Aber es gibt hinter der mathematischen auch noch eine postfaktische Wahrheit. „Es war fantastisch heute“, sagte Borussias Offensivspieler Patrick Herrmann. „Wir haben gezeigt, dass wir mithalten können.“
In ihren acht Champions-League-Spielen waren die Gladbacher nur zweimal rettungslos unterlegen. Vor einem Jahr, bei ihrem ersten Auftritt überhaupt, gegen den FC Sevilla (0:3) und vor zwei Wochen beim 0:4 gegen Manchester City. Im Vergleich zu diesem Auftritt bescheinigte Torhüter Yann Sommer seiner Mannschaft „einen Riesenschritt nach vorne“. Gegen Barcelona hätte es ja ähnlich aussehen können wie in Manchester, stattdessen „haben wir uns einfach mehr zugetraut“, sagte Sommer. „Wir haben einen großen Gegner laufen lassen."
Die Gladbacher stellten sich erkennbar weniger naiv an als zwei Wochen zuvor, auch wenn die Gäste durchaus zu glänzenden Chancen kamen. Es waren allerdings die Hausherren, die zehn Minuten vor der Pause nach einem perfekten Konter durch Thorgan Hazard in Führung gingen. „Ich glaube, dass wir ein großes Champions-League-Spiel von uns gesehen haben“, sagte Borussias Sportdirektor Max Eberl. „Trotzdem stehen wir hier und ärgern uns – das ist eigentlich das größte Kompliment.“
Von dieser Art Komplimente haben die Gladbacher schon vor einem Jahr einige erhalten. Das Spiel erinnerte von seinem Verlauf fatal an Begegnungen aus der Vorsaison. Auch gegen Turin, gegen und bei Manchester City hatte die Mannschaft in Führung gelegen, am Ende sprang aus diesen drei Spielen aber nur ein einziger Punkt heraus (1:1 gegen Juventus). Das 1:2 gegen Barça wirkte wie eine schlechte Kopie des 1:2 gegen City im Oktober 2015. Damals fiel der Siegtreffer durch einen Elfmeter in der Nachspielzeit, diesmal traf Gerard Piqué im Anschluss an eine Ecke, nachdem die Spanier erst zehn Minuten zuvor durch Arda Turan zum Ausgleich gekommen waren.
Die Europapokal-Nächte im Borussia-Park haben etwas Magisches
„Man lernt auch was aus der Qualität des Gegners“, sagte Borussias Trainer André Schubert. Er war entsprechend „enttäuscht über das Ergebnis, erfreut über die Leistung“. Für die Gladbacher ist die Champions League so etwas wie eine gut bezahlte Fortbildungsmaßnahme. Sie sind nicht so vermessen zu glauben, dass sie Teams wie Juventus, City oder Barça mal eben an die Wand spielen, „aber mit einer unglaublichen Moral und unserer Qualität können wir ihnen gefährlich werden“, sagte Sportdirektor Eberl. „Bisher belohnen wir uns noch zu wenig mit Punkten. Da fehlt vielleicht das letzte Quäntchen Qualität.“
Einstweilen können sie sich in Mönchengladbach mit solchen Erlebnissen noch arrangieren, auch wenn sie sich zu wiederholen scheinen. Niemand hat vergessen, dass es vor fünf Jahren noch gegen Bochum um den Verbleib in der Bundesliga und nicht gegen Barcelona um das Überwintern im Europapokal ging. Die Nächte im Borussia-Park haben etwas Magisches, Reisen ins Ausland sind für die Fans immer noch große Abenteuer. Patrick Herrmann, der 2010 aus dem eigenen Nachwuchs den Sprung zu den Profis geschafft hat, schien immer noch beseelt, dass er das Logo des FC Barcelona auf der Anzeigetafel gesehen hatte. „Das war eines der schönsten Spiele, die ich im Borussia-Park verfolgen durfte“, sagte er.
Der Spielplan hält für die Gladbacher nun das größtmögliche Kontrastprogramm bereit. Am Sonntag treten sie beim FC Schalke an, der noch ohne jeden Punkt Tabellenletzter ist. „Das ist eine echt komplizierte Situation, , die wir zu meistern haben“, sagte Eberl. Aber es sind solche Spiele in der Liga, die letztlich darüber entscheiden, ob die Gladbacher ihre Lernfortschritte auch in der kommenden Saison wieder auf höchstem Niveau präsentieren dürfen.