Kritik an Özil: Bierhoff hinterlässt viele offene Fragen
Beim aufgeklärten Fußballvolk ist Oliver Bierhoffs Ruf bereits angeschlagen. Mit seinen Aussagen zu Mesut Özil macht es der Manager des Nationalteams nicht besser. Im Gegenteil.
Was für ein Lappen. So durchsichtig, so unwürdig, so schwach. Armselige Gestalt. Unterirdisches Niveau. Mann ohne Rückgrat. Macht alles falsch. Killer-Olli. Nicht mehr tragbar. Das sind nur ein paar Reaktionen, die seit Donnerstagabend über Oliver Bierhoff auf Twitter zu lesen waren.
Seit Donnerstagabend ist das Interview von Oliver Bierhoff mit der „Welt“ auf dem Markt, in dem es um das Abschneiden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Russland im Allgemeinen geht, im Besonderen aber eben auch um Mesut Özil. Man hätte überlegen müssen, hat Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, im Rückblick auf die Weltmeisterschaft gesagt, „ob man sportlich auf ihn verzichtet“.
Bierhoff ist im aufgeklärten Fußballvolk im Moment ohnehin nicht wohlgelitten: Er ist nach dem Ausscheiden der Nationalmannschaft schon in der Vorrunde für das immer weiter ausufernde Marketinggedöns verantwortlich gemacht worden, für krude Claims und misslungene Hashtags – und für die Auswahl des kargen WM-Quartiers in Watutinki sowieso (wie er früher eben auf das Heftigste dafür kritisiert worden ist, dass es für die verwöhnten Nationalspieler gar nicht luxuriös genug sein könne). Die Aussagen zu Özil haben die Debatte um Bierhoff nun noch zusätzlich befeuert.
Macht der Manager da jemanden zum Sündenbock, um vom eigenen Versagen abzulenken? Wird ein Spieler, der vor Jahren noch als Musterbeispiel für gelungene Integration gefeiert wurde, dem immer rechteren Zeitgeist geopfert? Warum greift sich Bierhoff nur Özil heraus, der gegen Südkorea sportlich nachweislich noch einer der Besseren war – und nicht auch Ilkay Gündogan, der die erregten Diskussionen um das gemeinsame Treffen mit Recep Tayyip Erdogan wesentlich schlechter verkraftet hat und daher für die WM sportlich viel weniger zu gebrauchen war?
Offene Fragen
Bierhoffs Aussagen im „Welt“-Interview haben einige Fragen offengelassen – und ihn am Tag danach zu einer Klarstellung veranlasst. Er habe sich falsch ausgedrückt, sagte Bierhoff im ZDF. Es gebe, auch im Nachhinein, keine Überlegung, dass man Mesut Özil besser zu Hause gelassen hätte. Das sei eine Missinterpretation gewesen. „In alles wird etwas hineininterpretiert“, sagte Bierhoff. Es ist eben eine komplizierte Gemengelage, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Das zeigt nicht zuletzt die Aufregung um Bierhoffs Interview.
Natürlich kann man dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) die Schweden als leuchtendes Beispiel entgegenzuhalten, die sich geschlossen hinter ihren Mitspieler Jimmy Durmaz gestellt haben, während Özil vom eigenen Manager infrage gestellt wird. Doch das ist (zu) billig. Durmaz ist rassistisch beleidigt worden, weil er im Gruppenspiel gegen die Deutschen kurz vor Schluss den Freistoß verursacht hatte, der letztlich zum Siegtreffer durch Toni Kroos führte.
Im Fall von Özil und Gündogan steht am Anfang eben kein banales Foul, sondern das Treffen mit Erdogan, mit einem Autokraten, der in seinem Land Oppositionelle verfolgt, der Journalisten willkürlich wegsperren lässt, der die Grundrechte in der Türkei dauerhaft eingeschränkt hat. War es nur naiv von Özil und Gündogan, sich mit ihm zu treffen? Einfach nur dämlich? Oder vielleicht doch berechnend? Diese Fragen sind immer noch nicht beantwortet.
Dass Gündogan sich der Presse gestellt hat, ist nur halb richtig. Er hat sich vier ausgewählten Medien gestellt, zwei Fernsehsendern und zwei Nachrichtenagenturen. Özil hat bis heute noch gar nichts gesagt. Dem Medientag der Nationalmannschaft im Trainingslager in Südtirol ist er ferngeblieben, was der DFB nicht nur toleriert, sondern unter anderem damit begründet hat, er habe alles gesagt.
Das Problem ist, dass es in der Angelegenheit zwei Ebenen gibt, die sich überlagern. Dass aufgeklärte Demokraten Özil und Gündogan sehr wohl für ihren Kuschelkurs mit Erdogan kritisieren dürfen – zumindest solange beide sich nicht in irgendeiner Art dazu erklären oder sich sogar davon distanzieren. Dass es aber eben auch viele gar nicht so aufgeklärte Demokraten gibt, die dankbar auf den Zug aufgesprungen sind, um ihre Ressentiments gegen türkischstämmige Nationalspieler endlich mal wieder offen auszuleben.
Pfiffe für Gündogan
Der DFB hat diese Gemengelage auf dramatische Weise unterschätzt. In der selbst gewählten Isolation in Südtirol hat niemand mitbekommen, was sich in der Heimat zusammenbraute. Die Wucht ist allen Beteiligten erst nach der Rückkehr nach Deutschland bewusst geworden, als Gündogan im Testspiel gegen Saudi-Arabien in Leverkusen bei jeder Ballberührung gnadenlos niedergepfiffen wurde. Das würde auch die hilflose Reaktion Bierhoffs erklären, der per Ordre de Mufti versuchte, die Debatte ein für alle Mal für beendet zu erklären.
Insofern ist es zumindest nicht falsch, wenn man in der Nachbetrachtung der verkorksten WM die Frage stellt, ob es nicht besser gewesen wäre, auf Özil und Gündogan zu verzichten. Bundestrainer Joachim Löw hätte beide durchaus vor die Wahl stellen können: Entweder ihr erklärt euch und wir schaffen dieses Thema aus der Welt, oder ihr müsst zu Hause bleiben, weil die Debatte sonst alles überlagert und die ganze Mannschaft verrückt macht – so wie es letztlich geschehen ist. Dass die Mannschaft von der Diskussion nicht berührt worden sei, wie Bierhoff es glauben machen will, ist eine sehr eigenwillige Sicht auf die Dinge.
„Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen“, hat Bierhoff der „Welt“ gesagt. „Das ist uns bei Mesut nicht gelungen.“ Auch diese Aussage wirkt rätselhaft. Was meint Bierhoff mit „eine Sache“? Dass Özil sich in der Erdogan-Debatte hätte erklären müssen? Oder schwingt da für den flüchtigen Leser nicht der Vorwurf von Lothar Matthäus mit, dass Özil das deutsche Nationaltrikot nicht gerne trage? Dass er nicht hinter der „nationalen Sache“ stehe?
Zukunft der Mannschaft
Das Problem ist nicht aus der Welt geschafft, nur weil die Weltmeisterschaft vorbei ist. Schon im September geht es für die Nationalmannschaft weiter. Aus sportlichen Gründen müsste dann eigentlich auch Mesut Özil wieder in der Startelf stehen. Aber will er das überhaupt noch? Tut er sich das nach allem, was zuletzt passiert ist, den Anfeindungen gegen seine Person überhaupt noch an? Ist Bierhoffs Interview womöglich der schlecht kaschierte Versuch, Özil zum Rücktritt aus der Nationalmannschaft zu bewegen und sich damit eines Problems zu entledigen, das der DFB kaum noch beherrschen kann?
Özil hat bisher zu seinem Treffen mit Erdogan geschwiegen. Warum sollte er seine Haltung plötzlich überdenken? Natürlich wird er sich auch künftig nicht hinstellen, sich von Erdogan und dessen Politik distanzieren; er wird nicht öffentlich klagen, dass ein angeblich privates Treffen mit dem türkischen Präsidenten von Erdogans Partei zu politischen Zwecken missbraucht worden sei. Özil wird das schon aus Rücksicht auf sich und seine Verwandten in der Türkei nicht tun.
„Man muss eben auch mal festhalten, dass Mesut das, was von ihm erwartet wurde, aus bestimmten und offensichtlichen Gründen so nicht hätte sagen können“, hat Oliver Bierhoff gesagt. Es war der klügste und verständnisvollste Satz in seinem gesamten Interview.