Kolumne Berliner Fußball: BFC Dynamo: Der schlafende Riese und die Vorurteile
Der BFC Dynamo hat seinen Ruf weg: Obskurer Ex-Stasi-Klub mit Hooligan-Problem. Doch es gibt auch freundliche Menschen dort und viel sportliches Potenzial, wie unser Kolumnist herausgefunden hat. Ist es vielleicht an der Zeit, mit alten Vorurteilen aufzuräumen?
Wirtschaft verstehe ich so gut wie gar nicht. Ich weiß zumindest, dass es eine Krise gibt. Ich versuche ständig, mich zu informieren, und die meisten Zeitungen stimmen darin überein, dass die Griechen die Bösen sind. Die waren rücksichtslos und jetzt werden sie dafür bestraft. Zu Recht! Und auch wir Iren sollen angeblich ein bisschen böse sein – nicht so böse wie die Griechen, aber doch ein bisschen. Ich kann allerdings garantieren, dass wir eigentlich alle sehr nett sind. Der irische Normalbürger wurde von den Banken ausgebeutet und jetzt haben wir einen Ruf, den wir nicht verdient haben. Vorurteile halt. Es gibt sicherlich böse Iren und Griechen, die durch eigene Aktionen Probleme für alle gebracht haben. Aber die große Mehrheit der Griechen und Iren ist nicht böse.
Und somit kommen wir zum BFC Dynamo. Der ist ja definitiv ganz schon böse, oder? Das wurde vor zwei Jahren im DFB-Pokal ultimativ bestätigt, als ein paar Dynamo-Fans im Jahn-Sportpark die Kaiserslautern-Fans angriffen. Ich war da und ich gebe zu, dass ich neben der Empörung über die Gewalt auch ein klitzekleines bisschen Freude verspürte. Dynamo hat zwar sofort verkündet, dass diese Randalierer mit dem Verein sonst nicht viel zu tun hätten. Doch das war mir egal. Wie bei jedem Job ist es auch für Journalisten viel einfacher, wenn man nicht allzu viel denken muss. Randalierende Dynamo-Fans? Perfekt. Kopfzeile und 90 Prozent des Inhalts standen damit schon von selbst. Ich schrieb meinen faulen Bericht und veröffentlichte ihn.
Über die nächsten paar Jahre versuchte ich jedoch, Dynamo ein bisschen besser kennen zu lernen. Ich habe Freundschaftsspiele, Oberligaspiele und Pokalspiele im Sportforum gesehen. Auswärtsspiele auch. Vor manchen Dynamo-Fans habe ich Angst – die sind tätowiert und haben wenige Haare. Vorurteile lässt man schwer los. Aber es gibt auch Familien dort. Und Kinder und ältere Leute, die gar nicht böse aussehen. Die sind sogar freundlich.
Der freundlichste Mensch, den ich bis jetzt im Sportforum kennen gelernt habe, ist Volkan Uluc. Der 43-jährige in Istanbul geborene Trainer verfügt über 25 Jahre Erfahrung im ostdeutschen Amateurfußball und hat schon unter anderem Viktoria, BAK, Yesilyurt und Sachsen Leipzig trainiert. Er hat aber einen Lieblingsverein: „Dynamo ist mein Verein in Berlin, ich fühle mich sehr wohl hier.“
Im Juli 2012 übernahm er zum zweiten Mal die Stelle als Dynamo-Trainer und zusammen mit der Vereinsführung setzte er ein klares Ziel: ein Jahr Stabilisierung, dann Aufstieg. Soweit sieht alles gut aus. Seit der tollen Leistung beim DFB Pokal-Aus gegen den VfB Stuttgart (ohne Randale), hat Dynamo sechs Pflichtspiele gespielt und alle gewonnen. In der Oberliga hat der Traditionsverein aus Hohenschönhausen schon vier Punkte Vorsprung und man hat das Gefühl, dass die größte Herausforderung für Uluc sein wird, seine Spieler auf dem Boden der Tatsachen zu behalten. „Nach dem achten oder neunten Spieltag werden wir die Tabelle ein bisschen klarer sehen können“, sagt er und spricht von der guten Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern, die er dieses Jahr im Kader hat. Angekommen sind Torwart Stephan Flauder und Verteidiger Philip Haastrup – beide haben für lange Zeit höherklassig gespielt und beide spielen eine wichtige Rolle für Dynamo. „Sie gehen als Leader voran und übernehmen gerne Verantwortung“, erklärt Uluc.
Bei Dynamo spürt man in diesem Jahr eine neue, äußerst positive Energie und Uluc ist die Verkörperung dessen. „Man sollte seine Ziele positiv nach außen tragen“, sagt er. Er spricht langsam und deutlich, mit sehr viel Augenkontakt. Das passt so gar nicht zu meinem alten, oberflächlichen Eindruck von Dynamo. Wer mit Uluc spricht, kann danach keinen Artikel mehr über einen obskuren Ex-Stasi-Verein mit Hooligan-Problem schreiben. Stattdessen gewinnt man den Eindruck, dass der BFC Dynamo ein schlafender Riese ist, der langsam aufwacht.
Dynamo hat gegenüber den meisten Konkurrenten in Berlin und in der Oberliga Nordost einen großen Vorteil, den man nicht einfach einkaufen kann: Fans. Viele Fans. Man stelle sich vor, Dynamo steigt auf und spielt gegen Magdeburg, Jena und Zwickau in der Regionalliga. Bei solchen Spielen würde das alte Sportforum rocken. Egal ob man Dynamo hasst oder liebt, solche Ereignisse wären für jeden Berliner Fußballfan ein Muss. Uluc unterbricht die Träumerei. „Wir dürfen nicht so viel davon reden – wir müssen versuchen, sportlich nachzulegen“, sagt er vorsichtig.
Das nächste Spiel für Dynamo ist ein interessantes: ein Lokalderby gegen Lichtenberg 47. Die Mannschaften trafen sich im Juni im Berliner Pokalfinale und Dynamo hat das rassige und spannende Duell mit 1:0 gewonnen. Wer bisher kein Interesse hatte, den BFC Dynamo besser kennen zu lernen, sollte es sich vielleicht noch mal überlegen und am Samstag im Hans-Zoschke-Stadion in Lichtenberg vorbeischauen.
„Wenn wir den ersten Schritt in die Regionalliga schaffen, bin ich der Meinung, dass keiner diesen Verein aufhalten kann“, meint Volkan Uluc. Der BFC Dynamo wacht auf und vielleicht ist es tatsächlich langsam Zeit, alte und faule Vorurteile loszulassen.
Der Autor: Stephen Glennon kommt aus Irland, lebt seit 2005 in Berlin und ist Mitgründer des englischsprachigen Berliner Fußballmagazins "No Dice". Für den Tagesspiegel schreibt Glennon ab sofort immer freitags über den Berliner Fußball.
Bilder und Spielberichte von„No Dice” auf Facebook: https://www.facebook.com/NoDiceMagazine
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