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Das Eislaufpaar Minerva Hase und Nolan Seegert bei einem Wettkampf in Tokio.
© imago images/AFLOSPORT

Der Traum von Olympia: Berliner Eiskunstlaufpaar will über Russland nach Tokio

Die Berliner Eiskunstläufer Minerva Hase und Nolan Seegert gehen neue Wege, um sich den Traum von Olympia zu erfüllen.

Nach dem kommenden Wochenende soll die letzte Ungewissheit für Minerva Hase und Nolan Seegert ausgeräumt sein. Bei den Deutschen Meisterschaften in Neuss geht es für das Eiskunstlauf-Paar aus Berlin am Freitag und Sonntag neben dem dritten nationalen Titel auch darum, endgültig die Teilnahme an den Olympischen Spielen zu sichern. Und noch dazu ein Statement abzugeben, dass der Weg, den sie für Vorbereitung auf Peking eingeschlagen haben, tatsächlich neue Impulse bringt.

Hinter Hase, 22, und Seegert, 29, liegen erneut intensive Trainingstage in Sotschi. Regelmäßig pendeln die beiden in diesem Herbst und Winter zwischen Berlin und dem sportlichen Zweitwohnsitz an der Schwarzmeerküste, wo 2014 Olympia stattgefunden hat. „Im Laufe des Sommers wurde uns klar, dass das Training in Berlin nicht ausreichen wird, um den letzten Rest auf unsere aktuelle Form draufzusetzen für die ersten Wettkämpfe der Olympiaqualifikation“, sagt Seegert. Mit dem russischen Trainer Dmitri Savin arbeiten die beiden ohnehin schon länger zusammen.

Im Vergleich mit dem hartnäckigsten Herausforderer-Paar Annika Hocke und Robert Kunkel liegen Hase/Seegert klar vorne. Bei der Finlandia Trophy im Oktober erreichten sie mit 188,37 Punkten eine neue persönliche Bestleistung. Hocke und Kunkel hatten sich bei der Nebelhorn-Trophy in Oberstdorf im September auf 168,21 gesteigert. Aber der Fokus liegt weniger auf der deutschen Konkurrenz, Hase und Seegert haben den Anspruch, den Rückstand zu den besten Eiskunstlauf-Paaren der Welt zu verkürzen. Und diese sind zu einem großen Teil in Russland beheimatet.

„Dort müssen wir aus unserer Komfortzone raus“, sagt Hase. „In Berlin war alles seit Jahren gleich: die gleichen Trainingspartner, die gleichen Personen, die man gesehen hat, das gleiche Eis.“ Sehr schnell haben die beiden gespürt, dass außerhalb von Berlin die Trainingsweise anders ist: „ein bisschen intensiver, ein bisschen strukturierter“, wie Hase sagt. „Es hat uns noch mal weitergebracht, dass wir mit Paaren auf dem Eis sind, die über 200 Punkte international laufen. Da sieht man einfach, wo man noch hin muss, um weiter nach vorne rücken zu können.“

Insbesondere was das Tempo angeht, hätten die bisherigen Lehrgänge in Russland schon einiges bewirkt. „Wir haben am Anfang zum Beispiel gemerkt, dass wir viel langsamer fahren als die anderen Paare“, sagt Hase. „Du musst dich anpassen, um dich auf dem Eis überhaupt behaupten zu können und deine Elemente machen zu können“. Die fehlende Geschwindigkeit sei auch ein Thema gewesen, das von den Preisrichtern immer mal wieder bemängelt wurde.

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Für den Paarlauf-Standort Berlin ist die Entscheidung der beiden auf den ersten Blick ein Rückschlag. Nach dem Olympiasieg von Aljona Savchenko und Bruno Massot 2018 hat sich der Bundesstützpunkt nicht nur optisch etwas verändert, er heißt jetzt auch Paarlaufzentrum. Alexander König, der das siegreiche Paar von Pyeongchang angeleitet hatte, wurde im darauffolgenden Jahr zum Bundestrainer befördert, ehe er vor wenigen Wochen von Verbandsseite mitgeteilt bekam, dass seine Dienste nicht mehr erforderlich seien. „Es kann schon sein, dass die Entscheidung für Russland hier mitreingespielt hat“, sagt König, „aber es muss auch andere, persönliche Gründe gegeben haben.“ Im Gefühl der Kränkung habe er „dann schnell einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet“.

Trotz aller Missstimmungen steht König seinen Sportlern weiterhin zur Seite – ehrenamtlich. „Ich lasse meine Paare nicht hängen“, sagt er. Hase und Seegerts Entscheidung hatte er als Bundestrainer mitgetragen und hält sie nach wie vor für richtig. „Sie sind als Eislaufpaar noch mehr zusammengewachsen und arbeiten noch aufmerksamer“, sagt König. „Sie haben Verantwortung übernommen.“ Zumal es im Spitzensport üblich ist, dass man sich einer internationalen Trainingsgruppe anschließt. „Im Eistanzen gehen sämtliche Nationen nach Montréal“, sagt Hase. „Es ist normal, dass du irgendwann aus dem Land herausgehst und dir neuen Input holst.“

Die bisherigen Leistungen sprechen klar dafür, dass der Plan der Berliner aufgeht. Dafür spricht nicht nur die neue persönliche Bestleistung, beim Top-Event Skate Canada in Vancouver belegten sie den fünften Platz. „Wir haben uns inzwischen einen Namen gemacht“, sagt Hase. Gerade der Vergleich mit den Olympiasiegern Savchenko/Massot lastet inzwischen nicht mehr so sehr auf den beiden. „Wir werden als eigenständige Personen angesehen und nicht nur als Nachfolger von den beiden.“

Rückschlag für den Eiskunstlaufstandort Berlin

Als sich Hase im Februar das Syndesmoseband verletzt hatte, war das kurzfristig ein Schock. Bei der WM in Stockholm einen Monat später musste das Duo passen, Hocke und Kunkel sicherten für die Deutsche Eislauf-Union den deutschen Olympiaplatz. Doch Zweifel, dass dieser Rückschlag die Olympiaträume beenden könnte, hatten Hase und Seegert nicht. „Wir wussten von Anfang an, Verletzung hin oder her, dass wir im September unsere Olympiaqualifikation laufen müssen“, sagt Seegert. „Wir hatten keine andere Wahl, denn Olympia wird nicht wegen uns verschoben.“ Trainer König hat „eine sehr motivierte Teamarbeit gesehen. Am Berliner Stützpunkt gibt es ein erstklassiges Team, um Sportler nach Verletzungen wiederherzustellen.“

Während Hases Trainingsmöglichkeiten eingeschränkt waren, musste vor allem Seegert einen Weg finden, um in Form zu bleiben ohne seine Partnerin. Für einige Wochen ging er mit einer Nachwuchsläuferin aufs Eis, um die gängigen Hebungen und Bewegungen zu trainieren. „Du verlernst es ja nicht komplett, aber musst halt deine Technik aufpolieren“, sagt er.

Neu hingegen war die Erfahrung für das Paar, unter verschärften Pandemiebedingungen durch die Welt zu reisen. Nicht nur die Visa für Russland erfordern einiges an organisatorischem Aufwand. Speziell die Grand-Prix-Veranstaltungen in Vancouver und Tokio, die nur zwei Wochen auseinanderlagen, empfanden die beiden als Herausforderung. „Ich schätze, dass 30 bis 40 Prozent unserer Arbeitszeit daraus besteht, administrativen Anforderungen nachzukommen“, sagt Seegert.

Natürlich empfinden sie es zugleich als Privileg, zu einem erlesenen Feld zu gehören. Seit knapp acht Jahren laufen die beiden inzwischen zusammen Eis, Hase war zu Beginn gerade mal 14 Jahre alt. Bei der Qualifikation für Olympia 2018 wurden sie schon mal von einer Verletzung ausgebremst. „Wir waren damals auch noch nicht so weit“, sagt sie. Ganz anders fühlt es sich jetzt an. Das Pendeln nach Sotschi hat daran einen wichtigen Anteil. 

Benedikt Paetzholdt

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