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In der Wagenburg. Russlands Leichtathleten sollen jahrelang systematisch betrogen haben. Hier feiert die 4x400-Meter-Staffel der Frauen ihren Sieg bei der Weltmeisterschaft 2013 in Moskau.
© imago sportfotodienst

Dopingskandal in der Leichtathletik: Ausschluss von Russland nicht ausgeschlossen

Die Vorwürfe gegen Russlands Leichtathletik könnten erstmals ein Team die Teilnahme an Olympia kosten. Im IOC hat das Land aber weiter großen Einfluss.

Bei Interpol scheint man einen feinen Sinn für Symbolik zu haben. Die internationale Polizei-Behörde hat ihren Ermittlungen rund um Doping und Korruption in der Leichtathletik jedenfalls den Namen „Operation Augias“ gegeben – und sich damit in der Sagenwelt des klassischen Altertums bedient. Schließlich musste Herkules einst den Stall des Königs Augias ausmisten, den wohl verdrecktesten Ort der Weltgeschichte. Auch die Leichtathletik ist nicht nur beschmutzt, sondern scheint regelrecht vom Dreck verkrustet zu sein.

Diesen Schluss legt zumindest der Bericht der Ermittlungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) nahe, der am Montag in Genf vorgestellt wurde. Am gestrigen Dienstag ließ die Wada dem Bericht erste Konsequenzen folgen: Dem Moskauer Anti-Doping-Labor, das laut dem Bericht eine Schlüsselrolle im russischen Dopingsystem einnimmt, wurde mit sofortiger Wirkung die Akkreditierung entzogen. Das Labor ist somit für alle Wada-bezogenen Aktivitäten gesperrt und darf keine Urin- oder Blutproben mehr analysieren. Ein Disziplinar-Komitee wird darüber befinden, ob die Moskauer Einrichtung ihre Lizenz zurück erhält. Das Labor kann gegen die Sperre allerdings Einspruch beim Internationalen Sportgerichtshof Cas erheben.

Welche weiteren Folgen die Erkenntnisse der Wada-Ermittler um Richard Pound haben, ist noch unklar. Der Internationale Leichtathletik-Verband IAAF muss darüber befinden, ob er der Wada-Empfehlung folgt, alle russischen Leichtathleten zu suspendieren. Der Rat der IAAF tagt das nächste Mal am 26. und 27. November in Monte Carlo. Als erste Reaktion auf den Wada-Bericht forderte IAAF-Präsident Sebastian Coe den russischen Verband auf, bis zum Ende dieser Woche zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Danach will der Weltverband, wie es in einer Mitteilung hieß, „so schnell wie möglich“ über die nächsten Schritte entscheiden. Die Suspendierung der gesamten russischen Leichtathletik-Mannschaft wegen Dopings von allen Wettbewerben – und damit auch von den Olympischen Spielen 2016 in Rio der Janeiro – würde ein Novum in der Welt des Sports darstellen.

Bei Olympia 2012 in London hatte Russland die Gesamt-Medaillenwertung mit 82 Podiumsplatzierungen auf dem vierten Platz abgeschlossen. 18 Medaillen, darunter acht goldene, gingen auf das Konto der Leichtathleten. Nach den Enthüllungen der ARD-Dopingredaktion um Hajo Seppelt im Dezember 2014 hatte es einige Veränderungen im russischen Verband gegeben, bei der WM im vergangenen August waren Russlands Leichtathleten weitaus weniger erfolgreich als in den Jahren zuvor.

Eine wichtige Rolle in der Affäre kann auch das Internationale Olympische Komitee spielen. Am Dienstagabend suspendierte das IOC-Exekutivkomitee zunächst Lamine Diack vorläufig als IOC-Ehrenmitglied. Der ehemalige Präsident des Leichtathletik-Weltverbands soll Dopingfälle – auch von russischen Athleten – gegen Bezahlung vertuscht haben.

Konkrete Sanktionen gegen Russland durch das IOC blieben aber zunächst aus. Es forderte ebenfalls den Leichtathletik-Weltverband zu disziplinarischen Maßnahmen gegen alle verdächtigen Athleten, Trainer und Funktionäre auf. Immerhin prüft das IOC nach eigenen Angaben die Aberkennung von olympischen Medaillen russischer Athleten. Der Ausschluss der gesamten russischen Mannschaft von den Spielen 2016 in Rio de Janeiro ist dagegen kaum vorstellbar.

Russland besitzt innerhalb des IOC weiter großen Einfluss. Mit vier Mitgliedern ist das Land im IOC stark vertreten. Witali Smirnow ist sogar das dienstälteste Mitglied, er gehört dem IOC schon seit 1971 an und war selbst neun Jahre Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Russlands. Auch sein Nachfolger Alexander Schukow ist IOC-Mitglied. Als stellvertretender Vorsitzender der Duma verkörpert er Russlands enge Verbindung von Politik und Sport. Die anderen beiden russischen IOC-Mitglieder sind der Präsident des russischen Tennisverbands Schamil Tarpitschew und der frühere Schwimm-Olympiasieger Alexander Popow.

Auch DOSB-Präsident Alfons Hörmann erwartet empfindliche Strafen. „Wir können nur hoffen, dass alle gemeinsam die Lehren daraus ziehen und dass nun sehr klare und harte Sanktionen umgesetzt werden“, sagte der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes in München. „Ich gehe davon aus, dass der Leichtathletikverband im ureigenen Interesse weiß, was er zu tun hat.“

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