Cristiano Ronaldo ist Weltfußballer: Aus künstlich wird menschlich
Cristiano Ronaldo hat Portugal zum EM-Titel geführt und mit Real Madrid die Champions League gewonnen. Dafür wurde er nun mit dem Goldenen Ball ausgezeichnet. Ein Kommentar.
Die Mode-Vokabel „Leaks“ war auch am Montagabend in Paris präsent. Es ging dabei allerdings weniger um die fiskalischen Unregelmäßigkeiten, mit denen die Enthüllungsplattform Football-Leaks Cristiano Ronaldo in Verbindung bringt. Das Leck, aus dem diesmal etwas tropfte, befand sich nicht auf den Bahamas oder den Britischen Jungferninseln, sondern in einem französischen Medienhaus. Die befreundete Konkurrenz aus Spanien veröffentlichte rechtzeitig zur Ehrung des besten Fußballspielers der Welt das geleakte Cover des Magazins „France Football“. Es zeigt einen jubelnden Ronaldo mit dem Goldenen Ball im Arm, daneben in dicken Buchstaben die Schlagzeile: „Sacré Ronaldo“.
Ach du heiliger Cristiano! Der Mann hat wohl über Jahre hinweg seine Werbeeinnahmen über einen Briefkasten in der Karibik abgerechnet. Moral und Kapital vertragen einander nur bedingt, da macht das Milliardengeschäft Fußball mit seinen Großverdienern Ronaldo, Messi oder Özil keine Ausnahme. Für Ronaldos steuerrechtliche Verfehlungen ist die spanische Staatsanwaltschaft zuständig. Das Urteil über seine Leistungen im magischen Geviert der Kreidestriche ist schon gefällt. 2016 war das Jahr des Cristiano Ronaldo. Der Mann hat Portugal sensationell zum Triumph bei der Europameisterschaft geführt und Real Madrid nicht ganz so überraschend zum Gewinn der Champions League.
Ronaldo hat die Auszeichnung schon dreimal erhalten, in den Jahren 2008, 2013 und 2014, aber damals ging der Preis noch an das androgyne Kunstprodukt CR7. Diesen Status hat er bei der Europameisterschaft verloren. Ronaldo spielte ein aufregendes Turnier, mit grandiosen Tricks und Tempodribblings und zwei der schönsten Tore des Turniers. Dazu aber zeigte er einen französischen Sommer lang, dass er mehr ist als eine perfekt justierte Fußballmaschine.
Zwei Momente werden in Erinnerung bleiben. Einmal, nach seinem schwächsten EM-Spiel und reichlich versemmelten Torchancen gegen Österreich, posierte Ronaldo mit einem aufdringlichen Fan für ein Selfie, gegen den heftigen Widerstand zweier Ordner, die den Eindringling vom Platz zerren wollten. Und im Finale gegen Frankreich weinte er erst nach früher Verletzung in alle Kameras und humpelte später als improvisierender Co-Trainer zurück in den Innenraum, wo er seine Kollegen mit aller Leidenschaft nach vorn trieb, bis der Gegner endlich besiegt war. Auch das französische Publikum verneigte sich in Ehrfurcht.
Beide Male war dieser neue Ronaldo in Paris zu bestaunen. Es passte ganz gut, dass er dort auch für sein Gesamtkunstwerk geehrt wurde, interessanterweise in Abwesenheit. Ronaldo verpasste den Termin wegen einer Dienstreise zur Klub-Weltmeisterschaft in Japan, bei der Real Madrid als Gewinner der Champions League anzutreten hat. Der Erfolg hat seinen Preis.