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Sein Freund, der Ball. Franz Beckenbauer verdankt seine Berühmtheit einer Virtuosität, die man kaum als Streicheln bezeichnen mag, weil das schon zu grob klingt.
© Imago/Otto

Franz Beckenbauer wird 70: Aus dem Leben eines Sonntagskindes

Er stimmte für Putins WM und kungelte mit Blatter, aber bei Franz Beckenbauer kümmert es einfach keinen. Jetzt wird er 70. Eine Würdigung.

Über den Dächern von Salzburg zieht er noch mal kurze Hosen und Fußballschuhe an. „Schau’n mer mal, ob s’ noch passen“, sagt Franz Beckenbauer, und schon stiefelt er hinaus auf den kleinen Bolzplatz vor seinem Haus, im Gefolge die Kinder Francesca und Joel. Alle drei verneigen sich und winken in ein imaginäres Publikum, dabei steht allein die Mama auf dem Balkon. „Tore schießt nur die Francesca!“, ruft Beckenbauer. Dann tänzelt er ein paar Minuten über den Kunstrasen, gemächlicher als früher und doch mit einem Anflug der Eleganz, als er auf deutschen Wiesen die Monarchie restaurierte und sich die Welt vor ihm verneigte. Am Freitag feiert er seinen 70. Geburtstag, aber vom Fußball mag und kann der Fußballkaiser immer noch nicht lassen. Für ein von der ARD angefertigtes Geburtstagsporträt (Ausstrahlung am Sonntag, 21:45 Uhr) hat er sich sogar mit seinen Kindern filmen lassen, was die Familie jenseits von kaiserlichen Feiertagen mit anwaltlicher Hilfe verhindern lässt.

Natürlich ist die Lichtgestalt Beckenbauer ein Produkt des Fußballs. Der Mann verdankt seine Berühmtheit einer Virtuosität am Ball, die man kaum als Streicheln bezeichnen mag, weil das schon unangemessen grob klingt. Mit seiner Leichtigkeit hat Franz Beckenbauer den Deutschen auch dabei geholfen, sich selbst ein bisschen mehr zu mögen. Seine Beliebtheit hat in jüngster Vergangenheit ein wenig gelitten. Wegen seiner Nähe zum skandalumwitterten Fifa-Chef Sepp Blatter, der Parteinahme für die WM 2018 in Putins Russland oder einer eigenwilligen Expertise zu den Arbeitsbedingungen in Katar, sie liest sich so: „Ich habe nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen. Die laufen alle frei rum, weder in Ketten gefesselt noch mit irgendeiner Büßerkappe am Kopf.“

Wahrscheinlich wird auch das bald wieder vergessen sein, wie so vieles von dem, was er in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten von sich gegeben und angestellt hat. Adenauer scherte sich nicht um sein Geschwätz von gestern, um das von Beckenbauer schert sich auch sonst niemand. Otto Rehhagel hat dieses Phänomen einmal so beschrieben: „Wenn der Franz morgen sagt: ,Der Ball ist rechteckig’, klatschen alle Beifall und schreiben: ,Endlich hat es einmal einer gesagt!’“

"Der Ball ist die Vollkommenheit des Rades"

Mei, der Franz …, seufzen seine Kritiker, die doch eher kritische Freunde sind. Mit 17 hat er seine Freundin geschwängert und im Seniorenalter als Klubpräsident auch eine Sekretärin nach der Weihnachtsfeier seines FC Bayern München. Nach Willy Brandts Wahl zum Bundeskanzler fürchtete Beckenbauer Verhältnisse wie in der DDR, vor der Steuer floh er erst in die USA und später nach Österreich. Dazu glaubt er an eine spätere Wiedergeburt als Frau und dass er in einem früheren Leben mal Südamerikaner war. Und was den rechteckigen Ball angeht, widerlegt er die These des Kollegen Rehhagel in dem Geburtstagsfilm entschieden:

„Dass er rund ist, das macht das Spiel einfacher. Weil wenn er eckig wäre oder wie das Ei im American Football, dann hätte man mehr Schwierigkeiten, den Ball zu behandeln. Also er ist dem Sonnensystem angepasst. Die größte Erfindung des Menschen, sagt man, ist das Rad. Das Rad ist ja auch rund. Der Ball ist die Vollkommenheit des Rades.“

Franz Beckenbauer kann sagen und tun, was er will

Franz Beckenbauer kann sagen und tun, was er will – und schwebt doch immer über den Dingen. Wie früher als Fußballspieler, der das Spiel revolutioniert hat mit seiner Eleganz und Perfektion. Oder in der zweiten Berufung als Trainer der Nationalmannschaft, bei seinem gedankenverlorenen Spaziergang über den Rasen von Rom, als um ihn herum das Stadio Olimpico bebt nach dem Sieg im WM-Finale über Argentinien. Und im Spätwerk als weltreisender Diplomat, der an Lagerfeuern tanzt, in Dubai Golf spielt und dem Papst die Hand schüttelt, auf dass die Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland vergeben werde.

Niemand in der Unterhaltungsbranche Sport hat dieses Land so nachdrücklich und nonchalant zugleich geprägt wie Franz Beckenbauer. Ein Kind aus bescheidenen Verhältnissen, geboren im Münchner Arbeiterviertel Giesing am 11. September 1945, an einem „… mei, was war des für a Wochentag …“, es war kein Sonntag, sondern ein Dienstag.

Den Fußball entdeckt er wie so viele Schlüsselkinder nach dem Krieg auf der Straße. Weiter geht’s beim Verein um die Ecke, den geplanten Wechsel zu 1860 München verhindert die Watsch’n eines Sechzigers, die ähnlich schwere Folgen zeitigt wie die Ablehnung der Beatles durch die Plattenfirma Decca. Beleidigt zieht Beckenbauer ein Haus weiter zum FC Bayern München, und ob sich dieser ohne seine Aura zum heutigen Weltkonzern entwickelt hätte, darf doch sehr stark angezweifelt werden.

Vom Fußballer zum Hauptdarsteller der gehobenen Gesellschaft

1966 verliebt sich die ganze Welt in den Giesinger Buben. Bei der WM in England, als Repräsentant eines veränderten Deutschlands, das Fußball nicht mehr als Vorwegnahme kriegerischer Handlungen auf Rasen interpretiert. Die Welt staunt über die Kunst dieses 21-Jährigen, den vorher keiner kannte und der mit der Erhabenheit eines in Ehren ergrauten Regenten über den Platz schreitet.

Der Erfolg vermittelt Beckenbauer ein Selbstverständnis, wie es völlig neu ist in den Stadien der vor ein paar Jahren gegründeten Bundesliga. Er spielt mit seiner Macht und testet ihre Grenzen aus. Für den Tagesspiegel notiert Ulfert Schröder in Gelsenkirchen eine Szene, wie sie typisch ist für die Außenwirkung des heranwachsenden Weltstars, beginnend mit einem Foul am Schalker Publikumsliebling Reinhard Libuda und dem draus resultierenden Unmut des Publikums:

„Statt sich schuldbewußt zu ducken, nahm Franz Beckenbauer den Ball genau in jener Ecke, wo das Geschrei am vernichtendsten klang, und jonglierte ihn von einem Fuß zum anderen, auf den Kopf und wieder auf den Fuß. Beckenbauer führte seine Privatvorstellung etwa 40 Sekunden lang fort und schob dann den Ball zur Seite wie einen leeren Suppenteller. Schalker und Bayern und 64 000 Zuschauer starrten wie gelähmt auf Beckenbauer. Er demütigte den Gegner und dessen Anhänger, hielt Zwiesprache mit dem Volk, selbstbewusst, herausfordernd und vernichtend zugleich.“

Als Fußballer zu Hauptdarstellern der gehobenen Gesellschaft wurden

Dieser Anspruch prägt ihn, nicht nur auf dem Rasen. Für das Geschäftliche legt er sich schon mit Anfang 20 einen Manager zu, als sich seine Kollegen noch mit Tankgutscheinen oder Essenseinladungen abspeisen lassen. Für die atemberaubende Summe von 100 000 Mark singt er ein Liedchen, man stimmt es heute noch gern und zur allgemeinen Belustigung an, auch zu seiner eigenen:

„Gute Freunde kann niemand trennen,

gute Freunde sind nie allein.

Weil sie eines im Leben können,

füreinander da zu sein.“

Es ist die Zeit, da das Fernsehen den Fußball für sich entdeckt und seine Interpreten zu Hauptdarstellern der gehobenen Gesellschaft macht. Beckenbauer ist der erste deutsche Fußballspieler, der nicht ausschließlich über den Sport wahrgenommen wird. Das Kerngeschäft aber wird nicht vernachlässigt. Bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko trotzt er dem Schein und spielt das Halbfinale mit bandagierter Schulter zu Ende. Italien gewinnt dieses Jahrhundertspiel 4:3, aber die Hochachtung gebührt einem Verlierer. Der Londoner „Evening Standard“ beschließt seine Reportage mit dem Satz: „Beckenbauer verließ das Feld wie ein verwundeter, besiegter, aber stolzer preußischer Offizier.“

Zwei Jahre später steht er der Mannschaft vor, die bei der Europameisterschaft auch die Feuilletons begeistert. Der berauschende Stil wird als Fortsetzung der Politik Willy Brandts auf dem Rasen gepriesen, obwohl die Interpreten des deutschen Fußballwunders fast allesamt stramme Christdemokraten und -soziale sind, allen voran Franz Beckenbauer, der aus seiner Sympathie für Franz-Josef Strauß kein Geheimnis macht. Und doch wird er auch vom linksliberalen Establishment bewundert, namentlich von Willy Brandt. Beckenbauer besucht die Bayreuther Festspiele und den Wiener Opernball, er trägt Pelzmäntel und kurz auch einen Schnurrbart. Im Stil eines Machtpolitikers handelt er vor der WM 1974 für die Mannschaft eine verdreifachte Siegprämie aus. Keinem anderen hätte der autoritär geführte und genauso denkende Deutsche Fußball-Bund diese Unbotmäßigkeit durchgehen lassen.

In New York entdeckt sich der Weltstar Beckenbauer als Weltmann

Als Weltmeister ist Beckenbauer auf dem Höhepunkt seiner sportlichen Schaffenskraft, aber er will mehr. Das Projekt Bayern München ist ausgereizt, die Beziehung zu seiner Frau zerbricht, das Finanzamt droht mit millionenschweren Forderungen. Mit 32 entschließt er sich zu einem radikalen Schritt. Zu einem Wechsel zu New York Cosmos in die in Deutschland verlachte Operettenliga. In New York entdeckt sich der Weltstar Beckenbauer als Weltmann. Als einen, der mit Rudolf Nurejew in die Oper geht und Placido Domingo lauscht, der mit Robert Redford durch den Central Park spaziert, im Studio 54 mit Mick Jagger tanzt und sich von Andy Warhol porträtieren lässt. In New York lernt Beckenbauer eine neue Welt kennen und definiert seinen Status neu. Hinaus über die Münchner Enge.

Ohne New York ist der Beckenbauer von heute nicht zu erklären und nicht zu begreifen. Dieses Kräfteparallelogramm von innerer Gelassenheit, aufbrausender Rechthaberei und allürenfreier Liebenswürdigkeit, alles gespeist aus der Selbstgewissheit, der eigene Horizont sei im Zweifelsfall ein viel weiterer als der aller Kombattanten.

Die „Bild“-Zeitung putscht ihren Kolumnisten Beckenbauer zum Trainer der Nationalmannschaft, wozu er eigentlich gar keine Lust hat, aber er macht’s dann doch und wird 1990 ein zweites Mal Weltmeister, diesmal an der Seitenlinie. Im Nachhinein wird der Trainer Beckenbauer auf seine Aura reduziert, auf das viel zitierte „geht’s raus und spielt’s Fußball!“ Das ist zu kurz gedacht, denn Beckenbauer fordert viel, von sich und den anderen. In der Vorbereitung und Analyse arbeitet er bis spät in die Nacht. Nationalspieler berichten, sie seien nie wieder so schonungslos und in so derber Wortwahl auf ihre Defizite angesprochen worden. Keiner wagt Widerspruch. Es ist Franz Beckenbauer, der später den Begriff von den deutschen „Rumpelfüßlern“ prägt.

Er springt dann noch zweimal bei seinen Bayern als Trainer ein und lässt sich zum Präsidenten wählen, alles schön und gut, aber eine echte Herausforderung stellt sich erst wieder ein, als sich Deutschland für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2006 bewirbt. Beckenbauer steht an der Spitze der Kampagne, er reist um die Welt und zurück und dann noch mal von vorn. Bei der entscheidenden Präsentation bringt er eine illustre Schar von Gerhard Schröder über Boris Becker bis zu Claudia Schiffer dazu, 20 Minuten lang auf der Bühne nichts anderes zu tun als die Daumen zu drücken. Das Ergebnis ist bekannt.

Selbst das Leben eines Sonntagskindes besteht nicht nur aus Sonntagen

Noch bis vor einen Jahr hat sich Franz Beckenbauer als Glückskind im ewigen Licht der Sonne verstanden, als einen, dem alles gelingt, auch wenn er gar nicht danach strebt. Doch selbst das Leben eines Sonntagskindes besteht nicht nur aus Sonntagen. Beckenbauer bekommt es spät und heftig zu spüren. Weil er sich in der ihm eigenen Art weigert, einen Fragebogen zur Korruptionsaffäre um die doch ein wenig umstrittene Vergabe der WM 2022 nach Katar auszufüllen, sperrt ihn die Fifa für 90 Tage für alle Funktionen, und das kurz vor der Weltmeisterschaft in Brasilien. Er verpasst das berauschende 7:1 über Brasilien und den Finalsieg über Argentinien und muss zur Kenntnis nehmen, dass die Deutschen auch ohne ihn eine WM gewinnen können. Das schmerzt einen, der von sich denkt, er habe schon mal ein Leben in Südamerika gelebt. Aber was ist dieser Schmerz vom Sommer 2014 schon gegen den, der ihn ein Jahr später trifft? Im August 2015 stirbt nach langer Krankheit sein Sohn Stephan, er wird nur 46 Jahre alt.

Was bleibt an Herausforderungen für einen, dem der Fußball längst zu klein ist? Stille über den Dächern von Salzburg. Ottfried Fischer hat mal gesagt, Franz Beckenbauer könnte selbst einer Partei wie der Linken in Bayern ein Direktmandat verschaffen.

Am Wochenende versuchen zwei TV-Dokumentationen, den Sporthelden Udo Lattek und Franz Beckenbauer nahe zu kommen. Markus Ehrenberg hat sich vorab beide angesehen und für Sie zusammengefasst.

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