Serena Williams bei den US Open: Auf den Spuren von Steffi Graf
Serena Williams dominiert das Frauentennis seit einem Jahrzehnt – nun kann sie Steffi Graf einholen.
Die Geschichte hatte sich eigentlich wie von selbst geschrieben. Da waren die beiden Williams-Schwestern, Venus und die ein Jahr jüngere Serena, die von ihrem Vater Richard zu Tennisspielerinnen gedrillt wurden, um aus dem Ghetto in ein besseres Leben zu entfliehen. Legendär ist jene Anekdote, wie Richard Williams einst vor dem Fernseher saß und sah, wie eine rumänische Spielerin 40 000 Dollar Preisgeld gewann. Danach entschloss er sich, alles über diesen Sport zu lernen, von dem er rein gar nichts wusste, ihn erst seiner Frau Oracene beizubringen, um dann gemeinsam ihre beiden Töchter zu Tennis-Champions zu formen.
Es ist eine jener Aschenputtel-Geschichten, wie sie sie in Amerika so gerne hören. Nur stimmt sie nicht. Richard Williams ist kein armer Mann gewesen, im Gegenteil. Ihm gehörte eine gut situierte Sicherheitsfirma, und er lebte mit der siebenköpfigen Familie in der kalifornischen Küstenstadt Long Beach. Aber er sah tatsächlich im Fernsehen, wie viel Geld im Tennis zu verdienen ist und entschied daraufhin eigenmächtig, mit seiner Frau und den fünf Töchtern nach Compton zu ziehen – in den verarmten Vorort von Los Angeles, in dem Bandenkrieg und hohe Kriminalität herrschen. Richard Williams wollte seine Töchter abhärten, sie zu Kämpferinnen machen. Und so schlugen Venus und Serena von klein auf Tennisbälle.
Alles kann Richard Williams jedenfalls mit seinem strengen, 78-seitigen Trainingsmanifest wohl nicht falsch gemacht haben. Denn seine beiden Töchter dominieren seit mehr als einem Jahrzehnt das Frauentennis – besonders Serena Williams, die bei den morgen startenden US Open wieder Geschichte schreiben und den so seltenen Grand Slam perfekt machen kann.
Alle vier Major-Titel in einem Jahr zu gewinnen, das schaffte zuletzt Steffi Graf im Jahr 1988. Die Brühlerin ist es auch, die seit Beginn der Profi-Ära 1968 mit 22 Grand-Slam-Siegen die Bestenliste anführt. Williams würde mit einem Triumph in Flushing Meadows mit Graf gleichziehen, zudem wäre sie die Einzige, die sieben Mal die US Open gewinnen konnte. Es echtes Kunststück, zumal das Frauentennis weit physischer und die Konkurrenz wesentlich härter geworden ist als zu Zeiten von Graf. „Für mich steht nicht viel auf dem Spiel“, sagte Williams dann fast beiläufig bei der einzigen Pressekonferenz, die sie vor dem Turnier gab, „ich denke nicht an den Grand Slam. Ich freue mich einfach, hier spielen zu können. Mehr will ich nicht.“ Doch niemand nahm ihr das Understatement ab. Williams hat nie gespielt, nur um zu spielen. Sie spielt, um zu gewinnen.
Kampfansage ohne Worte
Den Hype will Williams gar nicht an sich heranlassen. Doch das ist schwer. New York bebte in den letzten Tagen und die Sponsoren überboten sich mit spektakulären Einfällen, um die Tennisstars mit ihren Produkten zu präsentieren. Serena Williams war mittendrin, und auf kaum einer Titelseite fehlte sie. Das „New York Magazine“ lichtete sie im Spagat auf einem Barren ab, samt imposantem Sixpack. Es war eine Kampfansage ohne Worte, die kaum eindringlicher sein konnte.
Williams ist stärker, beweglicher und fitter denn je – und wichtiger noch: gereifter. Mittlerweile nutzt sie nicht nur rohe Kraft, sondern taktiert klug, spielt clevere Winkel, um die Gegnerin zu bewegen. Sie antizipiert die Returns schneller als andere; ihr eigener Aufschlag ist nicht nur einer der härtesten der Tour, sondern der mit Abstand konstanteste. Und da ihr Ballwurf und ihre Ausholbewegung bei jeder Variante ihres Aufschlags gleich aussehen, ist er für ihre Gegnerinnen schier unlesbar.
All die Verbesserungen in ihrem Spiel sind Teil eines Reifeprozesses, den Patrick Mouratoglou 2012 mit ihr einleitete, als Williams nach dem Erstrundenaus in Paris am Boden war. Seither gewann sie mit dem Franzosen an ihrer Seite in drei Jahren acht Grand-Slam-Trophäen und 28 ihrer insgesamt 69 Titel.
Vater Richard tritt dagegen kaum mehr in Erscheinung, umso mehr stieg die Popularität seiner Tochter. Und vielleicht ist die Serena Williams von heute sogar besser als jene mit Anfang 20, das weiß sie selbst nicht. „Ich wüsste nicht, wer von beiden das Match gewinnen würde“, sinnierte sie, „aber ich würde es liebend gerne sehen – es ginge sicher über drei Sätze.“ So oder so kann sie sich in New York wohl nur selbst schlagen.
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