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Im vergangenen Jahr schaffte es Atlético Madrid mit dem überfallartigen und mitreißenden Guerillafußball von Diego Simeone bis ins Champions-League-Finale.
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Meine Champions League: Atlético Madrid: Diego Simeone und seine Guerillas

Seit dem Champions-League-Finale 2014 hat Atlético Madrid trotz des Verlustes wichtiger Leistungsträger in sechs Spielen nicht mehr gegen den Rivalen Real Madrid verloren. Im Viertelfinal-Hinspiel an diesem Dienstag soll die Serie nun fortgesetzt werden.

Im vergangenen Frühling war es beinahe so, wie José Saramago es sich gewünscht hatte. Der portugiesische Literat, 1998 mit dem Nobelpreis geadelt, zählte zu den leidenschaftlichen Verfechtern der Vision, Portugal und Spanien zu einem Groß-Iberien zu vereinen – mit Lissabon als Hauptstadt. In diesem Sinne hatten sich im Mai 2014 mehr als 100.000 Spanier auf den Weg an die Tejo-Bucht gemacht, in Zügen, Autos, Reisebussen, ganz nebenbei bescherten sie dem internationalen Flughafen das ertragreichste Wochenende seiner Geschichte und der Kommune Lissabon Einnahmen von knapp 50 Millionen Euro. Dabei ging es doch nur um Fußball, aber was heißt schon: nur?

Das Champions-League-Finale zwischen Real und Atlético Madrid war für die Spanier mehr als nur ein Fußballspiel. Es war die Selbstbestätigung einer ganzen Nation. Der dringend herbeigesehnte Lichtblick eines kriselnden Landes, geschlagen von Zukunftsangst, Jugendarbeitslosigkeit und einem von Elefantenjagd zu Ehebruch munter vor sich hin skandalisierenden König. Worauf sonst hätten die Spanier damals stolz sein sollen als auf den Fußball?

Der König hat ein paar Wochen später abgedankt, der Wirtschaft geht es unverändert schlecht, und was die Spanier dann bei der WM in Brasilien zeigten – nun ja. Was bis heute geblieben ist vom zehn Jahre währenden Anspruch, den besten Fußball der Welt zu spielen, das ist der riesige Henkelpott, den Real in jenem Mai 2014 aus Lissabon mitnahm. 4:1 hieß es damals im Estadio da Luz, was deutlich klingt und doch denkbar knapp war, denn Real Madrid schaffte erst in der Nachspielzeit den Ausgleich und profitierte dann in der Verlängerung von der physischen wie psychischen Erschöpfung des Gegners.

Atlético Madrid stand vor dem Absturz ins Mittelmaß

„So ist das Leben“, sprach Atléticos Trainer Diego Simeone. „Manchmal gewinnst du, manchmal verlierst du“, und es sah doch sehr danach aus, als sollte die Niederlage des notorischen Außenseiters lange über diesen schönen Frühlingsabend von Lissabon hinaus wirken. Der Argentinier Simeone fabulierte tapfer von einem neuen Anlauf in der neuen Saison, aber daran mochte niemand so recht glauben, ohne die zum FC Chelsea abgewanderten Diego Simeone und Thibaut Courtois. Costas Tore und Courtois’ Paraden waren das Fundament, auf dem Simeone die kurze Erfolgsgeschichte des spanischen Überraschungsmeisters errichtet hatte. Ohne den spanischen Torjäger und den belgischen Torhüter stand Atlético vor einem Absturz ins Mittelmaß.

Es ist bekanntlich anders gekommen. Zwar wird es mit einiger Sicherheit nicht zu einer erfolgreichen Verteidigung des Meistertitels reichen und im spanischen Pokal war schon im Viertelfinale gegen den FC Barcelona Schluss. Aber für einen Platz in der Champions League wird es in der kommende Saison schon reichen, und auch in diesem Jahr ist Atlético immer noch dabei. Nicht mehr so atemberaubend wie im vergangenen Jahr, als Barcelona und Chelsea vor Simeones überfallartigem und mitreißendem Guerillafußball kapitulierten. Das Achtelfinale vor ein paar Wochen gegen Bayer Leverkusen war gezeichnet von viel Leidenschaft, aber wenig Kunst. Vergeben und vergessen, die Fans im Estadio Vicente Calderón feierten den erneuten Einzug unter die acht besten Teams Europas mit einer Begeisterung, wie es sie sonst nirgendwo gibt in spanischen Stadien. Und an diesem Dienstag wird es noch ein wenig lauter werden im Süden Madrids. Wenn der Lieblingsfeind aus der eigenen Stadt zum Viertelfinal-Hinspiel im Calderón aufläuft.

Atlético Madrid hat seit dem Champions-League-Finale in sechs Spielen gegen Real nicht verloren

Liga, Pokal, Superpokal - im spanischen Alltag ist das derbi madrileño in dieser Saison schon sechsmal ausgespielt worden. Dennoch ist es immer ein ganz besonderes Spiel und diesmal noch ein bisschen besonderer. Vier der sechs Spiele seit Lissabon gingen an Atlético, kein einziges an Real. Zuletzt gab es Mitte Februar ein 4:0 für den Außenseiter, der sich gern als ein solcher bezeichnet, aber keineswegs so fühlt. Zu den Torschützen damals gehörten auch Antoine Griezmann und Mario Mandzukic, der französische Windhund und das Kraftpaket aus Kroatien. Der eine kam aus San Sebastian, der andere aus München, und gemeinsam schließen sie im Angriff die Lücke, die Diego Costa hinterlassen hat, im Bedarfsfall unterstützt vom zurückgekehrten Fernando Torres.

Gegen Real Madrid aber werden zunächst Griezmann und Mandzukic auflaufen – was so sicher nicht war, nachdem Mandzukic zuletzt aufgrund einer Sehnenentzündung im Fuß hatte pausieren müssen. Real bietet ebenfalls die beste Besetzung auf, ganz im Gegensatz zum Ligaspiel am Samstag gegen Eibar, als Trainer Carlo Ancelotti die halbe Mannschaft geschont hatte. Auch das spricht für einen gewissen Respekt vor Diego Simeone und seinen Guerillas.

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