US Open im Tennis: Angelique Kerber sucht die Leichtigkeit
Vor einem Jahr gewann Angelique Kerber die US Open. Nun wäre sie schon froh, wenn sie in New York nicht verkrampft.
Angelique Kerber strahlte über das ganze Gesicht. „Ich liebe New York, die vielen Restaurants oder den Central Park. Die Stadt ist ein zauberhafter Ort für mich“, sagte die 29-Jährige nach der Auslosung für die US Open am vergangenen Freitag in Lower Manhattan. Ihre Beziehung zur US-Metropole wird in den kommenden Tagen auf eine harte Probe gestellt. Sollte Kerber bei dem am Montag beginnenden Hartplatzturnier in Flushing Meadows früh ausscheiden, dürfte New York für sie schlagartig an Reiz verlieren.
Es ist erst ein Jahr her, da krönte die Kielerin eine Traumsaison mit dem Sieg beim vierten Grand-Slam-Turnier des Jahres und der erstmaligen Übernahme der Spitzenposition in der Weltrangliste. Danach hatten viele Experten geglaubt, Kerber könne das Frauen-Tennis zumindest mittelfristig dominieren. Gekommen ist es ganz anders. Statt von den Erfolgen beflügelt, wirkt Kerber in der Saison danach komplett gehemmt. „Nach dem letzten Jahr war ich so gespannt auf alles, vielleicht habe ich mir zu viel Druck gemacht“, sagt sie.
Bei den US Open geht die Titelverteidigerin nur noch als Nummer sechs der Setzliste ins Rennen, in ihrem Auftaktspiel trifft sie am Dienstag auf die 19 Jahre alte Japanerin Naomi Osaka. Die ist die Nummer 45 der Welt und dürfte ohne großen Respekt gegen die Vorjahressiegerin ins Spiel gehen. Kerber hat in diesem Jahr zu oft geschwächelt, ihr Selbstbewusstsein hat gelitten. Gab es mal ein zartes Hoch wie in Wimbledon, folgte garantiert schnell wieder ein krachendes Tief wie kürzlich in Cincinnati, wo sie gegen die Russin Jekaterina Makarowa sieben Matchbälle abwehren konnte, die Partie am Ende aber doch verlor. Trotzdem macht sich Kerber Mut: „Ich habe viel gelernt in den vergangenen Monaten, jetzt starte ich wieder bei Null.“
Kerber spielte zuletzt nicht mehr so aggressiv
Die beste deutsche Tennisspielerin seit Steffi Graf sehnt sich nach ihrer Leichtigkeit zurück. Das Problem: Die lässt sich nicht so ohne Weiteres erzwingen, erst recht nicht im Tennis, das sich zu einem wesentlichen Teil im Kopf abspielt. Bei Kerber war das schon immer so. Seit sie 2011 erstmals auf sich aufmerksam machen konnte, seinerzeit ebenfalls bei den US Open mit einem überraschenden Halbfinaleinzug, erwarteten viele ihren Durchbruch. Doch der große Erfolg ließ noch vier Jahre auf sich warten, Kerber war zwischenzeitlich zum Nervenbündel mutiert. So zuverlässig wie sie enge Spiele bestritt, so zuverlässig verlor sie diese.
Dann änderte sich mit einem Mal alles. Bei den Australian Open 2016 stand sie in der ersten Runde vor dem Aus, drehte das Spiel noch und holte sich danach den Turniersieg in Melbourne. Kerber begründete damit zumindest ein kleines Tennis-Revival in Deutschland, das in der zweiten Saisonhälfte des vergangenen Jahres sogar mittlere Dimensionen erreichte. Wimbledon-Finale, Olympia-Silber und schließlich der Triumph in New York. Kerber war aus der zweiten Reihe der Tennis-Frauen auf den Thron geklettert. Ihre jahrelange harte Arbeit hatte sich ausgezahlt – und das in einem Maße, das wohl auch sie selbst verblüffte.
In Deutschland wurde Kerber nach der Saison herumgereicht, sie tauchte hier auf und wurde da geehrt. Sie genoss den Ruhm, aber längst nicht in vollen Zügen. Kerber wusste immer, wo sie hergekommen war und dass der Erfolg nicht von selbst kommt. Also arbeitete sie hart, um gerüstet zu sein für das Jahr 2017, in dem sie das Gesicht der Frauentour werden sollte. Irgendwann muss ihr dann klargeworden sein, was das eigentlich bedeutet. Kerber verkrampfte und verfiel in alte Muster. Spielte sie eben noch aggressiv und ging mehr Risiko in den Ballwechseln, ließ sie sich mit Beginn der neuen Saison wieder zurückfallen.
Rittner glaubt an einen Aufwind
Sie wurde passiv, reagierte auf dem Platz nur noch und begann sich zu hinterfragen. Erreichte sie 2016 noch acht Finals und gewann insgesamt 66 Spiele, stand sie in diesem Jahr nur in einem Endspiel und hat von 42 Matches 17 verloren. Noch verheerender fällt ihre Bilanz gegen Topspielerinnen aus: Neunmal traf Kerber in Turnieren auf Gegnerinnen aus den Top 20 – neunmal verlor sie.
Jetzt will sie bei den US Open einen Neuanfang starten, sie wisse schließlich was auf sie zukommt: „Ich gehe hier in New York viel entspannter in das Turnier als noch bei meiner Titelverteidigung in Melbourne“, versichert sie. Locker, entspannt, unbefangen – gerade, wenn es drauf ankommt. Diese mentalen Fähigkeiten unterscheiden gute Tennisspieler von großen Champions. So oft wie Kerber derartige Adjektive in den vergangenen Monaten bemüht hat, fällt die Vorstellung schwer, dass sie in New York nun einfach den Schalter umlegen kann. Immerhin: Barbara Rittner, seit einer Woche neue Frauen-Chefin im deutschen Tennis, ist optimistisch: „Ich glaube, sie ist im Aufwind. Ich habe ein gutes Gefühl.“ Was bleibt ihr auch anderes übrig.
Zumindest die Auslosung für die erste Turnierwoche ist vielversprechend. Kerber könnte erst im Achtelfinale auf eine Top-20-Spielerin treffen. Sie hätte auch direkt die mit einer Wildcard ausgestattete Maria Scharapowa zugelost bekommen können, die Russin spielt in Runde eins aber nun gegen die an Nummer zwei gesetzte Rumänin Simona Halep. „Ich versuche nicht auf die Auslosung zu schauen, aber so richtig klappt das sowieso nicht“, sagte Kerber kurz nach dem Prozedere am Freitag und lachte dabei wieder. An Dinge nicht zu denken, dass ist ihr in dieser Saison schon oft genug misslungen.