zum Hauptinhalt
Kern des Renntages. Ab 14 Uhr beginnt die Veranstaltung in Hoppegarten am Ostersonntag, ab 12 Uhr können sich die Besucher schon am bunten Rahmenprogramm erfreuen.
© Imago

Galopprenntag in Hoppengarten: Analoge Party für den Sport im Wartezimmer

Galopprenntage wirken in einer digitaler werdenden Welt wie aus der Zeit gefallen – genau da liegt die Zukunft von Rennbahnen wie in Hoppegarten.

Kaum ein Mensch schreibt im Jahr 2019 noch Schecks aus. Nur dann, wenn das symbolische Kraft haben soll. So ein Riesenscheck halt, den gestandene Männer und Frauen an dankbare Menschen oder Sieger zum Beispiel beim Galopprennen übergeben. Der metaphorische Scheck, von dem Sebastian Weiss, Züchter und Pferdeeigentümer spricht, sichert der Rennbahn Hoppegarten das Überleben. Weiss sagt: „Es ist fantastisch, dass er jedes Jahr am Ende der Saison den Scheck schreibt und die Party bezahlt.“

Er heißt Gerd Schöningh, Rennbahninhaber von Hoppegarten, und die Party findet zwischen April und Oktober vor den Toren Berlins statt. In dieser Saison mit elf Renntagen, der zweite davon ist am Ostersonntag um 14 Uhr. Auf der 151 Jahre alten Anlage, ein Areal so groß wie der Tiergarten, werden wieder Familien und Hobbywetter unterwegs sein. Menschen, die ein bisschen mit Kleingeld spielen, ihr Geld an den Imbissständen oder für ihre Kinder an den Karussells lassen oder auf dem Rasen an der Strecke picknicken.

Den üblichen Schnick auf der Tribüne gibt es natürlich auch, mit Trägerinnen ausgefallener Hüte und Halbprominenz. Ein Galopprenntag wirkt wie aus der Zeit gefallen, gemessen mit dem, was inzwischen Menschen bei anderen Sportveranstaltungen als Rahmenprogramm geboten wird. Knarrende Lautsprecher sind medientechnisch eben nicht der große Schrei in einer bildschirmlastigen Welt mit Reizüberflutung. Wettscheine aus Pappe sind immer noch angesagt, wenn man auch seit dieser Saison vom Smartphone aus wetten kann – aber zum Schalter muss man erst mal trotzdem.

Die Party von Hoppegarten ist eine analoge Party. Hat das in Deutschland eine Zukunft?

Galopprennsport sitzt im Wartezimmer

Die Galopprennbahn am Rande Berlins ist zwar in den jüngsten Jahren nach dem Einstieg von Gerhard Schöningh durch Fördergelder und vor allem dank des Eigners Einsatz aufgehübscht worden, aber profitabel ist das Unternehmen noch nicht. In der deutschen Szene gibt es den Spruch, dass der Trabrennsport auf der Intensivstation ist und der Galopprennsport im Wartezimmer sitzt.

Gerd Schöningh ist 57 Jahre alt, die man ihm nicht ansieht, er ist gebürtiger Rheinländer und Kämpfer für seine Sache. Seit dem Kauf der Anlage, seit 2008 buttert er Geld hinein in die Infrastruktur von Hoppegarten. Aber er ist eben auch Geschäftsmann, gut gekleidet in flotten, qualitativ hochwertigen braunen wohl englischen Chelsea Boots und mit Gefühl für das richtige Wort. Auf die Nummer mit der von ihm wegen der Rennbahn verlorenen Summen lässt er sich nicht ein. Er nennt auf Nachfrage keine Beträge, sondern spricht von der Zukunft und perspektivischer Denke.

Er sagt: Jetzt wird vielleicht Geld verloren, später aber wird einmal Geld verdient mit Hoppegarten. Das soll vor allem durch Veranstaltungen abseits der Renntage geschehen. Von Mittelalterspektakel über den „Schlagerhammer“ bis zum Neunzigerjahre-Revivalkonzert mit Blümchen und Mr. President. Aber das mit den pferdefremden Veranstaltungen funktioniert nicht immer gut. Das Verkehrschaos beim Musikfestival Lollapalooza im Jahr 2017, als Tausende Menschen in der Nacht keine S-Bahn bekamen, hat etwas an Ruf gekostet. „Dabei lief am zweiten Tag alles reibungslos, aber da hat das die Medien nicht mehr interessiert“, sagt Schöningh.

Idyllisch. Picknick an der Rennstrecke.
Idyllisch. Picknick an der Rennstrecke.
© akg/Thomas Bartilla

Berlin-Hoppegarten ist nach Köln und neben Hannover eine der drei Bahnen, die im Lande noch ganz gut aufgestellt sind in einer Sportart, die in Deutschland nicht gut aufgestellt ist. Doch woran lässt sich das messen? Da gibt es viele Parameter: Das Niveau der Pferde, der Jockeys, Prämien, der Wettumsatz und der Umsatz einer Bahn überhaupt. In allen Punkten hinkt die deutsche Szene, mit Ausnahmen, den großen Nationen hinterher. Gerd Schöningh ist sich über den Stellenwert seiner Sportart im Klaren. Schließlich hatte der Mann als Fondsmanager seinen beruflichen Mittelpunkt in London. Er sagt: „In Großbritannien ist der Rennsport etwa zehn- bis 15-mal größer als in Deutschland.“

Natürlich ist Schöningh nicht nur Geschäftsmann, sondern auch pferderennsportverrückt. Wenn er dann jedes seiner neun Rennen vom kommenden Sonntag anmoderiert, dann hat das schon was – für Menschen, die interessiert, in welcher Form der siebenjährige Wallach „Wisperwind“ ins „Altano-Rennen“, das 2800-Meter-Listenrennen, mit bestdotierte Veranstaltung am Sonntag von Hoppegarten – geht. „Spreche ich das richtig aus? Wie englisch „Whisper“, fragt Schöningh. Nö, wie deutsch „W“, eben „Wisper“, sagt Eigner Sebastian Weiss. Wie auch immer, der wird schon seinen Lauf machen am Sonntag in Hoppegarten.

Noch kein Pferd namens "Kullernase"

Nachdem zum Saisonauftakt vor zwei Wochen 8000 Zuschauer kamen, erwartet Geschäftsführer Michael Wrulich diesmal noch mehr Besucher, bei gutem Wetter und allerlei familienfreundlichen Aktionen rund um die Rennen, auf den Grünflächen hinter den Tribünen vor allem. Ist ja schließlich Ostern, da gibt es „Ostern Total“ in Hoppegarten. Wrulich sagt: „Es wird auch eine Ostereiersuche mit Osterhase Kullernase geben.“

„Kullernase“, das wäre auch mal ein Name für ein Rennpferd. Aber die, die am Sonntag laufen, heißen „Be My Sheriff“, „Klüngel“ oder „Berghain“, sie rennen um Geld auf der Strecke und auf sie kann gewettet werden an den Wettschaltern. Zur Saisoneröffnung freute sich Schöningh über ein „hervorragendes Wettgeschäft“. 273.221 Euro war die Gesamtsumme der Wetteinsätze, das heißt, im Schnitt hat jeder Besucher etwa 29 Euro am Wettschalter gelassen, oder etwas mehr – Menschen unter 18 Jahre dürfen ja nicht wetten. Rund 85 Prozent der Einsätze wurden ausgeschüttet. „Das müssen sie sich mal vorstellen“, sagt Schöningh. „Beim Lotto behalten die 50 Prozent aller Einnahmen ein.“

Beim Lotto geht es natürlich um ungleich mehr Geld, die verzockten oder gut eingesetzten 29 Durchschnitts-Euro sind da doch eine eher kleine Nummer und die niedrige Summe belegt auch, was in Hoppegarten eigentlich los oder nicht los ist.

Der Mann, der vieles bezahlt: Rennbahneigner Gerhard Schöningh.
Der Mann, der vieles bezahlt: Rennbahneigner Gerhard Schöningh.
© Picture Alliance/dpa

Galopprennsport ist ein Sport, der riecht. Aber auch den Menschen hinter den Pferden viel Geld einbringen kann. Sebastian Weiss, der Besitzer (Wisperwind) und Züchter, kann viel davon erzählen. Etwa die Geschichte von einer Kölner Grundschullehrerin, Eignerin des Hengstes „Be my Sheriff“, der mit einer Million Euro gehandelt wurde – und die nicht verkauft hat. Weiss sagt: „Da habe ich der gesagt, so viel verdient sie im Leben nicht als Grundschullehrerin. Also, verkaufe. Aber sie wollte einfach nicht.“ Eignerin Nadine Siepmann ist allerdings immerhin Schulleiterin in Köln, so viel sei gesagt. Und ihr Hengst läuft auch ordentlich Geld ein und gehört im zweiten Listenrennen am Sonntag, dem auch mit 25.000 Euro dotierten „Preis von Dahlwitz“, zum Favoritenkreis.

Der smarte Weiss, weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt unterm dunklen Jackett, ist in jedem Fall verkaufsfreudiger als die Eignerin des Fünfjährigen „Be my Sheriff“. Im Jahr 2016 hat er seine Wettanbieter-Firma „Race Bets“ an einen der größten Wettanbieter veräußert, der brauchte das Segment Pferdewetten in seinem Sortiment für den britischen Markt. Der Verkaufspreis für das Unternehmen mit Firmensitz in Malta lag bei 40 Millionen Euro. Der deutsche Galopprennsport hielt über eine GmbH knapp 40 Prozent an einer Wett-GmbH, die wiederum Muttergesellschaft von „Race Bets“ war. Die restlichen 60 Prozent lagen bei Weiss und seinem Mitgründer.

Galopprennsport erhielt 16 Millionen

Der deutsche Galopprennsport habe durch die 40 Prozent also 16 Millionen Euro bekommen in den letzten zwei Jahren, sagt Weiss. Wo das Geld nun sei, frage er sich. „In den letzten zwei Jahren ist original gar nichts passiert.“ Dann holt er weit aus und präsentiert drei wuchtige Thesen zur Rettung des deutschen Rennsports, wobei er aber die wuchtigste („zwei, drei Rennbahnen müssen schließen“) gleich zurücknimmt. Übrig bleiben: 1. „Streichen der Züchterprämie“. 2. „Strukturen ändern“. 3. „In Köln, weil das die beste Bahn ist, eine Allwetterbahn bauen, auf der ganzjährig gelaufen werden kann“. Dann sagt er, da er ja auch Züchter ist: „Ich rede auch gegen mich selbst, weil ich ein Pferd habe, dass das Deutsche Derby gewinnen kann. Aber wir haben eben nicht mehr den Luxus.“

Doch auch die großen Sportarten haben Mäzene, die ihre Partys bezahlen. Und wenn es mitunter, wie im Champions-League-Fußballgedöns, nicht nur Klubeigner sondern vor allem die Endkonsumenten sind. Hoppegarten ist die einzige unter gut 40 Trabrennbahnen und Galopprennbahnen in Deutschland, die in Privatbesitz ist und das ist für Hoppegarten auch gut: Denn solange es Investoren wie Gerd Schöningh gibt, hat dort der Galopprennsport eine Chance.

So ein Galoppspektakel wie das von Hoppegarten ist nicht nur für Züchter und Eigentümer, die sich über große Schecks freuen, oder Pferdefreunde. Es ist auch für Menschen, die sich an einem schönen Sonntag von der Reizüberflutung des Alltags an der schön gelegenen Bahn erholen wollen. Da liegt die Chance des Galopprennsports. In der Kraft des wirklichen und wirtlichen Ereignisses, in seiner Mittelbarkeit und der Möglichkeit, durch das Mitwirken am Wettschalter aktiver Teil des Ganzen zu sein. Das kann kaum ein anderer Sport für den Zuschauer leisten.

Zur Startseite