Jenseits von Fifa- und DFB-Skandalen: Amateurfußball: Wo die Welt noch in Ordnung ist
Skandale um Fifa und DFB enttäuschen viele Fans. Wem kann man noch trauen? Dem Amateurfußball! Wir geben fünf Beispiele, die den Glauben ans Gute wecken. Kennen Sie weitere? Diskutieren Sie mit!
Der große Fußball wird erschüttert von einem Skandal nach dem anderen. Viele Fans sind überdrüssig und suchen eine Alternative. Wie wär's mit der Basis? Dort ist die Fußballwelt noch in Ordnung. Wir erzählen fünf Beispiele. Sie kennen weitere vorbildliche Vereine und Funktionäre, die noch selbst die Seitenlinie ziehen statt Umschläge einzustecken? Diskutieren Sie mit und nutzen Sie die Kommentarfunktion, um Ihren Lieblings-Amateurverein vorzustellen!
Tennis Borussia Berlin: Dem Tiger seine Heimat
Zu Tennis Borussia zu gehen, das ist wie eine Reise zurück in der eigenen Fanbiografie: Fußball, wie er früher war, 90 Minuten stehen am Fuße der denkmalgeschützten Bauhaustribüne, ein Bier trinken, dazu eine Bratwurst vom Holzkohlengrill. TeBe ist die perfekte Mischung zwischen großem und kleinem Fußball. Name, Tradition und Stadion zeugen immer noch von einer gewissen historischen Größe; das Mommsenstadion ist eben keine Bezirksportanlage mit ein paar Rentnern, die nur deshalb noch kommen, weil sie auch schon vor 40 Jahren gekommen sind. Von TeBes Zuschauerzuspruch können Viktoria und der BAK selbst eine Liga höher nur träumen. Andererseits mahnt die sportliche Gegenwart eben auch zur Bescheidenheit. Man nimmt sich zu Recht nicht ganz so ernst – wäre als Fünftligist ja auch irgendwie komisch.
Trotzdem steigen die Zuschauerzahlen weiter. Vor einer Woche waren fast 900 Leute gegen Hertha Zehlendorf im Mommsenstadion. Selbst Erfolgsfans kommen bei TeBe inzwischen wieder auf ihre Kosten. Nach dem Aufstieg im Sommer ist die Mannschaft eine Liga höher auch schon wieder Tabellenzweiter.
Zum letzten Heimspiel der vorigen Saison, zum Abschied aus der Sechstklassigkeit, war sogar der Tiger da. Nicht der aus Paderborn, sondern Hermann Gerland, einst kantiger Vorstopper beim VfL Bochum, dann knorriger Talenteentwickler bei den Bayern und jetzt Co-Trainer vom heiligen Pep. Seitdem Gerland Tennis Borussia in den Neunzigern mal trainiert hat und aus bis heute unerfindlichen Gründen entlassen wurde, genießt er bei TeBe eine ähnliche Verehrung wie Guardiola bei den Bayern. Mindestens. Und wenn der Tiger seinen Ex-Klub mit seiner Anwesenheit beehrt, kann es auch schon mal passieren, dass man im Casino des ehrwürdigen Mommsenstadions eine der Buletten bestellt, die für alle gut sichtbar auf der Theke stehen, und nur zu hören bekommt: „Nee, die sind für den Trainer.“
Hermann Gerland wird bei TeBe wahrscheinlich für alle Zeiten der Trainer der Herzen bleiben. Ach, sagen sie heute noch im Mommsenstadion, wer weiß, wo wir heute wären, wenn der Hermann damals nicht …? Vielleicht wären sie wirklich nicht in der Oberliga, sondern irgendwo weiter oben. Aber vielleicht wäre es dann auch nicht so schön, sondern irgendwie, ja, austauschbar. Thomas Smets
SV Schermbeck: Wo die Kuh hinsch...
„Da gehst du nicht hin, da spielen nur Prollos“, sagte meine Mutter und schickte mich zum Tennis. Und so blickte ich sehnsüchtig hinüber vom Sand- auf den benachbarten Ascheplatz, wo die Fußballer des SV Schermbeck trainierten. Und stand im „Stadion Waldsportplatz am Trog“ auf der Tribüne, die ein Grashügel mit Stufen war. Auch als ich längst in Berlin wohnte, blieb mein Dorfklub ein Stück Heimat. Zum Saisonabschluss gab es Kuhfladenroulette: Jeder tippte mit, wohin die aufs Feld geführte Kuh gleich sch... würde.
Doch jeder Aufstieg brachte die Mühlräder der Sportpolitik näher. Schermbeck gehört noch zum Rheinland, aber der Waldsportplatz und die attraktiveren Gegner lagen in Westfalen. Also spielte der SVS auf Antrag in der Oberliga Westfalen. Der Grashügel wich einer vorgeschriebenen Tribüne für Gästefans, die es nie gab. Eines Tages wollte der Präsident die Lizenzunterlagen persönlich zum Verband nach Duisburg fahren. Er stand im Stau, die Frist verstrich. Vor Gericht erstritt der Klub die Lizenz, aber die Mannschaft war schon weg. Abstiege folgten. Und endlich hat die Kuh wieder ihre Ruh’. Dominik Bardow
Concordia Nowawes: Freiraum statt Strafraum
Als wir mit unserem Sohn nach Babelsberg zogen, standen wir vor der Qual der Wahl. Wo soll Oskar spielen? FSV Babelsberg 74, Fortuna Babelsberg, Concordia Nowawes, Babelsberg 03? Ich dachte an meine eigenen F, E- und D-Jugend-Zeiten. Damals war Union Salzgitter eine Nummer im niedersächsischen Fußball, klopfte an die Tür zur Zweiten Liga (heute spielt die erste Mannschaft in der Bezirksliga Braunschweig 3). Ich erinnerte mich an den Kommando-Ton auf dem Platz, Kabinen-Schweiß, ehrenamtliche Jugendtrainer, die fast Vater-Ersatz waren, Fahrten im VW-Bus zu Auswärtsspielen.
Ein bisschen was davon wollten wir heute auch, und mehr. Oder besser: anders. Es muss ja nicht gleich die kickende Waldorfschule sein. Concordia Nowawes ist der einzige Verein, der auf der Website eine „Philosophie“ anbietet. Fußball soll Spaß machen, kein Leistungsdruck, keine Demütigungen, nichts Militärisches, Freiräume statt Strafräume schaffen, für Kinder, unabhängig der Herkunft, eine Herrenmannschaft gibt es gar nicht. Mit Leben gefüllt wird das Samstag für Samstag, in der Kreisklasse Staffel Sechs. Das ist unser Fußball. Oskars Verein. Markus Ehrenberg
VfL Kaltental: Willkommenskultur im Kohlhau
Das Vereinsgelände des VfL Kaltental hatte ich schon eine Weile beobachtet, aus sicherer Entfernung. Beim Joggen während meiner ersten Wochen in der neuen Stadt fiel es mir sofort auf. Pittoresk lag es im Wald, umringt von alten Bäumen – ein Fußballplatz mit einem richtig schönen Vereinsheim. Noch schöner war der Name: Im Kohlhau! Bis ich es betrat, dauerte es jedoch eine Weile. Die Vorurteile hatten mich im Griff. Ein Brandenburger in Stuttgart. Was werden all die schwäbischen Bruddler mir nur vom vergeudeten Soli erzählen, wenn ich bei ihnen kicken möchte?
Mit gehörigem Respekt raffte ich mich auf und stellte mich eines Freitagabends beim Freizeitteam des VfL Kaltental vor. Die Reaktion der schwäbischen Bruddler? Grandios freundlich. Der Stamm der Mannschaft waren alte Herren, aber mich nahmen sie sofort herzlich in ihre Runde auf. Auch wenn alte Herren im Fußball dank Blatter und Beckenbauer derzeit nicht den besten Ruf haben, den wahren alten Herren des Fußballs tut man damit absolut unrecht. Die alten Herren vom VfL Kaltental haben Willkommenskultur schon gelebt, als es noch gar kein Wort dafür gab. Beim Kicken im Kohlhau! Und beim Schwabenbräu danach. Johannes Nedo
Kuckuck Kickers: Die bibelfesten Brasilianer
Ich stand schon eine Weile bei Minusgraden im Schnee, als ein kleiner, rundlicher Mann mit Schnurrbart vorbeikam. „Die Jungs haben heute spät gegessen, das dauert noch“, sagte er und verschwand. Die Jungs, das waren 18 ambitionierte Fußballer aus Brasilien, die für die Kuckuck Kickers, einem Klub im Nordwesten Brandenburgs, spielten. Wie sich herausstellen sollte, begann mein wenig erfolgreiches Probetraining nicht um vier, sondern irgendwann nach sechs Uhr. Schließlich hatten die Jungs noch einen vollen Bauch. Während ich wartete und fror, drang ein Hauch von Sommer aus dem Klubhaus zu mir nach draußen. Sambamusik und südländische Lebensfreude flirrten durch die kalte, klare Winterluft.
Kuckuck war anders. Ein Autohändler (der Mann mit dem Schnurrbart) und eine Pfarrerin hatten den Klub 2000 gegründet. Auf einer Werbebande prangte der Schriftzug „Jesus liebt dich“, während der Halbzeitpause las die Pfarrerin in den Anfangsjahren noch biblische Verse vor. Im Hintergrund wirkte die Kooperation mit den „Athleten für Christus“, einem christlichen Verein, der all die bibelfesten und talentierten Fußballer aus Brasilien nach Kuckuck brachte. Im Gegensatz zu mir war ihnen eine Profikarriere in Deutschland versprochen worden. Als die immer unrealistischer wurde, kehrten sie nicht mehr aus dem Weihnachtsurlaub zurück. Zu Hause schmeckt es doch am besten. Sebastian Stier
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