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Lothar Matthäus im Trikot von Inter Mailand.
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Kolumne: Meine Champions League: Als Lothar Matthäus in der Kabine weinte

Der FC Bayern München muss gegen Atlético ein 0:1 aufholen. Ein Kinderspiel, wenn man einen Blick auf die Historie wirft.

Eine Aufholjagd soll es also sein. Obwohl: Hat denn der FC Bayern München beim 0:1 gegen Atlético Madrid so viel zugelassen, dass im Rückspiel in München Irreparables repariert werden müsste? Der Respekt vor dem Gegner speist sich vor allem aus dem, was er andere erleiden ließ, etwa den FC Barcelona im Viertelfinale.

Doch rein pragmatisch betrachtet haben die Bayern schon ganz andere Sachen umgebogen – auch gegen Atlético. 1974 in Brüssel im Finale des Europapokals der Landesmeister, so hieß die Champions League damals. Bekanntlich führte Atlético bis kurz vor Schluss der Verlängerung 1:0, ehe Hans-Georg Schwarzenbeck mit dem bis heute gefeierten Atlético-Gedächtnis-Weitschuss noch den Ausgleich schaffte, was die Madrilenen so schwer traf, dass sie beim Rückspiel drei Tage später mit 0:4 unter die Münchner Stiefel kamen.

Es gab in der jetzt 50 Jahre währenden Münchner Europapokal-Geschichte auch andere Sternstunden, in denen der Stern des Südens erst im Rückspiel die Münchner Fußballkunst mit vollem Glanz erleuchtete. Die berühmteste aller Sternstunden ereignete sich im Herbst 1988, und es war wirklich eine Aufholjagd, von einem Mittwoch im späten November bis zum übernächsten im frühen Dezember.

Den Rahmen bot der Uefa-Cup, Franz Beckenbauer hatte ihn noch nicht zum Pokal der Verlierer umgetauft. Bei den Bayern stand ein Umbruch an. Lothar Matthäus und Andreas Brehme waren im Sommer zu Inter Mailand gewechselt – und reisten mit ihrem neuen Klub zum Achtelfinale nach München. Bayerns Kapitän Klaus Augenthaler ließ Matthäus über den Boulevard wissen: „In vielen wichtigen Spielen hat er sich feige versteckt. Wir werden ihm zeigen, dass es ohne ihn besser geht.“

In der „Gazzetta dello Sport“ hieß es: „Die Bayern wurden gedemütigt!“

Diese Prognose war so verkehrt nicht, denn auf dem Platz war vom Spielmacher der deutschen Nationalmannschaft in der Tat nicht viel zu sehen. Es wurde dennoch eine schöne Rückkehr für Matthäus und seinen Adjutanten Brehme. Die Bayern waren zwar dominant, fingen sich aber zwei blöde Kontertore durch Aldo Serena und Nicola Berti ein. Wie Italiener eben so spielten in einer Zeit, als die Serie A noch als die beste der Welt galt und Inters Trainer Giovanni Trapattoni zuständig war für das Setzen taktischer Maßstäbe. In der „Gazzetta dello Sport“ hieß es: „Die Bayern wurden gedemütigt!“

Zwei Wochen später beim Rückspiel im Mailänder San-Siro-Stadion wollten die Münchner die Angelegenheit eigentlich nur zu einem ehrenwerten Aus über die Bühne bringen. Und schossen dann plötzlich binnen acht Minuten drei Tore. Roland Wohlfahrt, Klaus Augenthaler und Jürgen Wegmann schafften dieses kleine Wunder kurz vor der Pause, aber als diese denkwürdige erste Halbzeit in ihren letzten Zügen lag, gelang Serena auch ein Tor für Inter.

In der zweiten Halbzeit spielte Bayern italienisch, das heißt: allein auf das Halten des Ergebnisses bedacht, mit viel Verzögerungen und wenig Sinn für die Schönheit des Spiels. Damit kamen sie durch, sehr zum Unwillen der Mailänder, die sich ungern mit ihren eigenen Waffen schlagen lassen wollten. Bayerns Libero Augenthaler hat mal erzählt, Inters Verteidiger Giuseppe Bergomi und Torhüter Walter Zenga hätten ihn nach dem Spiel bis in die Kabine verfolgt und mit Tritten traktiert. Diesmal feierte der deutsche Boulevard, nämlich das „Wunder von San Siro“.

Und Lothar Matthäus? Hatte nach einem großartigen Solo in der einseitigen zweiten Halbzeit das Anschlusstor auf dem Fuß, scheiterte aber am noch etwas großartigeren Torhüter Raimond Aumann. Später war er für niemanden zu sprechen. Mitspieler erzählten, Matthäus habe in der Kabine geweint.

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