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Nicht mehr ganz so cool.
© dpa

WM 2018: Der DFB stellt sich vor den Bundestrainer: All you need is Löw

Der DFB stellt sich voll hinter den Bundestrainer – schon vor dessen Analyse zum desaströsen WM-Aus. Diese Treue hat viele Gründe.

Joachim Löw ist immer noch Bundestrainer – nur damit kein falscher Eindruck entsteht. Wie lange noch, das ist eine andere Frage. Bis zum Ende dieser Woche? Oder doch bis zum Ablauf seines frisch verlängerten Vertrags im Sommer 2022? Löw selbst hat nach seiner Rückkehr aus Moskau tiefgreifende Maßnahmen angekündigt. Spätestens seitdem gilt es vielen als wahrscheinlich, dass er die am tiefsten gehende Maßnahme ergreifen und seine Amtszeit in Kürze enden wird. Nicht weil der Deutsche Fußball-Bund (DFB) Löw aus dem Amt drängt, sondern weil Löw eigentlich selbst erkannt haben muss, dass es nach einem derart desaströsen Abschneiden bei der WM in Russland keinen Sinn mehr hat. So wie es 2004 Rudi Völler getan hat, der bisher letzte Trainer, der mit der Nationalmannschaft bei einem großen Turnier in der Vorrunde gescheitert ist.

Wenn es nach dem DFB geht und vor allem nach dessen Präsident Reinhard Grindel, gilt es diesen Fall unter allen Umständen zu verhindern. Grindel hat noch unmittelbar vor dem finalen WM-Spiel gegen Südkorea seinen Treueschwur für Löw selbst für den Fall der Fälle erneuert – vermutlich in dem guten Glauben, dass die Nationalmannschaft schon irgendwie gegen Südkorea gewinnen und sich zumindest für das Achtelfinale der WM in Russland qualifizieren wird. Damit nicht genug: Kaum war die DFB-Delegation wieder in Deutschland, ließ Grindel das Präsidium zur Telefonkonferenz zusammenschalten, um für seinen Kurs die Unterstützung der übrigen Verbandsoberen einzuholen. Nicht, dass irgendein Regionalfürst in einem unbedachten Moment einen kritischen Ton über den Bundestrainer von sich gibt.

Es ist schon interessant, dass das DFB-Präsidium vor einer solchen Entscheidung offenbar keinen Bedarf für eine Analyse des desaströsen Turniers sieht; dass es gar nicht erst wissen will, welchen Anteil eigentlich der Bundestrainer an diesem Debakel hatte; dass es auch keine Aufklärung verlangt, was Löw, sollte er bleiben, denn in Zukunft anders und besser zu machen gedenke. Löw ist dem Präsidium anscheinend Programm genug.

Grindels Verhalten in diesen Tagen zeigt die große Not, in der sich der Verband seit dem vergangenen Mittwoch befindet. Auf den Fall, dass er plötzlich ohne Bundestrainer dastehen könnte, war der DFB weder gedanklich noch programmatisch vorbereitet – wie nicht zuletzt die überraschende Vertragsverlängerung mit Löw kurz vor der WM bewiesen hat. All you need is Löw. Der Bundestrainer war ohnehin noch für zwei Jahre an den Verband gebunden, es gab also keine Not, den Vertrag zu diesem Zeitpunkt zu verlängern. Aber ein Alternativplan existiert beim DFB offenbar nicht. Das erinnert fatal an 2004, als Rudi Völler bereits am Morgen nach dem letzten Gruppenspiel der Presse seinen Rücktritt erklärte, weil er sich selbst für nicht mehr vermittelbar hielt. Es folgte eine wochenlange Suche nach einem neuen Bundestrainer und schließlich die überraschende Anstellung von Jürgen Klinsmann, auf den der Verband eher zufällig gekommen war.

Kaum war das Spiel der Deutschen gegen Südkorea am vergangenen Mittwoch beendet und ihr Vorrundenaus besiegelt, da begannen in den sozialen Netzwerken bereits die Debatten um Löws mögliche Nachfolger. Einer der ersten Namen, die genannt wurden, war der von Matthias Sammer. Das ist in mehrfacher Hinsicht bezeichnend. Sammer hat zuletzt 2005 als Trainer gearbeitet, im Unterbewusstsein des deutschen Fußballvolkes aber ist er anscheinend immer noch der Schattenbundestrainer, der er in seiner Zeit als Sportdirektor beim DFB (2006 bis 2012) einmal war. In erster Linie war Sammer in dieser Funktion für die programmatische Entwicklung des deutschen Fußballs zuständig; zu seinem Jobprofil gehörte allerdings auch, bei einer unerwarteten Vakanz auf der Position des Bundestrainers übergangsweise einzuspringen. Es war eine direkte Konsequenz aus den Erfahrungen der erratischen Bundestrainersuche im Sommer 2004.

Dass sich der DFB so auf Löw versteift, liegt auch daran, dass es einfach keinen geeigneten Kandidaten für den Posten gibt

Nach der Neuorganisation des Verbandes im vergangenen Jahr existiert die Stelle des Sportdirektors nicht mehr. Es gibt jetzt einen „Sportlichen Leiter Nationalmannschaften“. Er heißt Joti Chatzialexiou, ist 42 Jahre alt und in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Chatzialexiou hat früher als Jugendtrainer bei Eintracht Frankfurt gearbeitet, für Löws Nachfolge kommt er, selbst übergangsweise, nicht in Frage. Überhaupt könnte man sich aus dem Personalbestand des DFB allenfalls Stefan Kuntz, den U-21-Nationaltrainer, in der Rolle des Bundestrainers vorstellen – dank seiner Vita als Spieler. Die in der Vergangenheit häufiger praktizierte Lösung, den Co-Trainer zum Chef zu befördern (Herberger, Schön, Derwall, Vogts, Löw), ist hingegen ausgeschlossen. Thomas Schneider und Markus Sorg haben es nicht geschafft, sich in Löws Schatten zu profilieren, vielleicht wollten sie es auch nicht.

Bei Hans-Dieter Flick war das noch anders. Löws erster Assistent (2006 bis 2014) ist in der Öffentlichkeit immer etwas spröde rübergekommen. Ein begnadeter Rhetoriker war und ist er ganz sicher nicht, aber Flick hatte einen eigenen Kopf und war dank seiner fußballerischen Kompetenz ein gleichwertiger Partner des Bundestrainers. Ohne ihn, so sagen viele, wäre das Nationalteam 2014 nicht Weltmeister geworden. Trotzdem spielt Flicks Name in der Nachfolgedebatte bisher keine Rolle. Sein Abschied vom DFB im Januar 2017 ist immer noch etwas rätselhaft. Wer grundsätzliche Differenzen dahinter vermutet, liegt wahrscheinlich nicht ganz falsch.

Dass sich der DFB so auf Löw versteift, liegt auch daran, dass es im Moment einfach keinen geeigneten Kandidaten für den Posten gibt. Was wiederum daran liegt, dass der Job über die Jahre deutlich an Attraktivität verloren hat. Bundestrainer, das gilt vielen immer noch als Krönung eines Trainerlebens – aber das ist schon lange nicht mehr so. Wenn die Stelle frei wird, werden trotzdem, traditionellen Reflexen folgend, erst einmal die größtmöglichen Namen ins Spiel gebracht. In Deutschland sind das derzeit Thomas Tuchel, Jürgen Klopp und Julian Nagelsmann. Aber die besten Trainer arbeiten nicht bei Nationalteams, sondern bei den großen Klubs des europäischen Fußballs. Das hat nicht nur finanzielle Gründe, es liegt auch in der Art der Arbeit begründet.

Die angesagten Trainer von heute wollen Mannschaften entwickeln. Das können sie nicht, wenn sie ihre Spieler einmal im Monat für drei bis acht Tage um sich haben. Jemand wie Tuchel würde sich von der Arbeit mit der Nationalmannschaft regelrecht unterfordert fühlen. Arrigo Sacchi, der große Trainer des AC Mailand, hat vor 20 Jahren gesagt: „Fußball sollte immer auf dem höchstmöglichen Level gespielt werden, und kein Klub wird jemals das Niveau einer Nationalmannschaft erreichen.“ Inzwischen ist es genau umgekehrt.

Dass Bundestrainer eine mittlere Ewigkeit im Amt bleiben, gehört beim DFB gewissermaßen zur Staatsräson

Der Fußball ist heute ein anderer, als er es 2004 war. Joachim Löw war auch deshalb so erfolgreich, weil er in den ersten Jahren als Bundestrainer wie ein Vereinstrainer gearbeitet hat, weil er aus der Mannschaft auf diese Weise mehr herausgeholt hat, als an individueller Klasse in ihr steckte. Löw hat nicht kurzfristig gedacht, sondern in großen Linien. So aber wird es in Zukunft vermutlich nicht mehr sein, auch gar nicht mehr sein müssen – egal ob Löw in diesem Sommer aufhört oder erst in vier Jahren nach Ablauf seines Vertrages.

Dass Bundestrainer eine mittlere Ewigkeit im Amt bleiben, manche sogar länger, gehört beim DFB gewissermaßen zur Staatsräson. Sepp Herberger hat zwanzig Jahre lang das Nationalteam trainiert, Helmut Schön vierzehn, und selbst Berti Vogts ist acht Jahre geblieben. Der holländische Verband hat in den vergangenen acht Jahren sechs Nationaltrainer beschäftigt. Die Kontinuität auf dem Trainerposten hat dem DFB ganz sicher nicht geschadet. Trotzdem wird sich der Verband, spätestens nach Löw, von diesem Prinzip verabschieden müssen – weil die Fußballwelt sich verändert hat. Die Nationalmannschaft braucht nicht mehr zwingend einen Entwickler; ihr reicht jetzt auch der Leiter eines zeitlich begrenzten Projektes. Das schränkt die ohnehin beschränkte Anzahl geeigneter Kandidaten zumindest nicht noch weiter ein. Im Moment zum Beispiel wäre Arsène Wenger verfügbar.

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