Sind die digitalen Medien schuld?: Alarmierender Bewegungsmangel bei Kindern in Deutschland
Laut einer Studie bewegen sich Kinder hierzulande viel zu wenig, vor allem Mädchen. Die Ursachen sind vielfältig.
Ist der Sport alter Prägung, also in dem es noch um den Wettbewerb, um Höhen, Zeiten und Weiten geht, dem Untergang geweiht? Davor warnten jedenfalls unter der Woche Wissenschaftler, Sportler und Funktionäre, die in der Villa Hügel in Essen die Ergebnisse des jüngsten Deutschen Kinder- und Jugendsportberichts diskutierten.
Christoph Breuer, Leiter der Studie, konstatierte in der Runde, „dass die Leistungsperspektive sukzessive an Bedeutung verliert“. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, nahm die Ausführungen von Breuer mit ernster Miene zur Kenntnis und bemängelte, dass sich nur noch ein Drittel der deutschen Sportvereine dem Leistungssport widmen würden. Zu wenig für einen wie ihn. Denn, so Hörmann: „Es gibt nur einen Sieger im Wettkampf. Sport ist an der Stelle brutal.“
Seine Empfehlung daher: Das Gesamtpaket im Sport müsse früh für die Talente stimmen, damit sie später Weltspitzenleistungen erreichen würden. Und zu diesem Gesamtpaket, da waren sich sämtliche Teilnehmer der Gesprächsrunde einig, zählt auch das in ihren Augen richtige Begriffsverständnis von Sport. Der Sportsoziologe Breuer brachte es wie folgt auf den Punkt: „Wenn jetzt anstelle von Bundesjugendspielen eine Hüpfburg aufgestellt wird, dann trägt dies nicht in dem Maße zu einer Persönlichkeitsentwicklung bei wie ein leistungsorientiertes Sportkonzept.“
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Man merkt schon: Es wurde viel über Leistung und wenig über Bewegung geredet in Essen. Dabei behandelt der von der Krupp-Stiftung finanzierte Bericht vor allem Letzteres. Die Ergebnisse in dem 430 Seiten großen Werk sind durchaus alarmierend: 80 Prozent der Jugendlichen bewegen sich demnach hierzulande weniger als von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen. Besonders betroffen sind Mädchen. Und offenbar ist auch die Entwicklung besorgniserregend. In dem Bericht heißt es: „Die Kinder und Jugendliche in Deutschland bewegen sich immer weniger.“
Die Gründe für den Bewegungsmangel der Kleinen und Heranwachsenden? Sie sind mannigfaltig. Laut der Studie „ist in diesem Zusammenhang das wachsende Angebot an digitalen Medien und Spielen problematisch“. Bei der Gesprächsrunde in Essen nahm auch Tim Reichert teil. Reichert ist E-Sport Manager bei Schalke 04, er betreut dort also die digitale Abteilung des Klubs.
Am Donnerstag traf Reichert die gewagte Aussage, dass die digitalen Medien dem klassischen Sporttreiben sogar förderlich sein könnten. Zum einen gebe es Jugendliche die durch das digitale Spiel erst animiert würden, etwa zum Fußballverein zu gehen. Außerdem seien die besten E-Sport-Spieler körperlich topfit und stünden als Vorbild für die vielen E-Sportler. Das klingt unsinnig. Aber wirklich widerlegen kann man die Vertreter der finanzkräftigen E-Sport-Szene nur bedingt. Bisher liegen kaum Forschungen zu den Auswirkungen von digitaler Medien auf das Sportverhalten vor.
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Der Bewegungsmangel könnte ohnehin ganz andere Ursachen haben. Laut dem Bericht ist der Kinder- und Jugendsport in den vergangenen Jahren „teilweise deutlich teurer geworden“. Gemeint sind damit zum Beispiel die gestiegenen Eintrittsgelder für Schwimmbäder oder Tennisanlagen.
Und ein weiterer schwerwiegender Punkt dürfte viele Eltern dazu verleiten, ihre Kinder ganz bewusst von organisiertem Sport fernzuhalten. „Ein erheblicher Anteil an Kindern und Jugendlichen musste Erfahrung mit emotionaler, körperlicher oder sexueller Gewalt in Sportangeboten machen“, heißt es in der Studie. Präventionskonzepte seien erarbeitet, doch die Maßnahmen nicht von allen Sportverbänden umgesetzt worden. Gut möglich, dass diese Formen der Gewalt besonders mit leistungssportlichen Einrichtungen korrespondieren.
Sicher, der leistungsorientierte Sport hat seine Berechtigung in der Gesellschaft. Aber, so kann man den Bericht auch lesen, er hilft nicht zwingend im Kampf gegen den Bewegungsmangel.
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