Educon-Prozess in Potsdam: Wo ist die Angeklagte?
Eigentlich soll noch in diesem Jahr die Betrugsaffäre um den früheren Potsdamer Bildungsdienstleister Educon am Landgericht verhandelt werden. Doch es gibt ein großes Fragezeichen.
Potsdam - Es geht um einen Aushang im Landgericht, der für die juristische Aufarbeitung um den im Soge einer Betrugsaffäre untergegangenen Potsdamer Bildungsdienstleister Educon nichts Gutes ahnen lässt. So ist die Hauptangeklagte im Verfahren, Carina H., in einen weiteren Zivilstreit am Landgericht verstrickt – und in diesem Rechtsstreit hat sich das Landgericht nun vor wenigen Wochen zu einer „öffentlichen Zustellung der Klageschrift“ entschlossen, also einen Aushang am dafür vorgesehenen Gerichtsbrett gefertigt.
Letzte bekannte Adresse ist in England
In dieser Erklärung hieß es: „Der Aufenthaltsort der Beklagten ist unbekannt und war durch nachgewiesene Ausschöpfung der geeigneten und zumutbaren Nachforschungsmöglichkeiten (...) nicht erfolgreich zu ermitteln.“ Allerdings müssen Klageschriften eben auch offiziell zugestellt werden können. Nur über E-Mail sei die Beklagte noch zu erreichen, so das Gericht. Die letzte bekannte Adresse befinde sich demnach in England.
Trotz der unbekannten Adresse wird die juristische Aufarbeitung des Falls, der Hunderte geprellte Schüler und Dozenten hinterlassen hatte, weiterbetrieben. Denn nachdem die Vorwürfe gegen die Spitze des damals bundesweit tätigen Ausbildungsunternehmens schon seit neun Jahren ein Fall für die märkische Justiz sind, soll der Prozess nun im September oder Oktober beginnen, wie Sascha Beck als Sprecher des Potsdamer Landgerichts auf PNN-Anfrage sagte. Die zuständige Kammer befinde „sich derzeit in der internen Abstimmung über die anzuberaumenden Hauptverhandlungstermine“.
2010 standen Hunderte Schüler plötzlich vor verschlossenen Türen
Rückblick: Ende April 2010 hatte die Potsdamer Staatsanwaltschaft die Schulen von Educon mit Hauptsitz in der Berliner Straße durchsuchen lassen. Aus Sicht der Ermittler hatte es einen Millionenbetrug zu Lasten des Landes Brandenburg gegeben, weil das Unternehmen mittels falscher Angaben Millionenzuschüsse für fiktive Schüler erschlichen habe. Die Folge: Das Landesbildungsministerium entzog nach der Razzia drei Berufsfachschulen in Potsdam und Cottbus die Genehmigung, stoppte die Zahlungen von rund 4500 Euro pro Schüler und Jahr – denn von 871 gemeldeten Schülern konnte Educon laut Ministerium damals nur 313 nachweisen. Daraufhin stellte Educon auch bundesweit seine Aktivitäten ein, über Nacht standen Hunderte Schüler im gesamten Bundesgebiet vor verschlossenen Türen, überregionale Schlagzeilen waren die Folge.
Schon bei der besagten Razzia beschlagnahmten die Ermittler Hunderte Schülerakten, die über Jahre gesichtet wurden, um das Verfahren gerichtsfest zu bekommen. Im März 2015 wurde dann Anklage erhoben. Neun der zwölf Anklagepunkte wurden dann laut Beck eineinhalb Jahre später im November 2016 zugelassen. Doch nun erst soll das Verfahren starten, drei Jahre danach.
Ein Angeklagter ist verstorben
Einer der drei Angeklagten aus der Educon-Spitze ist inzwischen verstorben. So steht nun besonders die frühere Firmeninhaberin Carina H. im Fokus: Beschuldigt wird sie des mehrfachen gemeinschaftlichen Betrugs im besonders schweren Fall. Zudem wird ihr und einer weiteren früheren Prokuristin des Unternehmens mehrfacher versuchter Betrug im schweren Fall vorgeworfen. H. bestreitet die Vorwürfe – Anwälte von ihr hatten Ende 2016 beantragt, das Verfahren auf den Stand vor Zulassung der Anklage zurückzuschieben. Das sei im September 2018 abgelehnt worden, sagte Beck.
Der Gerichtssprecher sagte zu den Gründen für die lange Verfahrensdauer, einmal sei die zuständige Kammer stark belastet – als derzeit einziger Jugendkammer am Landgericht hätten Haftsachen immer wieder mit Vorrang bearbeitet werden müssen. Zugleich habe es auch bei der Hauptangeklagten mehrfach Verteidigerwechsel gegeben, „zuletzt erst vor wenigen Wochen“. Zudem habe es eben auch schon Verzögerungen bei der Zustellung der Anklageschrift an H. gegeben, „die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt und mehrfach gewechselt hat“. Klar sei aber: Wegen des angedrohten Strafrahmens könne nur in absoluten Ausnahmefällen – etwa bei „selbst herbeigeführter Verhandlungsunfähigkeit“ – ohne die Angeklagte verhandelt werden, so Beck. Sei eine Angeklagte zum Prozesstermin nicht ausreichend entschuldigt, müsse etwa die Vorführung angeordnet oder ein Haftbefehl beantragt werden, hieß es.
Noch immer sind Forderungen in Millionen-Höhe offen
Auch das Bildungsministerium verfolgt das Verfahren aufmerksam. Schließlich versuchte das Land Brandenburg, einen Teil der gezahlten Beträge – es geht um neun Millionen Euro – für die mutmaßlich nicht vorhandenen Schüler wieder einzutreiben. Die frühere Firmeninhaberin H., heute ist sie Mitte 50, hatte 2012 eine Privatinsolvenz in Großbritannien über Schulden von mehr als 30 Millionen Euro abgeschlossen – durchgeführt nach dem einfacheren britischen Insolvenzrecht. Die Ex-Chefin gab dabei auch die Millionenschulden beim Land an – damit die Forderungen gegen sie ins Leere laufen. Noch Jahre später meldeten sich bei den PNN Schüler und Ex-Dozenten, die von Educon Schulgeld, Zeugnisse, Löhne oder Schadensersatz verlangten, ihre Forderungen aber nicht vollstrecken konnten. Pikant: Zwischendurch arbeitete H. in England sogar als Firmenretterin, in Internetverzeichnissen ist sie auch als Geschäftsführerin mehrerer anderer Unternehmen genannt. Die Angeklagte, die bisher stets alle Vorwürfe bestritten hat, war in der vergangenen Woche nicht zu erreichen, E-Mails blieben ohne Antwort.