Educon-Affäre in Potsdam: Anklage nach fünf Jahren
Geprellte Schüler, Lehrer und Minister: Die Educon-Betrugsaffäre vor fünf Jahren zog weite Kreise. Das Land Brandenburg fordert immer noch neun Millionen Euro zurück. Nun hat die Potsdamer Staatsanwaltschaft Anklage erhoben.
Potsdam - Es geht um eine beispiellose Affäre in der brandenburgischen Schullandschaft, in deren Folgen Hunderte ehemalige Schüler und Lehrer plötzlich vor verschlossenen Türen standen und das Land Brandenburg immer noch – bisher vergeblich – neun Millionen Euro zurückfordert: Die Rede ist vom Fall des vor fünf Jahren noch bundesweit aktiven Potsdamer Bildungsdienstlers Educon. Seit 2010 gingen Staatsanwälte dem Verdacht nach, dass das längst abgetauchte Unternehmen mutmaßlich Millionenzuschüsse für fiktive Schüler erschlichen hat – bis jetzt.
Jetzt hat die Potsdamer Staatsanwaltschaft Anklage erhoben, unter anderem wegen Betrugs in besonders schwerem Fall. Ob die Anklage zugelassen wird, muss nun das Landgericht Potsdam entscheiden, wie eine Sprecherin bestätigte. Angeschuldigt sind demnach die frühere Firmeninhaberin Carina H. und ihr früherer Geschäftsführer Klaus B. wegen mehrfachen gemeinschaftlichen Betrugs im besonders schweren Fall. Laut Strafgesetzbuch sind bei einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft möglich. Ebenso wird dem Duo – und einer weiteren früheren Prokuristin des Unternehmens – mehrfacher versuchter Betrug im schweren Fall vorgeworfen. Einen Zeitplan, ob noch ein Prozess in diesem Jahr zu erwarten ist, konnte die Gerichtssprecherin noch nicht nennen: Die betroffenen Personen hätten nun zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Anklage. Auch weitere Details nannte das Gericht zunächst nicht. Eine Stellungnahme von der Verteidigung war zunächst nicht zu erhalten. Allerdings hatte die Educon-Seite in der Vergangenheit die Vorwürfe stets bestritten.
Bundesweite Schlagzeilen
Der mutmaßliche Millionenbetrug mit erfundenen Schülerzahlen hatte vor fünf Jahren auch bundesweit Schlagzeilen gemacht, zog Kreise bis in die Landespolitik. Hinzu kamen überraschende Wendungen. Die Affäre begann Ende April 2010 mit einer Hausdurchsuchung im Hauptgebäude des Bildungsträgers in der Berliner Straße. Mittels falscher Angaben sollen Gesellschaften der Educon mehr staatliche Zuschüsse als berechtigt erhalten haben, so schon damals der Vorwurf. Die Folge: Das Landesbildungsministerium entzog drei Berufsfachschulen in Potsdam und Cottbus die Genehmigung, stoppt die Zahlungen von damals rund 4500 Euro pro Schüler und Jahr – von 871 gemeldeten Schülern konnte Educon laut Ministerium damals nur 313 nachweisen.
Seitdem versucht das Land Brandenburg vergeblich, neun Millionen Euro einzutreiben. „Daran hat sich nichts geändert. Es war nicht möglich, diesen Betrag einzuziehen“, sagte der Sprecher des Bildungsministeriums, Florian Engels, auf Anfrage. Es handele sich um Rückforderungen für Zuschüsse aus den Schuljahren 2008/09 und 2009/10. Ob das Ministerium noch davon ausgehe, an das Geld zu kommen, dazu wollte sich Sprecher Engels mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht äußern.
Privatinsolvenz in Großbritannien
Wie berichtet hatte die frühere Firmeninhaberin Carina H. nach eigenen Angaben 2012 eine Privatinsolvenz in Großbritannien über Schulden von 29 Millionen Pfund (damals rund 33 Millionen Euro) abgeschlossen – durchgeführt nach dem einfacheren britischen Insolvenzrecht. H. gab dabei auch die Schulden beim Land an. Das hatte die damals 50-Jährige den PNN im Herbst 2012 in London erklärt. Die Firma Educon selbst sei an einen Investmentfonds verkauft. Ohne die Schulden, wie sie sagte. Diese habe sie übernommen und tilgen lassen. „Sollte die Forderung gegen mich vollstreckt werden, dann läuft das ins Leere“, so H. damals. Ein weiterer Großgläubiger war etwa das Potsdamer Finanzamt mit neun Millionen Pfund. Zugleich hatte H. betont, sie habe „nie die Fälschung von Schülerzahlen angewiesen“. Zugleich hatte ihr Berliner Anwalt mit einer Schadensersatzklage gegen das Land Brandenburg gedroht – weil mit den Schulschließungen „ein florierendes Unternehmen plattgemacht“ worden sei.
Der Fall reichte bis in die Politik. Denn Educon war jahrelang Sponsor der Handballer vom VFL Potsdam, dessen Präsident Ex-Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) war – der in den Jahren des vermuteten Betrugs die Aufsicht über das Privatschulwesen hatte. Vom Ministerium hieß es dazu stets, es habe keine Kontrollverfehlungen gegeben, nach Bekanntwerden der Vorwürfe sei sofort reagiert worden. Auch Rupprecht hatte betont, es habe keine Verquickung von dienstlichen und privaten Sport-Interessen gegeben.
Lehrbetrieb über Nacht eingestellt
Nach den verfügten Schulschließungen war das gesamte Unternehmen in Schieflage geraten. Auch staatlich nicht geförderte Educon-Schulen im gesamten Bundesgebiet stellten ihren Lehrbetrieb zum Teil über Nacht ein, das Unternehmen verschwand von der Bildfläche, auch die Internetpräsenz wurde gelöscht. Noch Jahre später meldeten sich Schüler und Ex-Dozenten bei den PNN, die von Educon bereits gezahltes Schulgeld, Zeugnisse, Löhne oder Schadensersatz verlangten, ihre Forderungen aber nicht mehr zustellen konnten.
Carina H. hatte dazu in London erklärt, das Unternehmen sei zwar hoch versichert gewesen – doch die Versicherungen hätten nicht gezahlt. Ihren ehemaligen Schülern und Mitarbeitern riet sie, die Versicherungen zu verklagen. In Großbritannien betrieb sie zwischenzeitlich ein Beratungsunternehmen, ausgerechnet für in Not geratene Firmen. Zudem hatte sie eine Biografie angekündigt. Was sie inzwischen macht, wird sie in den kommenden Monaten möglicherweise auch den Richtern am Potsdamer Landgericht erzählen.
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