Streit um Potsdamer Glockenspiel: "Wir lassen uns nicht abschalten"
Die Zahl der Protestsänger gegen die Abschaltung des Glockenspiels der Garnisonkirche steigt – doch die auch für nächsten Sonntag geplante Aktion gerät in die Kritik.
Potsdam - Zum zweiten Mal haben sich Sonntagmittag Potsdamer am Glockenspiel der Garnisonkirche getroffen, um mit Gesang gegen dessen Abschaltung zu protestieren. Die Zahl der Teilnehmer hat sich dabei im Vergleich zur Vorwoche fast verdoppelt. Rund 50 Menschen sangen nun eine halbe Stunde Lieder wie „Lobet den Herren“. Zu ihnen gehörten unter anderen Nikolaikantor Björn O. Wiede, mehrere bekannte CDU-Mitglieder wie Werner Pahnhenrich oder Maike Dencker, das Potsdamer AfD-Vorstandsmitglied Chaled-Uwe Said und Vertreter der Bürgerinitiative „Mitteschön“, die auch zu dem Protest an der Plantage aufgerufen hatte.
Die Entscheidung, das Glockenspiel abzuschalten, sei ein Fehler, sagte Protestinitiator Detlef Mai, Chormitglied der Nikolaikirchgemeinde: „Aber wir lassen uns nicht abschalten.“ Man werde sich nun jeden Sonntag zum Singen treffen, bis das Glockenspiel wieder angeschaltet werde.
Das Glockenspiel war 1991 von der „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“ unter Ex-Oberstleutnant Max Klaar der Stadt geschenkt worden und hatte zu jeder vollen Stunde das Lied „Lobet den Herrn“ und zu jeder halben Stunde „Üb immer Treu und Redlichkeit“ gespielt. Mit seinem Abschalten würden „Kirchenlieder aus dem öffentlichen Raum verbannt“, meinen die Kritiker.
Ein Brief hatte die Debatte befeuert
Auf die Abschaltung des Glockenspiels hatte sich Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) mit den Vereinen für den Wiederaufbau der Garnisonkirche verständigt. Ausgangspunkt war ein Offener Brief von Künstlern, Wissenschaftlern und Architekten, in dem diese im August den Abriss des Ensembles mit seinen „revisionistischen, rechtsradikalen und militaristischen Widmungen“ gefordert hatten – als klaren Trennungsstrich zu militaristischen und rechtslastigen Traditionen an dem Ort. So werden mit den Inschriften auch revisionistische Soldatenverbände geehrt. Nun soll unter anderem der wissenschaftliche Beirat der Stiftung Garnisonkirche die Inschriften am Glockenspiel prüfen. Danach soll öffentlich der Umgang mit dem damaligen Geschenk debattiert werden. Vor diesem Hintergrund hatte wie berichtet auch der Chef der Fördergesellschaft für die Garnisonkirche, Matthias Dombert, per Rund-Mail von der Teilnahme am Singen abgeraten – das habe aber eher noch für zusätzliche Mobilisierung gesorgt, hieß es am Rande der Aktion.
Kritik am Protestsingen
Die Initiatoren des besagten Offenen Briefs um den Kasseler Architekturprofessor Philipp Oswalt meldeten sich auch am Sonntag zu Wort. Sie warfen den Protestsängern vor, die „rechtsradikalen Widmungen“ am Glockenspiel zu verharmlosen. So seien fünf Glocken verschiedenen Truppenverbänden der Wehrmacht gewidmet – und eine dem Luftwaffenoffizier Joachim Helbig, einem gefürchteten Kampfflieger im Zweiten Weltkrieg. Auch Glockenspiel-Spender Klaar ist umstritten: So hatte etwa die evangelische Landeskirche im Sommer 2015 ihren Gemeinden empfohlen, kein Geld mehr bei der von Klaar gegründeten Stiftung Preußisches Kulturerbe zu beantragen, das katholische Erzbistum schloss eine künftige Unterstützung durch die Klaar-Stiftung aus. Auch der Landtag Brandenburg beschloss seinerzeit, dass kein „kontaminiertes Geld“ mehr von Klaars Stiftung angenommen werden darf – wegen fehlender Identifikation mit den Werten des Grundgesetzes und Geschichtsrevisionismus. Mehrfach stellte Klaar die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg infrage und schrieb von der Befreiungslüge des Jahres 1945.
"Schrei nach Liebe"
Unweit des Protestssingens hatten sich am Sonntag knapp zehn Mitglieder der Satire-Partei „Die Partei“ versammelt. Sie sangen lauthals den Ärzte-Song „Schrei nach Liebe“, ein bekanntes Lied gegen Neonazis. Diesen Titel will „Die Partei“ statt der Kirchenlieder in der Glockenspiel-Version hören, sollte das Ensemble doch wieder erklingen dürfen.
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