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Marc Hübsch, Kapitän des USV Potsdam, begrüßt Abdihafid Ahmed von Welcome United 03 am Anstoßkreis.
© Sebastian Wells

Erstes Pflichtspiel von Welcome United 03 in Potsdam: Willkommen in der Kreisklasse

Das Babelsberger Flüchtlingsteam Welcome United 03 spielt jetzt im regulären Spielbetrieb. Warum das eine neue Qualität von Integration ist.

Potsdam - Die Temperaturen waren alles andere als sporttauglich. Über 30 Grad im Schatten zeigte das Thermometer am vergangenen Sonntagnachmittag, als am Babelsberger Park die Fieberkurve stieg: Welcome United 03, das Flüchtlingsteam des SV Babelsberg 03, sollte nach etwas mehr als einem Jahr sein erstes reguläres Pflichtspiel bestreiten. In der Vorrunde um den Fußball-Kreispokal hieß der Gegner USV Potsdam – 8:2 (2:2) gewann das Flüchtlingsteam nach Verlängerung.

Viele Medien bundesweit berichten über Welcome United 03

Eigentlich würden sich Berichterstatter bei diesem Spielverlauf auf die Geschichte der Verlängerung stürzen, in der im Drei-Minuten-Takt die Tore fielen. Doch die Reporter von „Spiegel Online“ oder dem Fußballmagazin „11 Freunde“ interessieren sich weniger für die Partie zweier Kreisklasseteams als für das Integrationsprojekt des SVB – zum wiederholten Male: Mehr als 60 Zeitungsartikel, Magazinbeiträge, TV- und Radiobeiträge sind seit gut einem Jahr über das Babelsberger Projekt veröffentlicht worden. Der Deutsche Fußball-Bund drehte einen Imagefilm über die deutschlandweit erste reine Flüchtlingsmannschaft innerhalb eines Vereins. Nun sind die Notizblöcke wieder gezückt: Welcome United 03 spielt ab dieser Saison offiziell in der 2. Kreisklasse, sodass auf „Spiegel Online“ gelobt wird: „Dass die Flüchtlinge jetzt am regulären Spielbetrieb teilnehmen dürfen, machte der SV Babelsberg möglich.“

Ganz so neu sind Asylbewerber in Trikots Potsdamer Fußballvereine allerdings nicht. „Integration durch und mit Sport finde schon seit Jahren statt“, sagt Jörg Schneider von der Brandenburgischen Sportjugend. Der 44-Jährige hat vor gut 20 Jahren seine Sport-Diplomarbeit über die Integration von Ausländern in Sportvereinen geschrieben. Aus der Theorie ist längst Praxis geworden, alltäglich.

Integration auch in anderen Vereinen in Potsdam

In mehr als 30 Brandenburger Sportvereinen trainieren und spielen seit Jahren Flüchtlinge aus Krisenregionen. „Fortuna Babelsberg macht das seit zehn Jahren“, sagt Schneider. Kein Wunder, dass der Vereinschef des Fußballklubs vom Stern das Flüchtlingsprojekt des SVB zwiespältig betrachtet. „Besser wäre, die Spieler in bestehende Vereine zu integrieren“, sagt Hartmut Domagalla, der auch Spielausschuss-Vorsitzender des hiesigen Fußballkreises ist. Schneider sieht das ähnlich. „Ein reines Flüchtlingsteam wie Welcome United ist nicht unbedingt das, was wir wollen“, sagte der Integrationsexperte des Landessportbundes. Es bestehe die Gefahr, dass Vereine, die bereits seit Jahren viel Integrationsarbeit leisten, aus dem Fokus geraten. Sofern sie denn überhaupt Aufmerksamkeit finden. „So geht Integration“ titelte der Boulevardsender RTL über seine Reportage, die er im vergangenen Jahr über das Babelsberger Flüchtlingsteam machte. Wie es gelungen ist, Spieler aus dem Iran, dem Kosovo oder Afghanistan bei Fortuna Babelsberg oder der Potsdamer Sportunion (PSU) zu integrieren, fand keine Erwähnung.

Dabei könnte es der Trainer des Welcome-Teams genau erzählen, denn bis vor wenigen Wochen coachte Sven George noch die Fußballer der PSU. „Ich kenne das Thema Integration schon ein paar Jahre länger“, sagt er. Dem 35-Jährigen ist daher die exklusive Aufmerksamkeit für sein neues Team gar nicht so recht. „Wir wollen diese von außen herangetragene Sonderstellung nicht“, sagt er und nennt das Beispiel einer Medienanfrage, ob sich nicht der Termin eines Kreisklassenspiels verschieben lässt, weil man an diesem Tag keinen Reporter schicken könne. Dass Integration auch Integration in einen abgestimmten Spieltagskalender bedeutet, scheint im Schreibeifer nicht allen klar.

Ablenkung vom Alltag in Füchtlingsheimen

Bislang definierte sich Integration für dieses Projekt durch das Zusammenführen von Flüchtlingen verschiedener Herkunft, Religionen und Kulturen. Beim SV Babelsberg fanden sie die Möglichkeit, durch Fußball Ablenkung vom Alltag in Flüchtlingsheimen zu finden und sich untereinander kennenzulernen. Allein die Anfahrt zum Training und zu Freundschaftsspielen bedeutete für die Männer sich vertraut zu machen – mit Busfahrplänen, deutscher Sprache, Stadionordnungen, Fans. Eine Leistung, die es so in Fußball-Deutschland noch nicht gab und zurecht die Anerkennung, Unterstützung und Aufmerksamkeit.

Die Eingliederung in den regulären Spielbetrieb des Fußballverbandes ist indes eine ganz andere Qualität von Integration, weil weit mehr Akteure gefordert werden als bislang: Spieler der Kreisklasse-Teams, deren Anhänger, Schiedsrichter, Vereins- und Verbandsfunktionäre. Die Welcome-Kicker selbst, die Anhänger des SVB und dessen Funktionäre werden sich klar sein, dass der bislang praktizierte Integrationsansatz nun weit über die Vereinsgrenzen hinaus geht. „Insofern ist dieses Projekt als Initialzündung hilfreich“, sagt Sportjugend-Referent Jörg Schneider. Landessportbund und der Fußballkreisverband planen nach Auswärtsspielen von Welcome United – die zu Potsdamer Vereinen sowie nach Rehbrücke, Stahnsdorf und Schenkenhorst führen – Grillaktivitäten fürs gegenseitige Kennenlernen. Zudem soll es für Kreisklassen-Vereine kostenlose Ausbildungen für Schiedsrichter und Übungsleiter geben, um diese auch für die Integrationsaufgabe mit all ihren Herausforderungen zu schulen. „Die Offenheit, die von den Vertretern der Kreisklasseteams auf der Staffeltagung letzte Woche gezeigt wurde, war toll“, sagt Schneider.

"Wir sind auch nur 20 Jungs, die Fußball spielen wollen"

Am Ende wird ein Grill nicht genügen, dass alle vereint am Feuer sitzen und sich Geschichten ihrer Herkunft erzählen. Ein Stück weit wird die Wahrheit auf dem Platz liegen. „Da war schon Unsicherheit zu spüren, ob man jetzt nach einem Foul was sagen darf oder nicht“, meint ein USV-Spieler nach der Pokalrunde am Sonntag. Welcome-Coach Goerge kann diese Unsicherheit nachvollziehen. Auch deshalb wünscht er sich, dass es schnell normal wird, wenn ein Flüchtlingsteam in der Kreisklasse spielt. „Wir sind auch nur 20 Jungs, die Fußball spielen wollen.“

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