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Künftig mit Abstand: Mit neuen Regeln soll der Zimtzicken-Treffpunkt öffnen. 
© Promo-Foto: Zimtzicken Potsdam

Langeweile, Angst, Einsamkeit: Wie geht es Potsdams Jugendlichen in der Coronakrise?

Vielen fehlt die Struktur und der Kontakt zu ihren Freunden. Potsdams Jugendklubs versuchen trotz Corona weiter mit den Jugendlichen im Gespräch zu bleiben - unter anderem am Zimmerfenster.

Potsdam - „Wenn ihr Lust habt mit uns zu quatschen, könnt ihr uns über den Instagram-Video-Chat oder über das Festnetz-Telefon anrufen“, heißt es seit März auf der Internetseite des Club 91. Seit der Jugendklub vor zwei Monaten schließen musste, versuche man, über Social-Media-Kanäle mit den Jugendlichen in Kontakt zu bleiben, erzählt Klubleiter Peter Neumann. Das werde von den Jugendlichen, hauptsächlich Jungs, allerdings wenig genutzt. „Sie melden sich mal kurz, aber zum Herzausschütten ist es wohl doch nicht geeignet“, sagt Neumann. „Da braucht es einfach den direkten menschlichen Kontakt, von Angesicht zu Angesicht.“

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Deshalb haben sie sich im Club 91, der sich am kurzen Ende der Kastanienallee in Potsdam-West befindet, die Aktion „Fenstergespräche“ ausgedacht. Neumann und zwei Mitarbeiterinnen fahren zu den Jugendlichen nach Hause, klingeln an der Tür und quatschen ein Viertelstündchen am Fenster. Oder an der Haustür, wenn der Besuchte im 4. Stock wohnt. Das funktioniere sehr gut. Etwa die Hälfte der normalen Klientel nutzt das Angebot. Wer besucht werden will, meldet sich vorher mit seiner Adresse an. Ohne Adresse kein Besuch.

"Um manche machen wir uns schon Sorgen"

Von vielen, die früher regelmäßig in den Klub kamen, wisse er nicht, wie es ihnen geht, sagt Neumann. „Wir fragen viel herum, weißt du was von dem oder dem, aber um manche machen wir uns schon Sorgen. Wir können sie nicht erreichen, auch die Schule als Ansprechpartner fehlt – daraus können schnell Probleme, auch psychischer Art, entstehen, die erst später sichtbar werden.“ Während Jugendliche die Krise anfangs eher auf die leichte Schulter nahmen, auch mal vom Ordnungsamt verwarnt wurden, weil sie sich in Gruppen trafen, nehmen sie die Situation jetzt viel ernster und halten sich auch an Auflagen, so Neumann. „Aber langsam kommt Ungeduld auf, wie lange das noch gehen soll“, sagt Neumann.

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Was ihn sehr überrascht hat: Dass die Jugendlichen deutlich sagen, dass sie die Schule und ihren gewohnten strukturierten Alltag vermissen. „Das hätte ich nie erwartet“, so Neumann. Homeschooling über so viele Wochen funktioniere nicht für jeden und Eltern seien nun mal kein Lehrerersatz. Keine Treffen mehr mit Freunden im Klub, kein gemeinsamer Sport, kein Musikhören – das sei für die Altersgruppe, die dabei auch Orientierung sucht, schon hart. Dass Spiel- und Sportplätze gesperrt wurden und zum Teil noch sind, verschärfe das Problem. „Denen ist einfach schrecklich langweilig.“

Tischtennis ist besser als nichts

In Potsdam-West wohnen die meisten in überschaubar großen Wohnungen, die wenigsten haben einen Bastelkeller oder Garten. Jetzt wartet Neumann auf das Signal von Stadt und Träger, dem Stadtsportbund, um bis Ende Mai schrittweise unter neuen Auflagen öffnen zu können. Es dürfen sich dann nur eine Handvoll Menschen zeitgleich in den Räumen aufhalten. Beachvolleyball auf dem prima Sandplatz ist verboten, weil es als Kontaktsportart gelte. Auch der Fitnessraum darf nicht genutzt werden. Erlaubt ist Tischtennis. Besser als nichts, so Neumann, aber es ärgert ihn schon, dass für Profifußballer Ausnahmen gemacht werden und Kinder und Jugendliche weiter warten müssen.

Auch die Mädchen der Potsdamer Zimtzicken in Zentrum Ost warten, dass ihr Treffpunkt wieder öffnen kann. Am 25. Mai soll es soweit sein, sagt Leiterin Vera Spatz. Vorher müssen alle Hygienemaßnahmen umgesetzt werden, Einmalhandtücher und Masken vorrätig sein, ebenso Desinfektionsmittel. Der Spender dafür ist erst im Juni lieferbar. „Eigentlich zu spät“, so Spatz. Weil die Räume sehr klein sind, dürfen sich auch hier vorerst nur wenige Kinder gleichzeitig aufhalten. Die bisher eher offene Arbeit müsse auf planbare Gruppenangebote umgestellt werden. Neuer Schwerpunkt werde sein, das Homeschooling zu begleiten. „Viele Mädchen haben keine eigenen Endgeräte und wenn die Familie groß ist, sind sie in der Regel die letzten in der Warteschlange auf das Tablet.“

Die Zwangspause könnte viel erreichtes zunichte gemacht haben

Etwa 20 Mädchen von acht bis Anfang 20 besuchen normalerweise regelmäßig den Ort, der nur für sie gedacht ist. Väter, Brüder, Jungs haben keinen Zutritt. Viele stammen aus Familien, die zugewandert sind, der Treffpunkt leistet auch wichtige integrative Arbeit. Spatz fürchtet, dass die zwei Monate Pause viel Erreichtes zunichte gemacht haben. Die Mädchen blieben wieder mehr zu Hause als früher. In vielen Familien sei die Angst vor dem Virus groß, auch weil aufgrund der Sprachbarriere Aufklärung fehle. „Es gibt Mädchen, die trauen sich gar nicht mehr aus dem Haus und isolieren sich“ so Spatz. „Sie erzählen uns am Telefon, dass sie sich sehr alleine fühlen.“ Verdachtsfälle wegen häuslicher Gewalt gebe es allerdings bislang nicht.

Die Mitarbeiterinnen der Zimtzicken haben in den vergangenen Wochen „Zeit-für-dich-Gutscheine“ per Post verschickt, die die Mädchen für persönliche Termine, ob für Beratung oder zum Spielen, eintauschen können. Eine extra Einladung, sich aufzurappeln und auf den Weg zu machen. Einzeltermine dürfen nämlich weiterhin stattfinden. Einige wenige kommen tatsächlich regelmäßig, vor allem, weil sie Hilfe mit Hausaufgaben brauchen. Weiterhin versuchen die Sozialarbeiterinnen, mehr digitale Angebote für die Internetseite zu erstellen. „Aber mit der bunten Welt der professionellen Anbieter auf Instagram oder Youtube können wir nicht mithalten. Dafür fehlt uns auch die Ausbildung“, so Spatz.

Demo: "Wir sind systemrelevant"

Wenn am heutigen Freitag um 11.55 Uhr die Frauen vom Potsdamer Frauenzentrum am Brandenburger Tor demonstrieren, wollen die „Zimtzicken“ dabei sein. Das Motto lautet: „Wir sind systemrelevant“. Auch Frauen, Mädchen und Familien sollen gut durch die Krise gebracht werden. 

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