Potsdam: Elternfreie Zone
Seit 50 Jahren gibt es den Club 91 in Potsdam-West. Er wird gebraucht, sagen die Jugendlichen. Aus Sicht der Betreuer sind die Jungs von heute allerdings eher pflegeleicht. Am Freitag wird das Jubiläum gefeiert
Warum sie hierherkommen? „Na, hier gibt’s einen Fitnessraum“, sagt Illja. „Gute Geräte und fachmännische Beratung.“ Illja, am Sonntag gerade 18 Jahre alt geworden, sagt tatsächlich „fachmännisch“. Und sein Kumpel schiebt hinterher: „Wir haben hier die besten Mitarbeiter der Welt.“ Nicht nur, weil sie in der Muckibude gut anleiten können. „Sie können sich gut in uns reinversetzen, vertreten aber auch ihre eigene Meinung. Und wenn wir uns zoffen, vermitteln sie zwischen uns“, sagt Toni.
Toni und Illja gehören zur Kerntruppe, die sich regelmäßig im Club 91 trifft. So wie seit 50 Jahren. Im Februar 1968 wurde der Treffpunkt in der Kastanienallee, dem kurzen Stück an der Wasserseite, eröffnet. Am kommenden Freitag soll das Jubiläum gefeiert werden. Zur Party werden auch Jugendliche der ersten Stunde erwartet, sagt Clubleiter Peter Neumann. „Die planen irgendeine Überraschung, wir haben keine Ahnung.“
Neumann ist seit 1993 dabei. Er kennt die Nachwendejahre, als der Club vor allem Partymeile war, der Wochenkalender voll mit Frauenfeten, Antifa-Feten und Ossi-Disco. Den Club hatten sie mit Hilfe des damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe nach zwei Jahren Schließzeit gerade gerettet und notdürftig saniert. Jetzt wohnt Stolpe auf der anderen Straßenseite im Johanniter-Quartier. „Manchmal kommt er aus alter Verbundenheit rüber“, sagt Neumann.
Die Neuen finden es gut, dass sich hier Jung und Alt begegnen. Respektvoll sprechen sie von zwei alten Herren, die sich hier einmal in der Woche zum Schachspielen treffen. „Die sind richtig gut.“
Im Grunde aber ist es nichts Besonderes, was in dem knallroten Flachbau passiert. Sechs Tage in der Woche ist geöffnet, drei Mitarbeiter kümmern sich dann um Jugendliche von etwa 14 bis Mitte 20. Die meisten wohnen in Potsdam-West, manche auch in der Innenstadt, Jason kommt aus Kuhfordt. Es sind fast nur Jungs, es sei denn, es schleppt mal jemand seine Freundin an, so wie Olivia, die regelmäßig hier ist. „Ich habe zu Hause kein eigenes Zimmer. Hier ist meine geschwisterfeie Zone“, sagt sie.
Keine Geschwister, keine Eltern, dafür Sozialarbeiter, wichtige Ansprechpartner ohne erhobenen Zeigefinger. „Wenn man Prüfungsstress hat oder eine Bewerbung schreiben will, dann sind sie da“, sagt Illja. „Man kann mit ihnen über mehr Dinge reden als mit den Eltern. Und wenn man Scheiße gebaut hat, kommt man erstmal hierher.“
Das passiert aber eher selten. Die Zeiten sind ruhiger geworden, sagt Neumann. Früher gab es manchmal Stress mit Rechten, das ist vorbei. Mit der Sportorientierung habe sich vieles entspannt. „Man kann beim Sport Aggressionen rauslassen und sich danach die Hände reichen.“ Statt der Rechten kommen heute Flüchtlinge, die hier Deutsch sprechen wollen. „Die Jungs sind alle pflegeleicht.“
Auch der Club selbst hat keine gravierenden Probleme. In den Jahren nach der Wende wurde bisweilen eingebrochen, trotz vergitterter Fenster. Zu holen gab es nichts, es wurde nur kaputt gemacht, sagt Neumann. Das hat sich gegeben.
Vor drei Jahren investierte die Stadt 370 000 Euro für Wärmedämmung, eine frische, knallrote Fassade, Dachsanierung, neue Fenster und neue sanitäre Anlagen. Hinterm Haus gibt’s jetzt ein Volleyballfeld und eine Terrasse. Innen sieht es aus, wie es sich für einen Jugendclub gehört: durchgesessene Sofas, Bar, Tischtennisplatte und Billardtisch. In der offenen Küche wird gemeinsam gekocht, einmal in der Woche kommt dafür eine Gruppe der Käthe-Kollwitz-Schule. Manchmal werden Brettspiele rausgeholt. „Spielkarten sind wieder angesagt“, sagt Neumann. Sein Kollege Jan Pawlowski wird als Schachexperte bewundert und in Anspruch genommen. Noch vor wenigen Jahren sei der Computerraum das Highlight gewesen, sagt Sozialpädagogin Martina Müller, sie mussten die Nutzerzeiten sogar limitieren. „Heute steht der Raum oft leer. Das Smartphone hat den Computer abgelöst.“
Das Interesse an der realen Welt ist aber da. Vier von ihnen nehmen demnächst am Brandenburger Clubrätetreffen in Blossin teil. Einmal im Jahr machen sie zusammen Ferien, an der Ostsee oder in Oberwiesenthal. Eine Woche Urlaub in der Jugendherberge für 50 Euro Eigenanteil, da kann man nicht meckern, sagen die Jungs. In Potsdam nahmen sie 2017 am Nachtstaffellauf teil und landeten, bei 120 Teams, immerhin im Mittelfeld. Immer wieder laden sie besondere Gäste ein. Der Kriminalbiologe Mark Benecke ist ihr Fan und hält hier einmal im Jahr einen seiner extravaganten Vorträge. Demnächst werden sie alle Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl im Club unter die Lupe nehmen und ein Besuch des Linken-Politikers Gregor Gysi steht an.
Ganz normal chillen geht aber natürlich immer. Oder auch mal feiern. Stevens Eltern zum Beispiel lernten sich im Club kennen und feierten damals hier ihren Polterabend. Familienfeten gibt’s auch heute noch. Und natürlich den runden Clubgeburtstag am Freitag.
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