"Querdenken"-Demonstration: Welche Rolle Potsdamer bei den Corona-Protesten in Berlin spielten
AfD-Politiker und andere beteiligten sich an den Demonstrationen in Berlin. Der Brandenburger Verfassungsschutz warnt vor extremistischen Bestrebungen.
Als mehrere zehntausend Menschen am Samstag (29.8.) in Berlin gegen die Corona-Verordnungen demonstrierten, waren auch einige Potsdamer dabei, darunter AfD-Politiker. Ein Verbot der Veranstaltung, zu der die Stuttgarter Initiative “Querdenken” aufgerufen hatte, war kurz vorher vom Verwaltungsgericht gekippt worden. Unter den Protestierenden tummelten sich zwischen verärgerten Bürgern auch Verschwörungstheoretiker, Esoteriker und Rechtsextreme.
Auch der Potsdamer AfD-Politiker Chaled-Uwe Said nahm an der Demonstration in Berlin teil. Der Vorsitzende der AfD-Stadtfraktion postete ein Foto auf seiner Facebook-Seite, das ihn mit einer AfD-Fahne inmitten der Demonstranten an der Siegessäule zeigt - ohne Mund-Nasen-Schutz. Said war offenbar mit Fraktionskollegen angereist.
“Die AfD-Stadtfraktion bekennt sich zur Versammlungsfreiheit auch unter Pandemiebedingungen”, teilt eine Sprecherin auf PNN-Anfrage mit. "Mit Bestürzung” habe die Fraktion vom "Verbotsversuch des SPD-Innensenators Andreas Geisel” erfahren. “Daraufhin nahmen mehrere unserer Fraktionsmitglieder an der Versammlung teil. Mit Erschrecken wurde ein Mitglied unserer Fraktion Zeuge des rabiaten Einschreitens der Berliner Polizei”, so die Sprecherin.
Heilpraktikerin aus der Eifel hetzte Menge auf
Ein Teil der Demonstranten hatte am Samstagabend Absperrungen am Bundestag durchbrochen, war auf die Treppen gestürmt, um dort schwarz-weiß-rote Fahnen des Deutschen Reichs zu schwenken. Den Anstoß dazu hatte eine Heilpraktikerin aus der Eifel gegeben, die die Menge aufhetzte. Die Potsdamer SVV-Fraktion der AfD distanziert sich von dieser Aktion, bezeichnet deren “mediale Darstellung” aber auch als übertrieben. Es habe sich um einen Protest gehandelt, ähnlich wie ihn Greenpeace durchführe, so die Sprecherin.
Mindestens eine Potsdamer Aktivistin aus dem Impfgegnermilieu war offenbar zugegen bei diesen turbulenten Ereignissen. Die Heilpraktikerin Constanze Contudo hatte bereits im Mai Corona-Proteste in der Landeshauptstadt organisiert. Damals hatten sich etwa 20 Personen regelmäßig am Brandenburger Tor getroffen (PNN berichteten). Contudo hatte als Rednerin vor einer “neuen Weltordnung” gewarnt und Verschwörungsmythen verbreitet.
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Nun scheint ein Video beim Kurznachrichtendienst Twitter die Aktivistin vor dem Reichstagsgebäude zu zeigen, unmittelbar nach der Treppenstürmung. Zu sehen ist sie im Gespräch mit dem Rechtsextremisten Nikolai Nerling. Augenscheinlich begeistert schildert die Potsdamerin Contudo die Momente kurz vor der Erstürmung. Nerling ist ein verurteilter Holocaustleugner und ehemaliger Grundschullehrer. Aus dem Schuldienst wurde er 2018 entlassen, weil er antisemitische Videos im Internet gepostet hatte. In der rechtsextremen Szene genießt Nerling unter dem Pseudonym “Volkslehrer” seither eine gewisse Prominenz. Contudo antwortete bisher nicht auf eine PNN-Anfrage zum Video.
Verfassungsschutz beobachtet die Corona-Protestszene nicht direkt
Nach PNN-Information hat eine kleine Gruppe aus Impfgegnern und anderen Esoterikfreunden auch in den vergangenen Monaten immer wieder gegen die Corona-Verordnungen protestiert. Die Heilpraktikerin Contudo soll dabei nicht mehr so stark in Erscheinung getreten sein. Vorwürfe der Offenheit gegenüber rechtsextremem Gedankengut wiesen die Protestierenden stets empört von sich. Doch die Fachstelle Antisemitismus am Moses Mendelssohn Zentrum warnte bereits im Mai gegenüber den PNN: „Die sogenannten Impfkritiker bewegen sich in einem esoterischen Milieu, das sehr anfällig ist für antisemitische Argumentationsmuster.“ Es gäbe Anknüpfungspunkte für Rechtsextremisten, sagte eine Sprecherin.
Der Verfassungsschutz beobachtet die Corona-Protestszene nicht direkt, teilt der Sprecher des Innenministeriums, Martin Burmeister, auf Anfrage mit: “Beobachtet werden jedoch die zunehmenden Versuche von Rechtsextremisten sowie Reichsbürgern, das Thema zu besetzen und die Szene unterwandern und für ihre Ziele nutzbar machen zu wollen.” In Brandenburg würden sich neben der AfD, die der Verfassungsschutz als “rechtsextremistischen Verdachtsfall” einstuft, auch unter anderem die NPD und die “Identitäre Bewegung” um das Milieu bemühen.
Der Schwerpunkt der hiesigen Aktivitäten liege seit einigen Wochen in Südbrandenburg und dort insbesondere beim AfD-Landtagsabgeordneten Christoph Berndt, der gleichzeitig Vorsitzender des rechtsextremen Vereins “Zukunft Heimat" ist und in Cottbus regelmäßig als Redner auftritt, sagt Burmeister. Berndt kandidiert für die Nachfolge von Andreas Kalbitz als AfD-Fraktionsvorsitzender im Landtag.
Mit Sorge betrachtet der Brandenburger Verfassungsschutz auch die zunehmende Verbreitung des Verschwörungskultes “QAnon”. Dessen Anhänger glauben, Eliten würden das Blut von Kindern trinken. Mit diesen bizarren Verschwörungstheorien werde “ein übler mittelalterlicher Ur-Antisemitismus in Form der Ritualmordlegende reaktiviert”, so Burmeister. “Damit verkörpert die QAnon-Bewegung im eigentlichen Sinne eine anti-aufklärerische Strömung, die sich vollständig gegen alle an der Vernunft ausgerichteten Prozesse richtet, welche moderne und demokratische Gesellschaften prägen.”