Sorge um Potsdams wirtschaftliche Entwicklung: Was wächst hier noch?
Nach dem Förder-Aus für die Landeshauptstadt reißen die Proteste und die Kritik nicht ab. Das Rathaus fordert die Offenlegung der Daten, die dazu führten.
Potsdam - Nach dem Aus für Potsdam bei der Bund-Länder-Förderung zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW) haben die Landeshauptstadt und ihr Wirtschaftsrat Bund und Land aufgefordert, die Daten, die zu dieser Entscheidung geführt haben, offenzulegen. Man könne nicht nachvollziehen, warum Potsdam bereits ab 2022 als einzige ostdeutsche Stadt keine Strukturförderung mehr bekommen soll, hieß es aus dem Rathaus auf PNN-Anfrage.
Alle ostdeutschen Landeshauptstädte, die Entwicklungszentren Leipzig, Jena und Chemnitz, benachbarte Landkreise sowie Berlin seien nur in der Förderkategorie herabgestuft worden. Das heißt, die Förderung wird abgeschmolzen. Genau das wäre auch für Potsdam „erwartbar und nachvollziehbar“ gewesen, so das Rathaus. Warum Potsdam „trotz ähnlicher Entwicklungen wie die genannten Städte vollständig aus der Förderkulisse fällt, ist auf der uns vorliegenden Datenbasis nicht nachvollziehbar“, so eine Sprecherin.
Keine knappe Entscheidung
Das Bundeswirtschaftsministerium erläutert dazu lediglich, dass der sogenannte GRW-Regionalindikator entscheide, welche kreisfreie Stadt und welcher Landkreis bundesweit auf der Förderlandkarte stehen. Dabei werden den Angaben nach regionale Produktivität, Unterbeschäftigungsquote, demografische Entwicklung und Infrastrukturausstattung untersucht. Dieses Indikatorenmodell sei durch eine wissenschaftliche Studie überprüft.
Die PNN-Frage, ob die Liste der GRW-Regionalindikatoren samt dem Abschneiden der einzelnen Regionen öffentlich einsehbar ist, und wenn nein, warum das nicht der Fall ist, beantwortete das Bundeswirtschaftsministerium nicht. Ein Sprecher betonte allerdings, dass die Entscheidung, dass Potsdam nicht mehr zum Fördergebiet gehöre, nicht knapp gewesen sei.
[Was ist los in Potsdam und Brandenburg? Die Potsdamer Neuesten Nachrichten informieren Sie direkt aus der Landeshauptstadt. Mit dem Newsletter Potsdam HEUTE sind Sie besonders nah dran - in den Sommerferien einmal wöchentlich, am Dienstag. Hier geht's zur kostenlosen Bestellung.]
Potsdam liege mit seiner Platzierung nach dem GRW-Regionalindikator „deutlich außerhalb des Bereichs für das GRW-Fördergebiet“. Dieses umfasse rund 41 Prozent der Einwohner Deutschlands. Eine Einbeziehung Potsdams hätte „ein Fördergebiet im Umfang von fast 50 Prozent der Einwohner erfordert“.
Zuvor wären Regionen in Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachsen, Bayern, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen einzubeziehen gewesen, so das Ministerium. Zuvor hatte der Sprecher bereits mitgeteilt, dass Potsdam in der Rangfolge der Regionen „exakt in der Mitte“ liege.
Sorge um wirtschaftliche Entwicklung Potsdams
Den Beschluss über das Fördergebiet und damit das Aus für Potsdam haben laut Bundeswirtschaftsministerium die „Fachminister von Bund und Ländern am 25. Juni 2021 einvernehmlich gefasst“. Es sei „ein großer Erfolg, dass Potsdam sich wirtschaftlich so gut entwickelt hat und nicht mehr länger zu den strukturschwachen Regionen Deutschlands gehört“.
In Potsdam ebbt die Kritik an dem Förder-Aus, das vom brandenburgischen Wirtschaftsministerium unter Minister Jörg Steinbach (SPD) mitgetragen worden ist, jedoch nicht ab. Er sehe „die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Potsdams in Gefahr“, teilte am Donnerstag der Vorstand des Wirtschaftsrates der Stadt mit. Die GRW-Gelder seien „das wichtigste wirtschaftspolitische Förderinstrument für strukturschwache Regionen“. Neben Fördermitteln für Kommunen für wirtschaftsnahe Infrastruktur richte sich das Programm „unmittelbar an die Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft“. Gefördert würden Investitionsmaßnahmen, beispielsweise zur Errichtung neuer Betriebsstätten oder für neue Produktionsprozesse, so der Wirtschaftsrat.
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums haben allein in 2020 sechs Potsdamer Unternehmen GRW-Zuschüsse in Höhe von 2,8 Millionen Euro erhalten. „Ein abrupter Wegfall des GRW-Förderinstruments wird Potsdamer Unternehmen künftig in ihrer Entwicklung zurückwerfen, da sie bereits geplante Investitionsvorhaben in den nächsten Jahren nur unter erschwerten Bedingungen oder auch gar nicht umsetzen können“, sagte der Wirtschaftsrats-Vorsitzende Götz Th. Friederich.
Der CDU-Stadtverordnete Wieland Niekisch, Vorsitzender des Stadtentwicklungs- und Wirtschaftsausschusses, sagte: „Es sollte alles versucht werden, diese Entscheidung gegen Potsdam zu revidieren.“ Dabei kämen „dem Ministerpräsidenten und dem Wirtschaftsminister eine zentrale Rolle und Aufgabe zu“.
SPD-Fraktion erhebt Forderungen an das Land
„Wenn das Brandenburger Wirtschaftsministerium tatsächlich zugelassen hat, dass Potsdam aus der Förderung fällt, ist dies aus der Sicht der regionalen Wirtschaft ein grober Fehler“, sagte der Chef der Potsdamer Industrie- und Handelskammer (IHK) Mario Tobias. Für das Handwerk müssten Wettbewerbsverzerrungen verhindert und ein „Rückgang von Investitionen oder gar Betriebsverlagerungen“ vermieden werden, so Handwerkskammer-Chef Ralph Bührig.
[Mehr zum Thema: Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) im Interview - Potsdam "droht keine Vollbremsung"]
Die Potsdamer SPD-Fraktionsvorsitzende Sarah Zalfen dagegen sieht in der Entscheidung eine „Bestätigung für unseren wirtschaftspolitischen Kurs“. Doch die Wirtschaft brauche auch künftig Schlüsselprojekte. „Ohne Regionalförderung stellt das die Stadt vor eine große Herausforderung“, so Zalfen. Die SPD-Fraktion erwarte, dass das Land künftig „die Bedarfe von Potsdam besonders im Blick hat“.
Die Grünen-Fraktionschefin Saskia Hüneke sagte, die überaus positive Entwicklung Potsdams zeige, wie sinnvoll die GRW-Förderungen seien und waren. "Es wäre fatal, sie zu früh und so unmittelbar abzubrechen", warnte Hüneke. Aus Sicht der bündnisgrünen Stadtfraktion sollten Verhandlungen aufgenommen werden, um den "Verlust wichtiger Projekte in der wissenschaftsorientierten Wirtschaft zu verhindern". Potsdam bekomme ja mit der Förderung nicht nur etwas, sondern "strahlt mit seiner positiven Entwicklung in die Region aus".
Über das GRW-Programm hat Potsdam laut Verwaltung sowohl Projekt- als auch Investitionsförderung erhalten. Komme das Aus in 2022, seien die Förderungen für das MediaTech Hub und die Kampagne „Mehr Zukunft“ von Stadt und Landkreis Potsdam-Mittelmark bedroht. Kurz- und mittelfristig nicht gesichert seien der Neubau eines Innovationscenters in der Medienstadt Babelsberg für rund 17 Millionen Euro, der Neubau für das „Haus der Innovationen“ in Golm für ebenso rund 17 Millionen Euro, das Projekt „Gewerbe im Schlaatz“ für rund zehn Millionen Euro und die Erschließung des Sago-Geländes als Gewerbestandort.
Vorhaben wie diese benötigten in einer Kommune meist mehr als fünf Jahre Vorlaufzeit, so die Verwaltung. Für die genannten sollten die GRW-Gelder in den Jahren 2022 bis 2026 beantragt werden. Nun müssten „alle Planungen neu bewertet und aufgestellt, Strategien und Konzepte angepasst und neue Finanzierungsmöglichkeiten geprüft sowie dafür erneut zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen eingesetzt werden“, hieß es. (mit sca)