Interview | Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD): Potsdam "droht keine Vollbremsung"
Das Rathaus befürchtet negative Folgen, weil die Landeshauptstadt aus dem Bund-Länder-Förderprogramm fliegt. Im PNN-Interview widerspricht der Wirtschaftsminister dieser These.
Brandenburgs Landeshauptstadt Potsdam fliegt 2022 aus dem Bund-Länder-Förderprogramm für regionale Wirtschaftsstruktur (GRW). Droht eine „Vollbremsung“ für Potsdam, wie der Rathaus-Beigeordnete Bernd Rubelt warnt?
Es droht keine Vollbremsung, im Gegenteil: Potsdam kann und sollte stolz auf diese Entwicklung sein. Brandenburgs Landeshauptstadt hat es geschafft, in ihrer Strukturstärke zu Metropolen der alten Bundesländer aufzuschließen – als bisher einzige Stadt Ostdeutschland. Das zeigt: Potsdam hat den Status eines wirtschaftsstarken und attraktiven Standortes. Und es verweist auf eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik von Stadt und Land.
Potsdams Wirtschaftsbeigeordneter Rubelt hält dagegen, dass mit dem kompletten Wegfall der Förderung der „langfristige und erfolgreiche wirtschaftliche Transformationsprozess der Landeshauptstadt in den kommenden Jahren deutlich behindert und erschwert“ würde.
Das kann ich schon anhand der nüchternen Zahlen nicht nachvollziehen: Seit 2013 wurden in der Landeshauptstadt Potsdam für Unternehmen 33 Anträge mit einem Zuschussvolumen von insgesamt 14 Millionen Euro für diese GRW-Förderung bewilligt. In den vergangenen fünf Jahren hat die Stadt für wirtschaftsnahe Infrastrukturvorhaben fünf Anträge auf GRW-Förderung mit einem Gesamtfördervolumen in Höhe von 6,8 Millionen Euro gestellt – wovon das Vorhaben Technology Campus Potsdam mit einem Zuschuss von 5,47 Millionen Euro den größten Anteil ausmacht. Ferner sind das Regionalmanagement MediaTech Hub sowie die medientechnische Anlegestelle „Am Hinzenberg“ gefördert worden.
Schon diese überschaubare Nachfrage ist ein beredter Indikator dafür, dass das Wohl und Wehe Potsdams nicht davon abhängt. Außerdem weise ich darauf hin, dass spezielle Programme wie „BIG Digital“ und „Profit“ nicht ausschließlich über die GRW-Förderung laufen, und auch künftig über EU-Mittel aus dem EFRE-Fonds förderbar sind. Und im EFRE-Strukturfonds ist noch ganz Brandenburg Fördergebiet, also auch Potsdam. Die GRW-Entscheidung bedeutet also, dass man sich andere Förderquellen erschließen muss. Ich bin fest davon überzeugt, dass Potsdam einen guten Weg finden wird, Projekte über andere Förderquellen umsetzen zu können.
Konkret befürchtet das Rathaus negative Folgen für die Finanzierung des MediaTech Hubs in Babelsberg, der Norderweiterung des Potsdam Science Parks in Golm und geplante weitere Gründerzentren.
Zu einzelnen Projekte kann und will ich auf die Schnelle hier nicht äußern. Aber noch einmal: Es gibt andere Förderquellen, andere Förderprogramme. Es bedarf einer anderen Phantasie, neue Förderquellen zu erschließen.
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Mit welchen Städten und Regionen der alten Bundesländer ist Potsdam soziökonomisch jetzt auf Augenhöhe?
Vereinfacht gesagt: Potsdam hat in seiner Wirtschaftskraft Westniveau erreicht. Das wird nicht für jede einzelne Stadt zutreffen, beim Vergleich mit München würde ich auch noch ein Fragezeichen setzen. Aber es gibt andere große Städte und Metropolregionen in den alten Bundesländern, die auch aus dieser Förderkulisse herausgefallen sind.
Potsdam wurde von der Entscheidung überrascht. Was sagen Sie zum Vorwurf der Intransparenz?
Die Diskussion mit dem Bund über die Neujustierung dieses Programms lief seit dem Frühjahr dieses Jahres. Da es um eine deutschlandweite Veränderung ging, hat der der Bund in dieser Zeit auf seiner Kommunikationshoheit bestanden. Das Land hatte keine Möglichkeit, diesen Prozess öffentlich zu begleiten. An dieser Stelle kann ich sagen, dass nach der ersten Planung des Bundes neben Potsdam vier weitere Brandenburger Landkreise insbesondere mit Anschluss an den Berliner Speckgürtel aus der GRW-Förderung herausfallen sollten – Teltow-Fläming, Dahme-Spreewald, Oberhavel und Potsdam-Mittelmark. Wir werten es als Erfolg, dass wir vier von fünf in Frage gestellten Fördergebieten retten konnten. Für Brandenburg ist das insgesamt sehr positiv ausgegangen.
In Potsdam gibt es traditionell eine hohe Anspruchshaltung. Sollte die Stadt ein solidarischeres Bewusstsein entwickeln, dass andere Regionen Brandenburgs und der Bundesrepublik viel dringender Hilfe benötigen?
Ja, ich hätte ohnehin erwartet, dass Potsdam die Botschaft umdreht: Wir haben regionalpolitisch derart aufgeholt, dass wir es nicht mehr nötig haben, Fördergebiet zu sein! Derzeit wird für Ostdeutschland an einem Programm „Vorsprung Ost“ gearbeitet. Je erfolgreicher der Osten gestärkt wird, desto weniger Regionen müssen gefördert werden, desto mehr werden herausfallen. Das Ziel von Politik muss doch sein, öffentliche Förderung überflüssig zu machen.
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