Das System Eliteschule des Sports: Vorzeigeobjekt in einem kritisierten System
Der „Dritte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht“ attestiert den Eliteschulen des Sports, dass sie ineffizient und teuer sind. An der Potsdamer Sportschule – einer Schmiede von Olympiahelden – werden Argumente für dieses Fördermodell geliefert.
Ein Rundgang durch die Sportschule Potsdam gleicht einer Erlebnistour. Überall gibt es etwas zu entdecken. Pokale und Siegerplaketten sind ausgestellt, interessante Unterrichtsprojekte, Zeichnungen und Motivationssprüche zieren die Wände. An denen hängen seit Kurzem auch die Fotografien der Ausstellung „Olympisches Gold für Potsdam“, die 2015 im Zuge des städtischen Themenjahres „Potsdam bewegt“ präsentiert wurden. Dass die Bilder nun in der Friedrich-Ludwig-Jahn-Schule ihren Platz gefunden haben, kommt nicht von ungefähr, denn die olympischen Sternstunden der brandenburgischen Landeshauptstadt sind untrennbar mit der hiesigen Sportschule verknüpft. Athleten, die dort einst über Mathegleichungen grübelten, chemische Experimente durchführten und Gedichtsinterpretationen schrieben, haben bisher beeindruckende 130 Olympia-Medaillen gewonnen. 68 davon in Gold.
Doch weil viele der 42 weiteren deutschen Eliteschulen des Sports solch starke Bilanz nicht vorweisen können, steht das Gesamtsystem Sportschule bereits seit Jahren in der Kritik. Befeuert wurde die Diskussion um die Sinnhaftigkeit derartiger Fördereinrichtungen durch den „Dritten Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht“, der vergangenes Jahr veröffentlicht wurde. Die Quintessenz des Kapitels zum Thema Leistungssport: Die Eliteschulen sind ineffizient und teuer.
Vorschlag: Mehr Talentförderung in Vereinen statt in Sportschulen
Arne Güllich und Alfred Richartz, zwei Sportwissenschaftler der Universitäten Kaiserslautern und Hamburg, haben diesen Forschungsbericht ausgearbeitet und stellten dabei fest, dass es hinsichtlich des sportlichen Erfolgs keinen Unterschied im Vergleich zwischen Absolventen einer Sportschule und einer Regelschule gibt. Das trifft vornehmlich für die Sommersportarten zu, was sich an Statistiken belegen lässt. Während bei den Winterspielen 2014 in Sotschi alle Medaillengewinne auf das Konto von damals aktuellen oder ehemaligen Sportschülern gingen, sah das im Sommer 2012 ganz anders aus. Von den 392 Mitgliedern der deutschen Mannschaft wurden nur 104 an Eliteschulen gefördert – und sie sorgten wiederum für lediglich 30 der 86 Podestplätze in London.
Vor diesem Hintergrund regt Arne Güllich zum Umdenken an. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk erklärt er: „Man könnte im Fördersystem die außerordentlich frühe Förderung lassen.“ Stattdessen solle man die Arbeit der Vereine stärken. Sie seien „die Hauptressource für Talententwicklung“, meint Güllich und fügt weiterhin an: „Dadurch entwickeln sich mehr Talente günstig in den Vereinen, man hat also einen größeren Talentepool, ein größeres Talentepotenzial, das man später auswählt und rekrutiert – womit langfristig die Entwicklungschancen im Spitzensport steigen.“ Das viele Geld für die Eliteschulen des Sports, findet er, könne man sich sparen.
Hoher Bedarf an Betreuung kostet eine Menge Geld
„Kann man nicht“, entgegnet Klaus-Rüdiger Ziemer. Er ist seit 1996 Leiter der Potsdamer Sportschule und verteidigt das System, dem seine Einrichtung angehört. Auch wenn dieses System, räumt er ein, „hochsubventioniert ist“. Allein in puncto Personalkosten übertrifft die Sportschule andere weiterführende Schulen deutlich. Auf PNN-Anfrage teilt Brandenburgs Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) mit, dass die Sportschule mit 31 über den normalen Bedarf hinausgehenden Vollzeitstellen ausgestattet ist, um dem hohen Betreuungsanspruch im Unterrichts- und Trainingsbetrieb gerecht zu werden. Laut MBJS schlägt eine solche Stelle mit jährlich rund 50 000 Euro zu Buche, macht also insgesamt 1,55 Millionen Euro.
Aus Sicht von Klaus-Rüdiger Ziemer stehen Aufwand und Nutzen hierbei auch weiterhin in einem „gesunden Verhältnis“, denn die Potsdamer Sportschule produziere in zweierlei Hinsicht einen großen Mehrwert. Erstens: Seit Jahrzehnten gehen kontinuierlich aus der „Traumerfüllungsmanufaktur“, wie er die Schule gerne mal umschreibt, international erfolgreiche Spitzenathleten hervor, die Deutschland Triumphe bescheren und somit auch Vorbilder für kommende Generationen sind. Bei Olympia 2012 in London waren beispielsweise fünf ehemalige Sportschüler am Gewinn von drei Gold- sowie einer Silbermedaille beteiligt. Allerdings waren das allesamt Kanuten, weshalb Ziemer auch kritisch anmerkt: „Es darf sich künftig nicht mehr nur auf den Kanu-Rennsport beschränken. Wir müssen wieder in mehr Sportarten ganz vorne mit dabei sein. Aber wir haben da große Hoffnungen, denn es gibt im Nachwuchsbereich sehr gute Entwicklungen zu verzeichnen.“
Ziemer: Sportschulleben entwickelt die Persönlichkeit äußerst positiv
Ziemers zweiter Aspekt bezieht sich auf die Persönlichkeitsentwicklung: „Nur in olympischen Medaillen zu rechnen, ist nämlich zu kurz gedacht. Aus dem Sportschulsystem gehen junge Menschen hervor, die im besonderen Maße die Stärke besitzen, eine Gesellschaft mit Verantwortung zu tragen. Das ist ein wichtiger Nebeneffekt, den man nicht außer Acht lassen darf.“ Der Potsdamer Direktor berichtet aus seiner langjährigen Erfahrung, dass durch die Kombination aus Schule und Nachwuchsleistungssport Kompetenzen gefördert werden, die andere Schulen in dieser Ausprägung nicht hervorbringen können. Gemeint seien unter anderem die hohe Belastungsverträglichkeit und Handlungsgeschwindigkeit, die gute Teamfähigkeit und ein starkes Zeitmanagement. „Die Schüler lernen durch die Doppelbelastung, sich auf das Wesentliche fokussieren zu können und machen dadurch enorme kognitive Fortschritte.“
Und doch attestiert die Untersuchung von Güllich und Richartz den Sportschülern, dass sie vergleichsweise stärker in den schulischen Leistungen und der nachschulischen Laufbahn beeinträchtigt sind als Absolventen von Regelschulen. „Auch das kann ich für uns nicht gelten lassen“, wendet Ziemer ein. „Die Werte bei uns sind gut. Von unseren Schülern, denen wir jede nur denkbare Möglichkeit geben, sich schulisch und sportlich optimal zu entwickeln, meistern viele nach dem Abitur ein Studium und kommen in guten beruflichen Verhältnissen an.“
Potsdamer Erfolgsmodell zum zweiten Mal im erlesenen Kandidatenkreis beim Deutschen Schulpreis
Nach diesen Darlegungen scheint gerade die Potsdamer Eliteschule des Sports eine positive Ausnahme von der im „Dritten Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht“ erforschten Regel zu sein. Quasi ein Vorzeigeobjekt, von dem andere Sportschulen lernen sollten, um den Fortbestand dieses Fördersystems zu rechtfertigen. Nicht zufällig war Potsdam 2015 daher Gastgeber der sechsten Bundeskonferenz der Eliteschulen des Sports, bei der Klaus-Rüdiger Ziemer über das hiesige Erfolgsmodell referierte. Jenes Modell, das es in diesem Jahr – wie die PNN berichteten – zum zweiten Mal nach 2011 in den erlesenen Kandidatenkreis beim Deutschen Schulpreis geschafft hat.
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