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Der Spruch war Programm. Michael Schreiber hätte den Aufdruck auf dem Shirt vor einiger Zeit blind unterschrieben. Niemand hat die Absicht, 100 Meilen zu laufen. Inzwischen findet er das gar nicht mehr so abwegig.
©  privat

Brandenburg läuft: AOK-Heldenstaffel: Von der Couch-Potato zum XXL-Läufer

Am 6. November findet beim Teltowkanal-Halbmarathon die AOK-Heldenstaffel statt. Die PNN stellen die Teilnehmer vor. Folge fünf: Michael Schreiber hatte gute Ausreden, keinen Sport zu machen. Bis die Waage einen guten Grund anzeigte, etwas zu ändern. Heute läuft er Ultradistanzen.

Michael Schreiber hatte gleich doppelt Gründe und Ausreden, keinen Sport zu machen und jeden Abend die Füße hochzulegen. Zwillinge! Als seine Frau und er vor sieben Jahren die Nachricht erhielten, dass sie ein Mädchen und einen Jungen bekommen, „war das einfach nur klasse“, sagt der Berliner. Aber es war auch der Beginn eines neuen Lebens, „in dem sich leicht genug Ausreden fanden, sportlich nichts zu tun“, erinnert sich der 35-Jährige. „Und sich nach schlaflosen Nächten tagsüber im Büro tolle Planungen auszudenken, war schon hart“, sagt der Verkehrsplaner.

Viel Stress, kein Sport, hastiges und ungesundes Essen. „Über den Tag habe ich fast gar nicht gegessen und abends fing ich regelrecht zu fressen an“, erinnert sich Michael Schreiber. Der Ausschlag auf der Waage vertrug irgendwann keine Ausrede mehr. 105 Kilo wog er Ende 2013. „Da bekam ich schon einen Schreck“, sagt er, „ich wollte keine gesundheitlichen Probleme kriegen.“

Es begann mit der Erfüllung der Weihnachtswünsche

Also schrieb er auf seinen Weihnachtswunschzettel: Laufsachen. Er wurde reichlich beschenkt. „Von der ganzen Familie bekam ich Laufklamotten“, erzählt er. Er packte seine Geschenke aus und lief los. Anfangs kam er nicht weit. „Vielleicht fünf, sechs Kilometer.“ Aber das Laufen gefiel ihm und er merkte, dass es ihm schnell leichter fiel und es schnell mehr und mehr Kilometer wurden. „Und ich begann, bewusster zu essen. Ich ließ abends die Kohlenhydrate weg und fragte mich, was ich stattdessen essen kann.“ Er ernährte sich zunehmend ausgewogener, machte sich Gedanken über seine Mahlzeiten und beließ es am Abend bei einer Portion statt bei der zuvor üblichen hochfrequenten Bedienung der Kühlschranktür. In vier Monaten hatte er 20 Kilo abgenommen und lief in Dresden – seiner alten Heimat – beim Oberelbe-Marathon die Halbdistanz über 21 Kilometer.

Michael Schreiber brauchte diesen Wandel in kurzer Zeit. „Ich kenne mich“, sagt er. „Wenn ich es durchziehen wollte, musste ich es strikt und konsequent machen. Sonst ist mein Rückfallrisiko zu hoch.“ Und er habe den schnellen Erfolg gebraucht, um sich weiter zu motivieren. „Zugleich habe ich mich schnell wohlgefühlt mit der neuen Situation, der neuen Fitness und dem Gewicht“, sagt er. Daher war das nächste Ziel auch gleich mal doppelt so groß wie der gerade absolvierte Halbmarathon. Im Oktober 2014 sollte es in Dresden die ganze klassische Distanz über 42,195 Kilometer sein. Also machte sich Michael Schreiber einen Plan, erhöhte im Training das Pensum und die Kilometer, kam „super in Form“ – und lag am Marathon-Sonntag flach. Ein Infekt setzte ihn außer Gefecht, „an Laufen war nicht zu denken“. Er war enttäuscht. „Das war mein großes Ziel und ich habe es nicht erreicht“, sagt er. Der ganze Aufwand umsonst. „Ich bin erstmal in ein Loch gefallen“, erzählt er. Aber nicht tief und vor allem nicht lange. Schon ein paar Wochen später dachte er: „Dann laufe ich halt nächsten Jahr den Dresden-Marathon.“

Neuer sportlicher Horizont dank der Mauerwegläufer

Doch es kam wieder anders. Ende 2014 lernte Michael Schreiber die Mauerwegläufer kennen. Einen Laufverein in Berlin, auf dessen Initiative seit fünf Jahren im August der 100-Meilen-Lauf entlang der einstigen Berliner Mauer stattfindet. „Nette Leute, gute Angebote“, fand Michael Schreiber, als er zu deren Lauftreff kam. „Ein bisschen verrückt“, meint er, aber das gehöre dazu – zu Ultraläufern. Denn genau das sind die Mauerwegläufer – Typen, für die ein Rennen erst jenseits des Marathons beginnt und Trainingsläufe machen, die sich XXL nennen. Michael Schreiber war fasziniert.

Als er im Frühjahr 2015 im Urlaub war und dort seine Läufe machte, hatte er ständig die Lauftreff-Kollegen im Kopf, die einmal im Monat auf dem Tempelhofer Feld einen Sechs-Stunden-Lauf machen. Das Trainingskürzel THF 6 – Tempelhofer Feld 6 – ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. „Das kann ich auch“, dachte er sich und stand einen Tag nach der Rückkehr aus dem Urlaub auf dem alten Rollfeld des früheren Flughafens. Sechs Stunden Dauerlauf auf einer sechs Kilometer-Runde sind das mögliche Tages-Maximum. „Ich kann’s ja mal versuchen und notfalls aufhören“, sagte er sich. Sein Minimalziel waren 30 Kilometer, „schön wäre ein Marathon“. Es wäre dann der erste gewesen. Er lief: Acht Runden plus zwei Kilometer – also 50 Kilometer. „Einmal einen Marathon laufen, war somit raus aus meinem Kopf“, resümierte er. Gleich am nächsten Wochenende lief er mit den Lauftreff-Freunden eine 55-Kilometer-Runde. Spätestens da hatte sich die einstige moppelige Coach-Potato zum XXL-Läufer gewandelt.

Michael Schreiber bezeichnet sich als einen "Genussläufer"

Michael Schreiber mag es, lange unterwegs zu sein. „Ich bin ein Genussläufer“, sagt er, „ich genieße es, abzuschalten, in der Natur und der Landschaft zu sein.“ Im vergangenen Mai konnte er das 72 Kilometer lang tun – beim Super-Rennsteigmarathon. Es gehe ihm überhaupt nicht darum, schnell zu sein. „Beim Marathon fragt jeder gleich nach der Zeit. Man vergleicht ständig und ist sofort dabei, sich zu rechtfertigen, wenn man vermeintlich langsam war.“ Beim Ultra-Laufen interessiere das nicht, „zumindest nicht so vordergründig“, meint Michael Schreiber.

Vielleicht ist es auch diese beim ultralangen Laufen notwendige Gelassenheit, die Michael Schreiber hilft, sich gesund und ausgewogenen zu ernähren, ohne es zu sehr zu strapazieren und zur Perfektion zu treiben. „Wenn etwas gesund ist, mir aber nicht schmeckt, muss ich es nicht essen“, so seine Einstellung. Er ist ein Gefühlsmensch. „Ich laufe ohne Pulsuhr, sondern so, wie ich mich fühle und mein Körper es zulässt. Und ich esse, was mir schmeckt und guttut.“ Aufhören mit dem Laufen kann er nicht mehr, zumindest kann er sich das nicht vorstellen. „Der Bewegungsdrang ist da und geht nicht mehr weg. Zum Glück“, sagt Michael Schreiber. Aus den faulen Ausreden ist ein besonders ausdauerndes Vergnügen geworden.

Gemeinsam mit der AOK Nordost stellen wir Helden des Alltags vor. Menschen, die Bemerkenswertes geschafft haben und mithilfe des Sports aus einer schwierigen Lebenssituation gekommen sind. Sie laufen am 6. November im Rahmen der AOK-Heldenstaffel beim Teltowkanal-Halbmarathon – gemeinsam mit Michael Klotzbier: Der 37-Jährige hat in einem Jahr 50 Kilo abgenommen und lief am 25. September 2016 den Berlin-Marathon.

Teilnehmer eins: Jürgen Müller - Aus dem Rausch gelaufen
Teilnehmerin zwei: Astrid Krügel - Ein Entschluss von Gewicht
Teilnehmer drei: Michael Pietsch - Die richtige Balance gefunden
Teilnehmer vier: Andreas Baranowska - Grenzenlos nach 42 Kilometern
Teilnehmerin sechs: Maria Haneklau - Wie ein Luftballon in einem Eimer 

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