Josephinen-Anlage in der Burgstraße: Vom Seniorenheim zum Geisterhaus?
54 Wohnungen der Josephinen-Anlage in Potsdam sollen schon verlassen sein. Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) schlägt Einladung der MK-Kliniken AG aus.
Potsdam - Die Stadt Potsdam sieht „derzeit keine rechtliche Handhabe“ für eine Enteignung der Senioren-Wohnanlage an der Burgstraße. Das teilte Pressesprecher Jan Brunzlow jetzt auf Anfrage der PNN mit. Die Linke hatte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) vergangene Woche dazu aufgefordert, „alle rechtlichen Möglichkeiten konsequent (zu) nutzen, um den Verbleib der Senior:innen in ihren Wohnungen zu sichern“. Dazu gehöre, so Linken-Kreisvorsitzender Roland Gehrmann, auch eine Enteignung oder Beschlagnahme der Wohnungen „wenn der Eigentümer nicht einlenkt“.
Der Konflikt zwischen dem Betreiber der Anlage, der SSG Soziale Grundbesitzgesellschaft mbH Potsdam und ihrer Hamburger Muttergesellschaft, der MK-Kliniken AG – vormals Marseille-Kliniken AG – und Mietern der Wohnanlage an der Burgstraße 6a war wie berichtet in den vergangenen Wochen eskaliert. Die Eigentümer hatten den rund 110 Mietern mit einer Frist von oft nur drei Monaten gekündigt, der Mieterverein und die Stadt halten die Kündigungen allerdings für rechtsunwirksam.
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Die Entmietung der Seniorenwohnungen schreitet nach Angaben des Betreibers unterdessen in großen Schritten voran. 54 Wohnungen sollten bis zum 31. Dezember verlassen sein, vier Wochen später, am 31. Januar 2022, würden, so die Antwort eines „MK-Kliniken AG-Teams“ auf Fragen der PNN, „71 Wohnungen von den Mietern geräumt sein“. Weitere Mieter haben sich nach PNN-Informationen auf die Suche nach Wohnungen gemacht. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass das weiße Gebäude gegenüber der Freundschaftsinsel, das einst der Stadt gehörte, innerhalb weniger Monate nur noch von einer kleinen Zahl von Mietern bewohnt und zum Geisterhaus wird.
Linke-Kreischefin beklagt "moralische Verkommenheit" der Betreiber
Der Potsdamer Mieterverein, der Seniorenbeirat und die Verbraucherberatung hatten sich mit anderen Akteuren der Stadtgesellschaft verbündet, um die größtenteils hochbetagten Bewohner angesichts der desolaten Lage auf dem örtlichen Wohnungsmarkt zu unterstützen; rund 40 Mieter hatten sich vom Mieterverein beraten lassen. Der Verein geht davon aus, dass die meisten von ihnen der Kündigung widersprochen haben oder dies tun werden – und die Räumungsklagen, die der Betreiber dann anstrengen müsste, um das Haus leer zu räumen, vom Amtsgericht abgewiesen werden.
„Eigentum verpflichtet und Mietrecht gilt auch für Immobilienhaie“, kommentiert Sigrid Müller, die Fraktionsvorsitzende der Linken in der Stadtverordnetenversammlung, das Geschehen. Die Kündigung von Senioren inmitten der vierten Welle der Pandemie und mitten im Winter zeuge „von einer moralischen Verkommenheit der Betreibergesellschaft, die jeder Beschreibung spottet“, sagt Linken-Kreisvorsitzende Marlen Block, sie erwarte von der Stadt, „dass sie das Kaufangebot noch einmal konkretisiert und entsprechenden öffentlichen Druck aufbaut“. Spekulationen um ein Kaufangebot der Stadt für die Anlage hatte die MK-Kliniken AG mehrfach entschieden zurückgewiesen.
Senioren halten trotz Unterstützung des Mietervereins der Belastung nicht stand
Allem Anschein nach hat der Mieterverein mit seiner Einschätzung, die Betreiber der Anlage würden Druck aufbauen, um die alten Bewohner zum Auszug zu bewegen, Recht behalten. Die 87 Jahre alte Gisela Haase etwa, die die PNN in ihrer Wohnung in der sechsten Etage besuchten, hat Widerspruch gegen ihre Kündigung eingelegt. „Aber sie hält die Belastung nicht aus“, sagte ihre Nichte Birgit Derwanz-Dahlmann den PNN. Sie hatte ihr die Wohnung vor sechs Jahren besorgt, als ihr Mann gestorben war.
Derwanz-Dahlmann ist auf der Suche nach einer neuen Bleibe fündig geworden: im Katharinenhof in Drewitz hat sie eine Zusage für ihre Tante erhalten. Allein: „Die Wohnung ist mit 70 Quadratmetern viel zu groß, in der Burgstraße hatte sie 30, das hat ihr genügt.“ Die Potsdamerin Derwanz-Dahlmann ist Repräsentantin des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, das Verhalten des Betreibers ist für sie „Kapitalismus, wie er im Buche steht“.
Jenseits der üblichen Benimmregeln hatte die MK-Kliniken AG Oberbürgermeister Schubert und weitaus gröber die zuständige Sozialbeigeordnete Brigitte Meier (SPD) wie berichtet kritisiert. Die Chefs der AG Schubert luden Schubert für den 14. Januar um 13 Uhr zu einem Mittagessen in die Hamburger Konzernzentrale ein. Er sei „gebeten“ worden, hieß es, „vor dem Termin seine Tagesordnungswünsche vorab schriftlich mitzuteilen“.
Der Oberbürgermeister lässt sich nicht nach Hamburg zitieren
So aber lässt sich der Potsdamer Oberbürgermeister nicht nach Hamburg zitieren. Die Einladung lehnte er auf elegante Weise ab, wie Stadtsprecher Brunzlow den PNN auf Anfrage mitteilte: „Eine Fahrt zu einem Mittagessen nach Hamburg widerspricht unserem Effektivitätsprinzip und wäre in Zeiten der Pandemie auch nicht angezeigt.“ Die Beigeordnete Meier werde den Oberbürgermeister vertreten „und steht zu dem Zeitpunkt des vorgeschlagenen Termins gerne in einem digitalen Format zum Gespräch zur Verfügung".
Diesen Stand bestätigte die Geschäftsleitung der SGG Soziale Grundbesitzgesellschaft Potsdam mbH den PNN auf eine erneute Nachfrage. Wie viel Sinn das Gespräch zwischen den Vertretern der Betreiber und der Beigeordneten machen kann, wird sich zeigen. Die jüngste Antwort der SSG folgt der eher schroffen Grundhaltung gegenüber Meier: „Von hieraus ist nicht erkennbar, was mit der Dame besprochen werden soll.“